Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Gothic light"

Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

23. 10. 2010 - 17:28

Gothic light

Die deutschsprachige Rollenspielserie hat einen neuen Entwickler und ist geradliniger geworden. Doch trotz der aufgescheuchten Fachpresse ist "Gothic 4" keine Enttäuschung.

Er hätte generell ein Problem mit "diesen komischen, deutschen Rollenspielen", vertraut mir der Kollege aus der Bundesrepublik an. Ob das Teil der Selbstgeißelungsmentalität der deutschen Nachkriegsgenerationen ist oder bloß aufrichtiges Desinteresse, ist mir dabei nicht ganz klar geworden. Fest steht: Die im deutschsprachigen Raum entwickelte und populär gewordene PC-Rollenspielserie "Gothic" ist nie cool oder schlau gewesen. Dreckig, grob, groß, gefährlich und faszinierend schon eher, sowohl in technischer als auch in spielerischer Hinsicht.

Prügelknabe

Ebenso pöbelnd wie die namenlosen Helden aus den "Gothic"-Spielen verhalten sich jetzt die deutschsprachige Fachpresse, die konservative Fanbasis und die erst vor wenigen Jahren hinzugestoßenen internationalen Reviewer, die zur Zeit des dritten Teils langsam begonnen haben, die Serie zu entdecken - leider an einem Punkt, an dem diese ihre bislang beste Zeit bereits hinter sich hatte.

Weil die ehemaligen "Gothic"-Macher die Rechte an ihrer Serie verloren haben, ist einfach eine neue begonnen worden. "Risen" ist bereits 2009 erschienen und wurde ebenfalls auf fm4.ORF.at besprochen.

Der namenlose Held aus dem Computerspiel "Gothic 4".

JoWood/Spellbound

Das ehemalige stolze Vorzeigeprojekt wird nun in unzähligen Reviews verachtet und teilweise wegen jener Features, die ehemals als kennzeichnend für die Serie verteidigt wurden, an die Wand gestellt. Der größte Affront für die Pöbler ist die Tatsache, dass sich die ehemaligen Entwickler Piranha Bytes und der österreichische Vertrieb JoWood nach Teil drei zerstritten haben und die Rechte der Serie beim Publisher geblieben sind. Piranha Bytes ist bekannt dafür, auf höchst unorthodoxe Weise seine Spiele zu skripten und zusammenzustoppeln, JoWood genießt durch sein permanentes finanzielles Chaos sowohl bei Spielern als auch Spielemachern keinen guten Ruf. Ein exzentrisches Spieleentwicklerstudio und ein desperater Games-Verlag? Naturgemäß kein glückliches Team. So sind nach getrennten Wegen dem vierten "Gothic"-Teil, "Arcania", von Anfang an böse und misstrauische Blicke in die Wiege gelegt worden.

Messen mit zweierlei Maß

Jetzt, wo "Arcania" veröffentlicht ist, tritt alles reflexhaft so ein, wie es zu erwarten war: Das Spiel sei zu restriktiv, zu repetitiv, zu kurz, lauten die Vorwürfe. Die Dialoge wären dumm, die 3D-Modelle uninspiriert und hässlich, die Missionen dröge und nicht herausfordernd. Das hier sei doch kein wahres "Gothic" mehr!

Eine Burg an einem Felsen direkt über einem See - eine Spieleszene aus dem Computerspiel "Gothic 4".

JoWood/Spellbound

Die augenscheinlichste Änderung ist der Umstand, dass "Gothic" mit Teil 4 tatsächlich zu einem leichter zugänglichen, verhältnismäßig linearen Rollenspiel geworden ist. Erst in den höheren zwei einstellbaren Schwierigkeitsstufen wird es ähnlich herausfordernd wie früher, und die Freiheit der vorigen Teile ist nur noch in Bruchstücken vorhanden. Die Geschichte verläuft geradlinig, nur wenige Nebenmissionen dürfen parallel stattfinden, das freie Herumstreunen durch die Welt wurde erschwert bis unmöglich gemacht.

Abgesehen von dieser grundlegenden Design-Entscheidung ist "Arcania" aber ein Game, dessen Entwickler Spellbound fast schon unterwürfig das Wesen der früheren Serienteile reproduziert: Die prachtvollen, von Hand designten Landschaften, die ruppigen, stellenweise humorvollen Dialoge, das halbe Dutzend bekannter Charaktere, die Scavenger, Feldräuber und Minecrawler. Dass auch die durchwachsenen Elemente teilweise übernommen wurden, ist zweifellos eine kuriose Entscheidung von JoWood/Spellbound, aber auch sie macht in Bezug auf den immer schon etwas schrulligen Charme von "Gothic" Sinn. Die Missionsdialoge waren noch nie schlau, die Figurmodelle in den seltensten Fällen ästhetisch ansprechend und die künstliche Unintelligenz der Monster sorgt seit dem ersten Teil für gute Unterhaltung. Ob diese Elemente für ein glaubwürdiges Fortsetzen der Serie tatsächlich notwendig sind, ist eine berechtigte Frage. Vermutlich lautet die Antwort: Nein. Aus der Beibehaltung dieser Features dem neuen Teil der Serie aber nun einen Strick zu drehen, ist unfair und zu kurz gedacht.

Der namenlose Held aus dem Computerspiel "Gothic 4" kämpft in einem Verlies gegen schwarze Goblins.

JoWood/Spellbound

Solide Auftragsarbeit

Ich erinnere mich an die erste Gamescom 2009 in Köln, wo man bereits durch die hübsche, aber noch vollkommen sterile Welt von "Arcania" laufen konnte. Wie diese leere, digitale Schachtel mit der legendären Quantität an Inhalten gefüllt werden sollte, die Piranha Bytes' Spiele so beliebt machen, konnte ich mir damals beim besten Willen nicht vorstellen. Dass "Arcania" - trotz seiner Linearität - nun letztendlich doch noch so gut mit Content bestückt wurde, ist bemerkenswert.

"Arcania - Gothic 4" ist für PC Windows und Xbox 360 erschienen. Getestet wurde die PC-Version. Anfang 2011 soll das Game zusätzlich für die PlayStation 3 erscheinen.

Es ist natürlich schade, dass ich nicht mehr einfach so in den Wald laufen kann und mich kurz danach komplett in der Weite eines alten "Gothic" verliere. Dass ich nicht mehr jeden non-player-character angreifen, nicht mehr stehlen und bei individuellen Ausbildnern im Spiel lernen kann. Dafür erlaubt mir "Arcania" auch ein "Gothic"-Spieleerlebnis, in das ich nicht viele Stunden versenken muss, um voranzukommen. Es ist ein "Gothic" light, das in technischer Hinsicht übrigens auffallend runder und aufgeräumter ausgefallen ist. Grafische Macken gibt es weiterhin, doch Abstürze gehören der Vergangenheit an. Für rund 15 bis 20 Stunden wird man gut unterhalten, das alte Flair der Serie ist erhalten geblieben - nicht zuletzt wegen der Orks, die natürlich auch dieses Mal wieder mit dabei sind und sowohl gute als auch böse Rollen übernehmen. So, wie dem namenlosen Helden im Spiel sei an dieser Stelle auch den aufgeschlossenen Fans und Entwicklern ihr Schlachtruf zugerufen: Wehr' dich, Morra!