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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

23. 10. 2010 - 21:28

Dröhnen, Stolpern

Der Freitag beim Elevate-Festival in Graz: Oneohtrix Point Never, Mount Kimbie, Emeralds, Jamie xx, Joy Orbison

Der Freitag ist, was die Breitenwirksamkeit der ins Programm geholten Namen anbelangt, der am stärksten gebuchte Tag des Elevate. In der noch vergleichsweise jungen Nacht bedient in der kleinen Höhle der Uhrturm Kasematte Daniel Lopatin Effektgeräte und seinen Juno Roland Synthesizer, auf dem dank Modifzierung durch schwarzes Gaffa bloß noch „no land“ zu lesen steht. Er schickt ein wohliges Brummen und Dröhnen in den Raum. Der aus Boston stammende kosmische Synthesizer-Forscher Lopatin hat dieses Jahr nach etlichen CD-Roms und Tapes beim wieder erstarkten, großartigen Wiener Label Editions Mego das erste offizielle Album seines Projekts Oneohtrix Point Never veröffentlicht. Auf „Returnal“ - zweifelloses eines der besten und schönsten Alben des Jahres - entwirft Lopatin vernebelte Ambientwände und stellt am analogen Gerätepark das Knistern des Universums nach, dabei baut er verstärkt auf den erhellenden Wohlklang, den so ein Arpeggio mit sich bringen kann, unter der Oberfläche pulsiert sanft Lopatins Vorliebe für cheesy 80er-Pop und HipHop.

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Oneohtrix  Point Never

Philipp L'heritier

Oneohtrix Point Never

Man kann von fulminanten Konzerten von Oneohtrix Point Never lesen und hören, bei denen Lopatin wild durch die Gegenden von Dub, Noise, Ambient, HipHop, Drone, gar House gewandert, kleine RnB-Vocal-Schnipsel in den Mix geschnitten und aus all den Klangmaterialien beinahe schon das Singen der Zukunft destilliert haben soll. Beim Elevate Festival scheint er an der Erkundung der Weltformel nur wenig interessiert zu sein: Er stellt bebende Drones in die Nacht, die scharf Richtung Noise drängen, dazwischen zwitschern mitunter New-Age-Harmonien - beinahe schon kann man die Delphine weinen hören. Das ist laut, im bestmöglichen Sinne erdrückend, die Seele reinigend und auch sehr gut, bei all dem Lorbeer aber, der Oneohtrix Point Never als aktuellem Posterboy der abenteuerlichen Sound-Expedition vorauseilt, auch ein wenig konventionell, einen Touch enttäuschend und klingt an diesem Tag ein bisschen nach bloßer Diensterfüllung. Trotzdem super, der Typ.

Oneohtrix Point Never

Philipp L'heritier

Mount Kimbie

Philipp L'heritier

Mount Kimbie

Die Überleitung in die große Halle legt der Grazer DJ Cheever: Als letzten Track vor dem Auftritt von Mount Kimbie spielt er das Stück "Everything Is Working" von der Gruppe Games - einem neuen Duo-Projekt von Daniel Lopatin, das sich noch stärker RnB und Synthie-Pop widmet. Die beiden jungen Engländer Dominic Maker und Kai Campos haben mit "Crooks & Lovers", dem Debüt-Album ihres Projekts Mount Kimbie, ebenfalls - man muss es noch einmal sagen - eine Platte des Jahres veröffentlich. Auf dem losen Fundament von sehr weitläufig als besonders breites ästhetisches Feld verstandenem Dubstep dehnt sich da ein futuristischer Musikentwurf weit in alle möglichen Richtungen, nach Folk-Pop und Garage, Indietronica und Postrock, wenn man so will, und bleibt dabei dennoch vollkommen leicht versteh- und hörbar.

Live werden - ähnlich wie beim gestrigen Konzert von Walls - beim Auftritt von Mount Kimbie wieder ein wenig die Gräben zwischen Konzert zum Zuhören und absolutem Feierwillen im Publikum deutlich. Nicht wenige stehen der kleinteiligen Musik des Duos rat - und teilnahmslos gegenüber, anderswo wiederum geben sich echte "Fans" zu erkennen, die bekannte Stücke mit großem Hallo bejubeln. "Maybes" etwa, der nicht auf dem Album vertretene Überhit aus dem Jahr 2009, oder "Before I Move Off" - ein Höhepunkt auf "Crooks & Lovers". Neben Knöpfedrehen und Geräteverkabeln gibts nicht selten Gitarre, oder auch windschiefen Gesang, ein Auftritt, der eher "Indie-Modus" denn "slicker Producer-Typ" sagt. Nicht immer gelingt es Mount Kimbie ganz die doppelt und dreifach verspiegelte Vielschichtigkeit des Albums zu zweit auf der Bühne analog nachzustellen, dennoch ist die manchmal sympathisch in den Gelenken quietschende Wundermusik von Mount Kimbie ein Höhepunkt des Festivals. Popmusik, wie sie sein soll.

Mount Kimbie

Philipp L'heritier

Mount Kimbie

Philipp L'heritier

Emeralds

Philipp L'heritier

Emeralds

Das US-Amerikanische Trio Emeralds hat wie auch Oneohtrix Point Never vor kurzem ein sehr gutes Album bei Editions Mego veröffentlicht: Auf "Does It Look Like I'm Here?" geht es auch um süßlich vibrierende Drones und gleitende Ambientflächen, hier wird der Fokus aber verstärkt auf die Gitarrenarbeit gelegt. Wo bei Daniel Lopatin eher ein elektronischer Charakter herausgearbeitet wird, befinden wir uns mit den Emeralds - live immerhin - in der Gegend Glenn Branca/Sonic Youth /Rhys Chatham, in der Verschränkung von Minimal Music und Punk. So gerieren sich die drei Herren von Emeralds an zweimal Synthesizer und einmal Gitarre in Posen und Verrenkungen auch eher als Rockband. Das ist wild und lustig und sehr gut, mit einer runden halben Stunde Spieldauer leider auch ein bisschen kurz. Währenddessen hat man, auf der Uhrturm Kasematten mit dem Kopf nickend, Gerüchten zufolgen im Hauptraum einen den Dancefloor zerlegenden Auftritt von Pursuit Grooves versäumt.

Emeralds

Philipp L'heritier

Emeralds
Jamie xx

Philipp L'heritier

Jamie xx

Zwei DJ-Sets am Mainfloor retten die Nacht in eine überwältigende vorletzte Runde: "Post-Dubstep" war die Nacht im Dom im Berg thematisch überschrieben - was zwei noch sehr junge Herrn, die man eher als Musiker/Produzenten denn als Plattendreher kennt, da - nacheinander - unter dieser losen Vorgabe mit echtem Vinyl auf die Plattenteller zaubern, soll Richtschnur für so manch einen spröden Techno-DJ sein. Jamie xx, der für gewöhnlich für die awardwinning Band The xx die Beats aus dem Gerät drückt, und Joy Orbison, quasi DER Wonderboy im Reich Postdupstep, errichten zwei Wunderwerke voller verstolperter Beats. Mal sich stärker Richtung Funky oder 2-Step lehnend, dann wieder sauber die Pop-Sensibiltät ausspielend. Auffällig ist die Tendenz aktuellerer Produktionen zerhackte RnB-Vocals zwischen die Beats zu schmeißen.

Am Besten sind ja dann trotzdem doch immer die Hits: Jamie xx streut "Shelter" von seiner Stammband ins Set, auch seinen neuen, eigenen Solo-Track "Far Nearer" samt Steel-Drum-Action, und beendet seinen Auftritt mit dem immer noch nicht totgehörten Florence-And-The-Machine/The xx-Cover/Remix/Crossover "You've Got The Love". Joy Orbison nimmt den Ball auf, startet mit "Gipsy Woman" von Crystal Waters, intergriert eigenen Stuff und endet mit - Achtung - "HYPH MNGO". Hat schon mal jemand erwähnt, dass dieser Track so ziemlich der beste des letzten Jahres war und vermutlich nie sterben wird? Danach kann man unruhig schlafen gehen.

Joy orbison

Philipp L'heritier

Joy Orbison
Publikum Elevate

Philipp L'heritier