Erstellt am: 23. 10. 2010 - 17:17 Uhr
Garten mit Mauer und Wolke
Handymuseum
Eine C-Netz-Gurke.
Meine Mitmenschen verzeihen es mir meistens, wenn ich mich als Handyauskenner gebärde. Sie sahen mich schon 1993 mit einem Mobiltelefon herumlaufen. Die prähistorische Handgurke wog damals ein gefühltes halbes Kilogramm, funkte analog im C-Netz (das Rauschen, sag ich euch, das Rauschen!) und die Akkus waren so schwach, dass ich sie mehrmals am Tag wechseln musste (meistens in der Mitte eines Telefonats).
Mein erstes GSM-Handy, ein Testgerät im Jahr 1995, überraschte mich mit geringem Gewicht, einem Akku, der einen Tag hielt und rauschfreiem Sound - und ich gehörte zu den ersten Usern Europas, die eine sagenhafte neue Funktion namens "Short Messaging Service" ausprobieren durften. Ekstase!
Wenig später ließ ich mir dann auch den Prototypen des ersten internetfähigen Handys kommen. 1996 surfte ich das erste Mal in der Straßenbahn mit dem Laptop im World Wide Web. Die Blicke der Fahrgäste waren erstaunt, denn die meisten hatten weder vom WWW, noch von GPRS je gehört.
1998 rümpfte Musikerkollege G. von der Band H. die Nase, weil ich im Tourbus eine Fachzeitschrift für Mobiltelefonie las: "Oida, du liest a Heft über Handys?" Ein schickes Eifon hat sich der G. dann aber doch auch gekauft. Sieben Jahre nachdem ich mein erstes Smartphone hatte, Oida.
T-Mobile
Der MDA von HTC, ein halbes Jahrzehnt vor dem iPhone.
Mein erstes Smartphone war von HTC. Es hieß in Österreich MDA und lief mit Windows CE, einem Betriebssystem, für das es einige hunderttausend Applikationen mehr gibt, als fürs iPhone. Allerdings ist das Finden und Installieren dieser Anwendungen ein wenig mühsam, sodass es sich kaum jemand antut. Die alten Windows-CE-Smartphones hatten neben der Softwarevielfalt aber auch andere Stärken: Zum Beispiel den mühelosen Abgleich von Kontakten, Kalenderdaten und E-Mails über ein kleines, schlankes Tool namens ActiveSync - also ganz ohne Bloatware wie iTunes. Oder die Freiheit, jede erdenkliche Software dafür zu entwickeln - ohne Apple-Zwangsgebühr für die Benützung der Entwicklertools und ohne Appstore-Zensur. Für einige Jahre waren Windows-Smartphones die beste Variante, einen kleinen Computer und ein Telefon in einem herumzutragen - bis Apple 2007 die Geräteklasse neu definierte: Multitouch statt Stiftbedienung, AppStore statt mühsamer Softwaresuche und die iTunes-Integration verwandelten das Smartphone vom Manager- und Nerd-Tool zum Lifestyle-Gadget. Google zog mit dem Android-Betriebssystem nach und hatte bald sogar den traditionell mit Microsoft kooperierenden Hersteller HTC an Bord. Und der Pionier Microsoft verlor rasant Marktanteile.
Microsoft
HTC 7 Trophy
Mauer
Umso spannender die seit Monaten angekündigte Neuauflage des mobilen Windows-Betriebssystems. Immer wieder war die Rede davon, dass es mit den Wurzeln brechen würde - tatsächlich steckt aber nach wie vor der Windows-CE-Kernel drin. Gebrochen hat Microsoft allerdings mit der Abwärtskompatibilität: Software für Windows Phone 7 wird vom zentralistischen "Marketplace" aus installiert, native Software wird dagegen nicht unterstützt. Deshalb funktionieren abertausende für Windows CE bzw. Windows Mobile verfügbare Anwendungen unter Windows Phone 7 nicht mehr - jedenfalls nicht ohne Hacks. Wichtige Anwendungen wie den alternativen Browser Firefox gibt es nicht. Gemischt ist gar kein Ausdruck für die Gefühle, die ich monatelang gegenüber den Plänen für Windows Phone 7 hatte. Apple ist der Auslöser dafür, dass Microsoft aus einer bisher relativ offenen Plattform ebenfalls einen Garten mit Mauer macht.
Wolke
Als ich das Testgerät, ein HTC 7 Trophy, schließlich in den Händen halte, stellt sich rasch ein angenehmes Gefühl ein. Das Design von Windows Phone 7 ist übersichtlich und logisch, die Navigation flüssig. Ich gebe die Login-Daten von Gmail und Facebook ein und das Smartphone holt sich Freunde, Telefonnummern und E-Mail-Adressen von dort. Meine 1500 Kontakte sind nach wenigen Minuten im Telefon. Schon früh wird klar, dass die Philosophie von Windows Phone 7 stärker an der "Cloud" orientiert ist als jene von iOS und Android. Ich schieße Fotos und sie werden automatisch im SkyDrive von WindowsLive abgelegt. Nützlich war das zum Beispiel letzten Donnestag, als ich bei der polizeilichen Räumung der Wagenburg fotografiert habe. Die Qualität der Bilder ist dank eines guten Objektivs und fünf Megapixeln sehr brauchbar. Das HTC 7 Trophy verfügt über einen LED-Blitz und eine Hardwaretaste, mit der auch fotografiert werden kann, wenn der Bildschirm gesperrt ist. Videos werden in beeindruckender HD-Qualität (720p) aufgenommen.
Burstup
Der Xbox-Live-Service, bekannt von Microsofts Spielkonsole, existiert auch auf Windows Phone 7, Vernetzung ist also auch in Hinblick auf Games angesagt: Nach der Anmeldung winkt mir mein Xbox-Avatar zu, meine Xbox-Erfolgspunkte werden angezeigt, die Onlinefreunde sehe ich dagegen nicht. Das Live-Spieleangebot für Windows Phone 7 ist noch nicht allzu üppig, enthält aber einige portierte Klassiker wie "de Blob" oder "Earthworm Jim". Für schnellen Nachschub an Games wird wohl der Umstand sorgen, dass Games mit bekannten Entwicklertools wie XNA geschrieben werden - ein Konzept, das auch auf der Xbox-Konsole seit Jahren für große Vielfalt sorgt.
Sync
Die starke Orientierung des Geräts an der Cloud erscheint mir allerdings nicht immer sinnvoll: Verzichtet wurde etwa auf die bisher übliche Outlook-Synchronisation mittels des kleinen ActiveSync-Tools. Stattdessen wird ausschließlich online über Exchange-Server bzw. WindowsLive synchronisiert - und wie das geht, wird nicht erklärt. Der Vergleich mit dem iPhone lässt Apple besser dastehen: Da wird der User zwar zur Nutzung von iTunes gezwungen, die Synchronisation mit Outlook & Co. erfolgt aber ebenfalls gleich dort. Ähnliche Funktionalität vermisst man aber auch in der Zune-Software, Microsofts Äquivalent zu iTunes.
Das Pendant zu Apples AppStore heisst bei Windows Phone 7 "Marketplace". Einige Tausend Applikationen stehen derzeit bereit. Ich installiere Facebook, Twitter, Ebay, eine Wetter-App und den MSN Messenger. Skype finde ich leider nicht. Download und Installation der Applikationen funktionieren schnell und reibungslos. Mein Testgerät weigert sich allerdings, die verlangten Updates von sechs werkseitig installierten Applikationen einzuspielen. Die erhaltene Fehlermeldung erinnert mit ihrem kryptischen Zahlencode (c00cee2b) eher an die Zeiten von Windows 95. Laut Microsoft handelt es sich um eine Inkompatbilität meines Vorserienmodells zur finalen Version des Marketplace. In Verkaufsgeräten soll dieser Fehler angeblich nicht mehr auftreten. Ich frage mich allerdings, warum mein angebliches Vorserienmodell originalverpackt und verschweißt direkt aus einem A1-Shop gekommen ist. Immerhin aber war die Fehlermeldung bisher die einzige.
Installierte Applikationen werden alphabetisch in einer Liste angezeigt. Je mehr Applikationen ich installiere, umso länger wird die Liste. Von dort können sie lediglich auf den Startbildschirm und zurück in die Liste verschoben werden, Ordner gibt es nicht. Noch ist das kein Problem. Wenn man aber hunderte Apps installiert hat, geht die Übersicht wohl verloren.
Der Webbrowser, eine mobile Variante des Internet-Explorer, funktioniert flüssig, lässt aber einen Back-Button vermissen und unterstützt kein Flash. Youtube-Videos werden wie am iPhone mit einer Applikation geöffnet. Als ich den FM4-Livestream starten will, stelle ich fest, dass der Browser weder die mp3-, noch die WMA-Variante davon öffnen kann. Dass Microsoft nicht einmal das hauseigene Audioformat WMA im Browser unterstützt, ist mehr als kurios.
Die hauseigenen Office-Produkte werden dagegen besonders hervorgehoben: Mobile Versionen von Word, Excel und Powerpoint sind vorinstalliert und funktionieren gut. Copy & Paste vermisse ich hier allerdings schmerzlich - auf den alten Smartphones mit Windows CE konnte ich auf der virtuellen Tatstatur wie gewohnt CTRL C, CTRL V und CTRL X eintippen.
Ziyaretçi
Alle Geräte, auf denen Windows Phone 7 läuft, verfügen über einen Hardware-Button für die Suche. Er öffnet für gewöhnlich die Bing-Suchmaschine: Sie wurde in den letzten Monaten zunehmend brauchbarer, hat mit österreichischen Ergebnissen aber noch ihre liebe Not. Befindet man sich in einer Applikation, öffnet der Button kontextbezogen andere Suchfunktionen, etwa nach Kontakten, E-Mails oder Artikeln im Marketplace. Als ich in der Facebook-App nach einem Freund suchen will, funktioniert das leider nicht und ich komme zur Bing-Suchmaschine. Hier sind die App-Entwickler gefordert, die Möglichkeit der kontextbezogenen Suche auch zu nutzen. Zwei weitere Buttons am Gerät führen auf den Homebildschirm oder zum vorher aufgerufenen Bildschirm. Insgesamt finde ich das Arbeiten mit drei Tasten sinnvoller und bequemer als das Ein-Tasten-Konzept von Apple.
Fazit
Windows Phone 7 macht Spaß und beeindruckt mit umfangreichen Cloud-Services. Aber es fehlen wichtige Funktionen wie die lokale Synchronisation, Tethering oder Copy & Paste. Das ist unverständlich, weil diese Funktionen in früheren Versionen des Betriebssystems vorhanden waren. Es bleibt zu hoffen, dass sie mit dem nächsten Software-Update nachgeliefert werden. Auch die fehlende Rückwärtskompatibilität, für die es keine technischen Gründe gibt, schmerzt. Man merkt dem System die zehn Jahre lange Erfahrung Microsofts beim Thema Smartphones an. Windows Phone 7 ist eine ernstzunehmende Alternative zu Android und iOS. Doch es hätte der Konkurrenz mit weniger Anbiederung an deren Simplifizierungs-Strategien auch haushoch überlegen sein können.