Erstellt am: 23. 10. 2010 - 14:36 Uhr
Damengedecke in Edinburgh
Manchmal kann einem Deutschland mit seinen Debatten so auf die Nerven gehen, dass man sehr froh ist, der deutschen "Leitkultur" eine Zeit lang, etwa durch eine Einladung als "Writer in Residence" ins schottische Edinburgh zu entkommen.

Christiane Rösinger
Als "Writer in Residence" muss man ja, anders als beim deutschen Stadtschreibermodell, gar nichts produzieren, sondern sich nur ab und an mit den Germanistikstudenten der Universität unterhalten, so bleibt viel Zeit, um sich die Stadt anzuschauen.
Edinburgh ist auf mehreren vulkanischen Hügeln gebaut, was zu einem ständigen Auf und Ab der Straßen führt. Bei jeder Wendung tut sich ein neues prächtiges Stadtbild auf: hohe düstere Fassaden, Schlösser, die sich fast übertrieben dramatisch auf Felsenflanken erheben, wenn man es gar nicht erwartet sieht man plötzlich ein Stück Meer. Hier fühlt man sich auf einen Schlag in eine Gothic Novel oder einen Harry Potter-Film versetzt. Auch das Stadtmarketing setzt ganz auf die Schauerindustrie, es werden dutzende geführte Gruseltouren durch die verspuktesten Ecken Edinburghs angeboten.

Christiane Rösinger

Christiane Rösinger
Leider weht ein so scharfer Wind über der Stadt, dass man sich nicht recht für eine Tour durch das gruselige Edinburgh erwärmen kann. Außerdem muss man ja, will man eine Stadt kennen lernen, sich erst einmal die Infrastruktur schaffen. Die Unterkunft liegt etwas außerhalb vom Zentrum, ein riesiges, altes, kaltes Haus, in dem man sich in die Szenerie von "Gosford Park" versetzt fühlt. Die 85-jährige Inhaberin und Pensionswirtin Juliet spricht mehrere Sprachen, war früher für den englischen Secret Service tätig und verleiht dem Haus eine höchst aristokratische Note. In der Eingangshalle aber schon wird diese Hochherrschaftlichkeit wieder gebrochen , stolz hat man hier die gerahmte Seite eines modernen Magazins aufgestellt, in dem sich die hübsche, luftig gekleidete Enkelin des Hauses als "Babe of the Month" präsentiert.

Christiane Rösinger
Das wichtigste für die nächsten zwei Wochen in Edinburgh scheint also ein warmes Café zu sein, in dem man auch länger verweilen kann. Das "Elephant House" unweit der Uni weist im Schaufenster darauf hin, dass Joanne Rowling hier die ersten Teile der Harry Potter Saga geschrieben hat. Darauf vorbereitet in eine Tourifalle zu tappen überrascht das Cafe aber mit einem angenehmen, großen, gut geheizten Hinterzimmer, in dem tatsächlich mehrere Frauen mit ihren Laptops und Manuskripten an den Tischen sitzen und träumerisch hinaus auf die Burg blicken. Auch die sehr erfolgreichen Rebus-Krimis - der Edinburgher Komissar Rebus ist so etwa der schottische Wallander - sind hier entstanden. Das alles spricht für ein sehr gutes Feng Shui zum Bestsellerschreiben.

Christiane Rösinger
Die Edinburgher Ausgehkultur ist, nach ersten Auskünften der Uni-Kolleginnen, in etwa so wie man es aus England kennt: Man geht auch bei größter Kälte leicht bekleidet aus, um sich möglichst schnell zu betrinken und jemanden abzuschleppen. Die wilden Studententenjahre sind mit spätestens 25 vorbei, danach wird geheiratet, Schokoladenbrunnen und Brautjungfern sind ein Muss. Ganz so düster ist das Ausgehleben dann gar nicht, und schon die ersten Tage in Edinburgh haben Einblick in eine neue interessante Getränkekultur, eine Art Damengedeck, gebracht. Man sitzt in den bequemen Sesseln der wohnzimmerartigen Kinobars, bestellt Pfefferminztee und trinkt dazu in kleinen Schlucken milden Highland Park Whiskey, bis einem ganz warm ums Herz wird.