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Lina Simon

Lina Simon

Lina Simon

Repeal slowly and see

1. 11. 2010 - 16:13

Das virtuelle Leben nach dem Tod

Das digitale Ich nimmt einen immer größeren Teil unseres Lebens ein. Aber was passiert mit unserer virtuellen Existenz, wenn wir sterben?

I Like! Den Kommentar vom Simon auf Gretas Pinnwand. Und ui, schau, da hat mich jemand getaggt. Wann war das bitte? Und was tue ich da gerade? Wie auch immer, die News werden noch schnell gefeedet und dann ausloggen bitte, es gibt ja immerhin noch ein echtes Leben außerhalb des virtuellen.

Dieses reale Dasein jedoch wächst mit unserer virtuellen Identität immer stärker zusammen. Dank Facebook und Co leben wir Tag für Tag digitaler. Mit jeder Statusmeldung, jedem Post und jedem Klick auf den Like-Button schreiben wir an offenen, elektronisch vernetzten Tagebüchern. In Social Networks entstehen digitale Abziehbilder unseres Lebens. Was aber passiert mit unserem virtuellen Ich, wenn das reale Leben einmal endet? Sterben wir in der echten Welt, dann tun wir das nicht gleichzeitig auch in der virtuellen. Oder kennt Facebook dank der neuen Privatsphäreeinsstellungen neben meinem Geburtstag jetzt neuerdings auch meinen Sterbetag?

Kontakt mit den Toten

Mit dem Sterben im Netz haben sich bisher sowohl Betreiber als auch Nutzer kaum auseinandergesetzt. Seit Kurzem erst gibt es dahingende Überlegungen seitens der Anbieter. Facebook zum Beispiel hat sich Ende letzten Jahres erste Gedanken zum virtuellen Sterben gemacht. Damals ist gerade das "Reconnect"-Feature erprobt worden. Freunde, die via Facebook schon länger nicht in Kontakt getreten sind, sollten dazu angeregt werden, einander wieder mehr Zeit zu widmen. So übte Facebook erstmals mit den Aufforderungen "Say Hello!" und "Schreib an ihre/seine Pinnwand". Mit diesen Neuerungen schlug die Plattform jetzt aber auch vor, sich mit bereits verstorbenen Facebook-Freunden in Verbindung zu setzen. Die Beschwerden häuften sich.

BFFE, weil der Tod uns nicht scheidet

Facebook konnte den Tod nicht länger ignorieren, also erfand es den sogenannten "Gedenkstatus". Angehörige eines verstorbenen Nutzers können diesen nach Ausfüllen eines besonderen Formulars über das verwaiste Profil verhängen lassen. Nach Erhalt eines "Todesnachweises"
versucht sich Facebook zunächst mit dem für verstorben gemeldeten User in Verbindung zu setzen. Gelingt die Kontaktaufnahme nicht - was naturgemäß des öfteren der Fall ist - wird der Nutzer seitens der Plattform für tot erklärt. Bestimmte Features wie Kontaktinformationen und Status Updates werden entfernt, das Profil des Verstorbenen bleibt aber aktiv und zugänglich. Anstupsen soll man einen verstorbenen Facebookfreund im Gedenkstatus nicht können. Zumindest nicht auf virtueller Ebene. Dafür dessen Partyfotos kommentieren. Die Pinnwand wird zum digitalen Kondulenzbuch, Freunde können weiterhin Kommentare hinterlassen und mit dem Verstorbenen befreundet bleiben.

Nachwelt 2.0

Mit dem Memorial Status fördert Facebook das Entstehen eines neuartigen Verständnisses für Nachlass und Nachleben und eine noch nicht dagewesene Form von Trauerarbeit. Verstorbene User bleiben geisterhaft präsent. "Ruhe in Frieden" und bleib’ dabei, dank Facebook immer am Puls der Zeit.

Facebook sagt:

"Solltest du eine Entfernung des Kontos von Facebook beantragen, aber kein unmittelbarer Familienangehöriger sein, wird deine Anfrage nicht bearbeitet. Allerdings wird das Konto im Gedenkzustand aufrecht erhalten."

Facebook lebt von Werbung und von der Anzahl seiner Nutzer, egal ob am Leben oder nicht. Der Gedenkstatus bietet somit nicht nur den Angehörigen eine Trauer- und Erinnerungsplattform, sondern Facebook selbst eine potentielle Einnahmequelle. Die Alternative zum Gedenkstatus, das vollkommene Löschen des verwaisten Profils, ist bei weitem nicht so attraktiv gestaltet. Nur unmittelbare Familienangehörige können das Löschen in Form eines speziellen Formulars, das es zunächst aufzuspüren gilt, beantragen. Wird die Anfrage genehmigt, gehen mit dem Profil aber auch alle im nunmehr besitzerlosen Konto gespeicherten persönlichen Nachrichten, Fotos usw. für immer verloren. Kennt man die Zugangsdaten zum Account des Verstorbenen nicht, erlaubt Facebook nämlich auch den engsten Familienmitgliedern keinen Zugriff auf diese im Leben angesammelten Inhalte.

Auszug aus den Facebook Nutzungsbedingungen (Stand Sept. 10):

"Für Inhalte, die unter die Rechte an geistigem Eigentum fallen, wie Fotos und Videos ("IP-Inhalte"), erteilst du uns vorbehaltlich deiner Privatsphäre- und Anwendungseinstellungen die folgende Erlaubnis: Du gibst uns eine nicht-exklusive, übertragbare, unterlizenzierbare, unentgeltliche, weltweite Lizenz für die Nutzung jeglicher IP-Inhalte, die du auf oder im Zusammenhang mit Facebook postest ("IP-Lizenz"). Diese IP-Lizenz endet, wenn du deine IP-Inhalte oder dein Konto löscht, außer deine Inhalte wurden mit anderen Nutzern geteilt und diese haben sie nicht gelöscht."

The dead and all their friends

Neben Facebook besitzen wir auch noch eine Reihe anderer Online-Konten. Das sind E-Mail-Konten, die Accounts bei Twitter, Flickr, Youtube, LastFM, Amazon, usw. Wenn wir sterben, gehören alle diese Konten dem jeweiligen Betreiber. Die personenbezogenen Daten sind mit unserem Ableben nicht mehr geschützt, der Datenschutz endet nämlich mit dem Tod. Mit den Daten wie Namen und Anschrift darf der betreffende Betreiber dann also so ziemlich alles machen, was er will. Materieller Nachlass wie Schriften, Briefe und Fotos vom letzten Trip nach Barcelona, geht, wenn wir sterben, automatisch auf unsere Erben über. In der virtuellen Welt herrschen eigene Gesetze.

Das Schicksal unserer digitalen Verlassenschaft, die wir zu Lebzeiten erstellt und hochgeladen haben, hängt maßgeblich von den Nutzungsbedingungen des jeweiligen Betreibers ab. Diese handhaben digitalen Nachlass sehr unterschiedlich. Die meisten, wie eben auch Facebook, geben die Zugangsdaten und somit den Inhalt des Accounts prinzipiell nicht frei und gestalten das Löschen des nunmehr besitzerlosen Kontos durchaus nicht einfach. Haben wir Kleingedrucktes zu Lebzeiten überlesen und Urheberrechte an Inhalten abgetreten, fallen diese mit unserem Tod vollkommen in den Besitz des betreffenden Betreibers. Solange das Konto eines Verstorbenen bei Facebook weiter exisitiert, dürfen Zuckerberg und Co alle darin gespeicherten Inhalte, Fotos, Videos usw. weiterhin "nutzen".

Update (1): "Lieber Nutzer, dein Freund XY ist tot."

Uneinheitlich wird auch gehandhabt, ob alle, die mit einem verstorbenen User online in Kontakt gestanden sind, über dessen Tod benachrichtigt werden sollen. Woher aber soll die Freundin, die man im Austauschjahr kennengelernet hat, sonst wissen, wieso man auf einmal kein Lebenszeichen mehr von sich gibt? Deine Telefonnummer hat sie nie besessen, geschweige denn kannte sie deine letzte Adresse. Und Facebook sagt, dass man keine common friends hat, die ihr über den Tod eines Kontaktes in ihrer friendslist Bescheid geben könnten. Wenn nicht der Gedenkstatus im Profil des Verstorbenen Einzug gehalten hat, hat sie keine Ahnung.

Das Geschäft mit dem Tod

Die Marktlücke für Todesbewältigung im Netz wurde entdeckt und gefüllt. My Webwill aus Schweden zum Beispiel bietet seinen Dienst seit Sommer weltweit an. Ein paar Euros überwiesen, die Passwörter verraten und schon kümmert sich die Firma um unseren digitalen Nachlass. Und verhilft uns dabei sogar zu Tweets aus dem Jenseits.

Gestorben wird immer

Was das Sterben im Netz betrifft, herrscht eine große Unübersichtlichkeit, sowohl in rechtlicher, als auch in ethischer und moralischer Hinsicht. Soll dem virtuellen Leben eines Verstorbenen in jeder Relation ein Ende gesetzt werden, müssen fast immer die Angehörigen eingreifen. Wenn man diesen einen Marathon im Versenden von Todesbeweisen, Sterbeurkunden und Testamentskopien ersparen will, sind leicht knackbare Passwörter vielleicht doch nicht schlecht. Oder man hortet überhaupt alle wichtigen Online-Zugangsdaten an einem Ort gleich neben denen zum mehr oder minder gedeckten Konto, Sparbuch und dem Golddukaten von der Oma, bereit nach dem Tod gefunden und benutzt zu werden. Privatsphäre adé. Von der hat man sich sowieso schon mit der Anmeldung bei Facebook verabschiedet.

Welchen Lösungsansatz man auch immer als einen denkbaren erachtet, schaden tut es wohl nicht, Überlegungen zum eigenen virtuellen Sterben anzustellen. Je größer und älter die Internetgemeinde wird, desto wichtiger wird die Frage, wie wir einmal unser digitales Leben würdevoll beenden wollen. Stellen wir uns dieser Frage nicht, haben wir heute schon die besten Voraussetzungen, ewig in der virtuellen Welt weiterzuleben.