Erstellt am: 25. 10. 2010 - 09:17 Uhr
Fancy Footwork
Verglichen mit den zwei vorangegangenen Tagen, die besonderen, nicht unmutigen Willen zum Experiment gezeigt haben, arbeitet der Samstag dann doch etwas deutlicher und unkomplizierter - es ist Samstag - dem Dancefloor zu. Relativ. Was da Darren Cunningham nämlich schon gegen Ein Uhr nachts am Hauptfloor des Dom im Berg zunächst so an zähflüssigen Klängen aus seinem minimalistischem Set-Up zieht - düstere, fast schon doomhafte Drones, beatfreier Donner, der den großen Gott Dub im Hinterkopf mitschwingen lässt - das hätte auch gut zwischen die Soundforschungen in den Braunzonen von Ambient und Noise von Donnerstag und Freitag Nacht gepasst.

Philipp L'heritier
Unter einigem positiven kritischen Aufhall hat der aus Wolverhampton bei Birmingham stammende, mittlerweile nach London verzogene Produzent Cunningham dieses Jahr das zweite Album seines Projekts Actress veröffentlicht. Das beim sonst eher für weltmusikalische Schätzebergung bekannten Label Honest Jon's erschienene "Splashz" ist eines der am aufregendsten die unterschiedlichen Klangfelder durchmessenden Elektronik-Alben der letzten Jahre. Zwischen ausfransendem Dubstep, House, Underground Resistance und experimenteller Laborarbeit, die mitunter auf Beats verzichtet, erwachsen hier nach und nach bemerkenswerte Soundereignisse, die - bei aller Offenheit - aus einem bewusst minimalistisch gesetztem Klanginstrumentarium - oft reichen zwei, drei Ideen - gewonnen werden.
Und so erzeugt Actress auch bei seinem Live-Auftritt beim Elevate eine verwegene, gut durchwachsene und mit Absicht nicht immer ganz zusammenpassende Mischung an Musiken. Langsam, ganz langsam, schält sich aus dem Getöse des Anfangs ein Zeitlupenbeat, der dann wiederum relativ unvermutet in pumpende Techno-Heldenverehrung Richtung Juan Atkins und Robert Hood - wir werden heute noch von ihm hören - übergeht; die mittlerweile so im Publikum schon gut aufglühende Rave-Stimmung zerlegt Actress sogleich mit dazwischengeschaltetem Zischel-Krach. Und so geht das dann weiter: An allen Ecken auseinanderfallender Post-Dubstep, der gerade noch so zum Kopfnicken einlädt, grelle Lazer-Sounds, fast schon Poppig-IDM-haftes, der eigene Hit "Maze" und der von Actress gebaute Remix von Joy Orbisons (schon wieder) Track "The Shrew Would Have Cushioned The Blow". Rostige Schleifen, ein Scheppern, ein Fauchen, ein Sound, der mit den Möglichkeiten flirtet.

Philipp L'heritier

Philipp L'heritier

Philipp L'heritier
Über die österreichische Band Elektro Guzzi ist in jüngerer Vergangenheit - auch an dieser Stelle - zu Recht eigentlich fast nur Gutes zu hören und lesen gewesen: Menschmaschinenmusik, "elektronisch" codierte Musik analog nachstellen, Techno mit echten Instrumenten spielen, Schlagzeug, Bass, Gitarre, mehr als die Summe der einzelnen Teile. Es fällt schwer sich eine Situation vorzustellen, die das Trio Elektro Guzzi nicht mühelos in eine niveauvolle Party umzugestalten wüsste. Auch an diesem Abend. Der gut gefüllte Dom vibriert vor überschäumend gelaunter Verve. Elektro Guzzi spielen neue Stücke - kommendes Frühjahr soll eine neue EP erscheinen -, die noch einen Tick stärker als bisher Tanzbarkeit und die spröde scheppernde Funkiness betonen. Wo bei der x-ten Punk-Funk-Band nach The Raptures "House Of Jealous Lovers" der Kuhglockensound nur mehr als leeres Zeichen und bloßer Speichelfluss-Trigger fungiert, sitzt bei Elektro Guzzi jedes Knacken, jeder Sound und jede Snare notwenig am richtigen Platz, geben sich Professionalität, Geschichtswissen und Lockerheit komplett zwingend die Hände. Bei allem Können und Präzisionsglauben haben wir es bei Elektro Guzzi nicht mit drögem Muckertum zu tun, sondern mit der elastischsten Tanzkapelle, die man zur Zeit erleben kann. "They're Amazing! They're like a DJ Set, but They're Playing It Live!" wird DJ Spinn, der kopfnickend in der vierten Reihe steht, später noch sagen.

Philipp L'heritier

Philipp L'heritier

Philipp L'heritier
Der zweite Floor steht an diesem unter dem höchst partykompatiblen Motto "UK Funky/Juke/Ghetto House". Im Gespräch will sich selbst der aus Chicago - der Heimat des Sounds - stammende Produzent und Plattendreher DJ Spinn nicht ganz festlegen, was denn nun dieses neue heiße Ding namens Juke ist, das da aktuell hochdruckgeladen durch die Blogs wandert: "Juke pretty much is a feeling. If the party is good, we say it's jukin'!" und "Juke is pretty much the party type booty music, but it's just a little faster." A little faster kann in diesem Falle schon auch bedeuten, dass hier bisweilen 150 BPM erreicht werden, der dazugehörige Tanz "Footwork" - was als Name mittlerweile natürlich auch schon wieder für ein eigenes vage definiertes Subsubgenre steht - zielt auf nervös hochgepitchte Bewegungsabläufe im untersten Körperbereich. Nicht selten um einfache, repititive Anfeuerungs-Chants herumgebaut, steht Juke in Verwandschaft zu Miami Bass und Baltimore Club, fußt dabei aber wesentlich stärker auf House - Traditionsbewusstsein in der Windy City - denn auf HipHop. Das DJ-Set von DJ Spinn, der den zweiten Floor an diesem Abend befeuert, ist so erwartungsgemäß aufgekratzt, hysterisch hochgeschaukelt und darf ausnahmsweise mit der abgewrackten Vokabel "energetisch" beschrieben werden. Empfehlenswert am Rande: Das Mixtape, das DJ Spinn gemeinsam mit DJ Rashad, einem weiteren Hauptprotagonisten von Juke, für das britische FACT-Magazin zusammengestellt hat. Hier kann man hören, was Juke bedeutet.

Philipp L'heritier
Die sympathische Großmäuligkeit, die der ebenfalls aus Chicago stammende Produzent, DJ und Betreiber des Labels Sleazetone Records Chrissy Murderbot nicht selten wortgewaltig zu Tage fördert, ist nur Ausdruck seines berstenden, stadtbüchereigroßen Musikwissens und seiner eben kaum im Zaum zu haltenden Liebe zur Musik. Der Mann betreibt den Blog "My Year Of Mixtapes", in dem er jede Woche einen aus der eigenen Plattensammlung geformten Mix veröffentlicht, der sich jeweils einer speziellen Sound-Nische widmet: Gangsta Jungle, Belgian Rave, Digi-Dancehall, Giorgio Moroder oder Golden Era Happy Hardcore heißen da beispielsweise die Themen. Dementsprechend klingt das DJ-Set von Chrissy Murderbot, dessen oberste Maxime Spaß und Schweiß heißen. Da kann man auch verkraften, von Detroit- Und-Eigentlich-Überhaupt-Allgemeiner-Legende Robert Hood, der mit seinem wegweisenden Jahrhundertalbum "Minimal Nation" quasi im Vorbeigehen ein ganzes Genre erfunden hat, und seinem stoisch marschierenden Set am Hauptfloor nur 25 Minuten gehört zu haben. Sonntag ist Ambient-Tag. Vorbereiten der Seele auf einen Montag, der mit sehr gutem Programm unter einem eher poppigen Stern einerseits, andererseits unter der Knute avancierter Soundfolter stehen wird.

Philipp L'heritier

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