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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

25. 10. 2010 - 14:31

Vlog #4: Die ontologische Leere

Ein kurzer Text über die Liebe und einige Überraschungen auf der diesjährigen Viennale. Kaboom!

Es wird mir gleich wieder etwas warm ums Herz. Was wohl einen unbedingten Kino-Liebhaber von einem gelegentlichen Filmschauer unterscheidet? Das muss dann wohl das Gefühl sein, das in einem aufsteigt, wenn man im Dunklen sitzt. Es gibt Abende, auf die freue ich mich mein ganzes Leben lang. Ein bisserl Magie nur, ein bisserl Fenster ins Andere. Ich bin Feuer und Flamme. Oh ja. Das beobachte ich oft: Die wahren Freaks, die führen eine Beziehung mit den bewegten Bildern, wie mit einer schönen Frau oder einem schönen Mann. Am Morgen freut man sich, dass sie da sind, in all ihrer Buntheit, man überlegt, was man heute mit ihnen anstellen könnte, welche Überraschungen sie bereit halten mögen, wie und an welcher Stelle sie einen berühren werden. Virtuell, eh klar, gleichzeitig aber ganz körperlich. Intim. Am Abend schläft man ein, während sie noch ihre Geschichten erzählen, immer weiter verzaubern.

Liebe

Ich bin ein sehr treuer Mensch, in allen Belangen. Es braucht Hingabe und Konsequenz im Leben, sonst ist alles wertlos. Es braucht viel, damit ich von einem Regisseur ablasse: Habe ich ihn (oder sie, for that matter) erst einmal für mich entdeckt, dann folge ich überall hin. Filme sprechen immerhin verschiedene Sprachen. Einige kann man dechiffrieren, bei anderen muss man klein bei geben. Ich bin mir aber sicher, wenn man sich erst einmal in den Sprachrhythmus, den Dialekt eines Regisseurs verliebt hat, dann soll man mit ihm durch dick und dünn gehen. Romantisch.

Mord, Leiche

Hannibal Pictures

Dario Argento's Giallo

Das ist nicht immer einfach: Dario Argento zum Beispiel, der hat sich mit seinen ersten Thrillern und den folgenden Horror-Rockopern so tief in mein Herz geschossen, dass ich ihn vermutlich nie wieder raus bekomme. Er ist Teil meiner Erinnerung, meines Lebens geworden. Und das ist gut so. Bei jedem seiner neuen Filme sitze ich vor der Vorstellung mit schweißnassen Händen im Kino, so nervös, als hätte ich den Film selbst zu verantworten. Ich blicke unruhig umher, will wissen, wie das Publikum darauf reagiert. Einige geben ihm keine Chance, machen ihn von Anfang an lächerlich. Wie die Stänkerer auf dem Schulhof, die immer nur darauf gewartet haben, dass man eine komische Bewegung macht, die dann mit dem Finger auf einen gezeigt und lauthals gelacht haben. Zynismus ist die Waffe der Leidenschafts- und Bekenntnislosen. Argentos letzte Arbeit, Giallo, war eine Zumutung: immer noch verarbeite ich diesen unglücklichen Haufen von einem Film. Dennoch, ich kenne diesen Regisseur schon so lange, dass ich daran glauben muss, dass eben bei diesem einen Projekt einige Sachen schief gelaufen sind, dass da noch was nachkommt, was ich wieder bedingungslos verehren kann. Kino ist auch eine Glaubenssache.

Neue Visionen?

Man wächst gemeinsam, manchmal versteht man sich, manchmal nicht. Man streitet und ist verärgert, man findet wieder zusammen. Endgültige Brüche gibt es selten bis nie, zumindest bei mir. Gerade da ich darüber so denke und fühle, überrascht mich die Viennale in diesem Jahr. Das Festival mit seinem Steuermann Hans Hurch hat nie einen Hehl daraus gemacht, welches Kino es mag und fördern will. Das ist auch gut so. Auch ein Festival ist in Wahrheit ein Kommunikationsangebot. Nur das was gesagt wird, das soll dann Sinn ergeben. Also: Regisseure wie Lisandro Alonso oder Rudolf Thome, Thomas Arslan oder Jean-Luc Godard, die werde ich immer mit der Viennale verbinden. Sie sind spröde, weltoffen, interessiert, verbissen und leidenschaftlich, genau wie das Festival selbst. In diesem Jahr aber, und noch bin ich unschlüssig, was ich damit anfangen soll, ist einiges anders. Plötzlich finden sich Regisseure bei der Viennale ein, die über das letzte Jahrzehnt von Hans Hurchs Direktorenschaft hinweg spannende Filme gedreht haben, damit aber nie bei diesem Festival gelandet sind. Woher kommt der plötzliche Stimmungswechsel? Wäre es nur ein Regisseur, würde ich meinen, man kann sich immer mal irren, erst spät zueinander finden. Aber nein, es sind mehrere, viele.

Mann,

Gregg Araki, USA/F 2010, Viennale

Da wäre zum einen der große amerikanische New Queer Cinema Desasterpoet Gregg Araki, dessen quietschbunte, campe Arbeiten zum wirklichkeitsfernen und doch lebensnahen US-Teenagersein ganze Generationen von Außenseitern liebevoll selbstermächtigt haben: 2004 dann ein interessanter Hakenschlag. Araki liefert mit Mysterious Skin ein übernächtigtes Melodram ab, 2007 folgt die unantastbare Stoner-Komödie Smiley Face (mit der ebenfalls unantastbaren Anna Faris), die in vielerlei Hinsicht die dramaturgischen Nonsens-Salven von Kaboom vorhergesehen und vorbereitet hat. „Kaboom“ eben war dieses Jahr im offiziellen Cannes-Programm zu sehen: eine Aufmerksamkeit, die Araki in den letzten Jahren nicht hatte, wirklich im Auge des Orkans. Der Film ist eine ziemlich magische, annähernd surreale College-Klamotte mit schönen Menschen, viel Sex und einer Story, die sich Herr Araki vermutlich in der „Mein Mundraum ist so trocken, dass ich erstmal nur Wasser trinken kann“-Pause zwischen zwei Joints ausgedacht hat: großes Kino, ironisch verweisend auf Arakis Frühwerk, angesiedelt in „The ontological void“ (so heißt auch ein Café im Film), das nichts mehr bedeuten und signalisieren muss außer eben die Lust an der Freiheit, das zu tun, was immer man will.

Mann

Cannes

Weitere Viennale-Debütanten dieses Jahres sind: der großartig abgesetzte Harmony Korine (Trash Humpers), Trash-Revisionär Robert Rodriguez (Machete), die spanische Grand Guignol-Bilderschleuder Alex de la Iglesia (Balada Triste de Trompeta) oder auch der japanische Gaga-Komiker Hitoshi Matsumoto (Shinboru). Keiner von denen hat mit seiner aktuellen Arbeit so einen drastischen Kurswechsel vollzogen, dass man sagen könnte, darin liegt der Grund fürs plötzliche Auftauchen auf dem Festival. Wirklich, ich habe keine Erklärung dafür. Auffallend ist nur, dass es sich bei diesen Regisseuren allesamt um Leute handelt, die durchaus kultkompatibel sind, der Viennale also – von der hohen Qualität der Filme mal abgesehen – ein wenig Sex und Hipness verschaffen. Vielleicht tickt also nicht jeder Kino-Enthusiast so wie ich, und folgt einem Künstler durch mehrere Stadien seines Schaffens. Es muss nicht jeder ein Romantiker sein.

Für morgen gibt’s von meiner Seite keine Tipps, da alle Filme, die ich empfehlen könnte offenbar aufgrund des Feiertags bereits ausverkauft sind. Aber ja, danach wird’s wieder ruhiger. Ich bin mir sicher.