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Andreas Spechtl

Ist Sänger der Band "Ja, Panik" und lebt in Berlin.

22. 10. 2010 - 14:08

Kairo

Das Ja, Panik Tourtagebuch aus Ägypten: das Problem mit dem Alkohol, deutsche Austausch-Kiddies, fuck MTV und ein abgebrochenes Konzert

"I've been chasing ghosts and I don't like it
I wish someone would show me where to draw the line
I'd lay down my sword if you would take it
And tell everyone back home I'm doing fine"

John Cale, Dying On The Vine

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Auf Tour in Afrika - Ein Reise-Tagebuch von Andreas Spechtl:

  • Reisevorbereitungen: Letzter Tag in Ägypten, Ankunft im Sudan: Wind und Wasser
  • Alexandria: Erschöpfung, erste Proben, Tee im Straßencafé und die Sache mit den Mädchen
  • Kairo: das Problem mit dem Alkohol, deutsche Austausch-Kiddies, fuck MTV und ein abgebrochenes Konzert
  • Sudan: Letzter Tag in Ägypten, Ankunft im Sudan: Wind und Wasser

Am folgenden Tag haben wir bis zum Soundcheck frei. Wir verwenden die Zeit, um in aller Ruhe ausführlich zu frühstücken und im Meer schwimmen zu gehen. Um vier werden wir abgeholt und in die Bioblitheca gebracht.

Als wir ankommen ist schon alles vorbereitet, Schlagzeug und Keyboard sind aufgebaut und auch die Verstärker stehen bereits an ihren Plätzen. Ein Luxus, den wir uns auf all unseren Touren wünschen würden, da lassen sich auch die bulligen Marshall Transistor Verstärker, die man uns stolz präsentiert, leicht verkraften. Der Soundcheck verläuft soweit problemlos, wir bekommen einen äußerst fähigen und netten Tontechniker zur Seite gestellt, der sich, zum Glück frei von jeglichem Muckergehabe, voll und ganz auf unsere Wünsche und Vorstellungen einlässt. Wir sind erstmal beruhigt.

Bei einer Art arabischem McDonalds, in dem wir uns noch schnell vor dem Konzert etwas zu Essen holen, hören wir zu unserem Erstaunen eine orientalische Techno-Version von Stille Nacht. Ich schwitze wie ein Schwein, summe mit einem Lächeln im Gesicht die vertraute Melodie und esse ein Haloumi Fast Food Gericht. Mit einem Eis bewaffnet, Stracciatella-Kokos, gehts zurück vor die Bibliotheca.

Hier hat sich schon eine Traube an jungen Menschen gebildet, die uns mit glänzenden Augen erwartet und sich, völlig aufgeregt, unbedingt mit uns photographieren lassen will und um Autogramme bittet. Wir sind etwas perplex, lassen es aber ruhig über uns ergehen und posieren brav, bis auch jeder ein Foto von uns auf seinem Handy hat.

Backstage erwartet uns Thomas, der alte Anorexiker, mit Dosenbier, was außerhalb der Hotelanlage durchaus flüssigem Gold gleichkommt. Alkohol ist hier nur sehr schwer, zum Beispiel in einem speziellen Markt namens Drinkies, zu bekommen und selbst da kriegst du dein Gift nur in einer schwarzen, undurchsichtigen Plastiktüte ausgehändigt. Das nächste Problem ist dann die Konsumtion, trinken solltest du nämlich an öffentlichen Plätzen auch nicht, genauso wie du weder in Restaurants oder Bars fündig werden wirst. Ähnlich wie auch schon bei der Sache mit den Mädchen, scheint es hier ganz viele "solltest du nicht" zu geben, die, anders als es im Sudan sein wird, wo es, diese Dinge betreffend, echte staatliche Verbote gibt, keinem anderen Gesetz als dem der Religion folgen.

Es wird sich aber nichtsdestotrotz recht streng daran gehalten und das wird auch von uns verlangt. Also trinken wir unter den missbilligenden Blicken der Wachmänner, die hier an jeder Ecke stehen, schüchtern unser Bier im Backstageraum und werden schon bald danach von der Stagemanagerin zum Auftritt abgeholt. Sie führt uns bis zum hinteren Teil der Bühne, es ist ein großer schwarzer Vorhang gespannt, man hört keinen Mucks aus dem Saal.

Wir blicken uns an, kann es denn sein dass da jetzt doch keiner draußen ist? Klamm betreten wir die Bühne. Und nein, der Saal ist gut gefüllt und man empfängt uns mit warmem Applaus. Wir starten also in unser erstes Konzert außerhalb der GAS-Staaten. Der ausgesprochen schöne Saal hat auch einen ausgesprochen guten Klang, wir fühlen uns wohl und spielen ein für unsere Verhältnisse sehr entspanntes Konzert, ohne die ganz arg wüsten Noise- und Schrei-Einlagen.

Konzert in Alexandria

Andreas Spechtl

Das alexandrinische Publikum ist aufmerksam und klatscht an den richtigen Stellen, viel mehr kann man von einem Sitzkonzert nicht erwarten. Doch plötzlich, in der Mitte des Konzerts, ich glaube wir spielen gerade Zwischen 2 & 4, stehen einige auf, kommen bis ganz vor an die Bühne und fangen recht ausgelassen zu tanzen an. Es werden immer mehr, bis der Platz ganz ausgefüllt ist. Auf einmal kippt die Stimmung ins enthusiastische und sie wird es bis zum Ende des Konzerts bleiben.

Wir sind gerührt und freuen uns umso mehr, als wir direkt vor uns sogar drei Mädchen mit Kopftüchern wild tanzen sehen. Und auch die Tags zuvor eingeprobten Stücke mit den Musikern des Workshops funktionieren großartig. Veredelt durch die fremden Klänge und Tonleitern die die Jungs dem Ganzen beisteuern, fühlen wir uns selbst kurz an Graceland erinnert, und ich meine damit nicht den King.

Als wir nach dem letzten Stück die Bühne verlassen, können wir es gar nicht fassen, als wir in perfektem Deutsch vereinzelte Zugabe-Rufe hören. Wie wir später erfahren, hat sich wohl auch das eine oder andere deutsche Austausch-Kiddie hierher verirrt, was die Situation für uns aber nicht weniger absurd macht, im Gegenteil, hier mit einer Berlinerin zu sprechen, die uns aus Deutschland kennt, setzt dem ganzen noch eins drauf. Und als uns abschließend Daniel vom Goethe Institut erzählt, dass das Tanzen hier, wie eigentlich fast überall, verboten ist und er überrascht war, dass niemand vom Haus eingegriffen hat, verlassen wir vollends zufrieden und aufgekratzt den Saal um zum Abschied noch mit allen Beteiligten in eins der Straßencafès zu gehen.

Es wird wieder Shisha geraucht und Tee getrunken. Ich bestelle außerdem übermütig einen ägyptischen Kaffee, eine dickflüssige schwarze Soße, in der Zubereitung wohl nicht anders als türkischer Kaffee, der mich Stunden später noch schwitzend im Bett liegen und nur dreieinhalb Stunden schlafen lassen wird.

Nachdem sich nach und nach alle verabschieden, bleiben wir mit den Musikern zurück, die sich nicht von uns trennen wollen und sehr wehmütig der baldigen Verabschiedung entgegenblicken. Mantraartig wiederholen sie in herzerreissendem Englisch wie sehr sie uns vermissen werden und dass wir doch unbedingt wieder kommen sollen. Die Jungs lassen es sich nicht nehmen, uns nach Hause zu bringen und bevor wir ins Hotel verschwinden, biegen wir noch runter zum Strand, wo wir unser letztes Bier auf einer Bank unter Palmen trinken. Hier wäre das völlig okay, das sei Touristengegend, versichern sie uns, die wir schon völlig obrigkeitshörig und übervorsichtig zu sein scheinen. So schnell kanns gehen.

Wir sitzen eine Weile zusammen, sprechen über dies und das, wiedermal ist Religion ein großes Thema, aber auch Musik. Wir sind alle total geschockt als wir bemerken, dass sie Bob Dylan nicht kennen, geschweige denn Bands wie Velvet Underground. Ich blicke in die ungleiche Runde, das Bier fährt mir langsam und angenehm ins Blut, und ich kann spüren wie meine Sorgen zwar nicht abfallen, aber sich an diesem fremden Ort nur noch wie ein dekadenter Spleen anfühlen und so kann ich nicht anders und ich denke mir, jetzt bin ich also hier, tausende Kilometer von zuhause entfernt, das erste Mal seit langem irgendwie glücklich.

Bevor wir gehen packen sie ihre Gitarre aus, um uns zum Abschied in engelsgleicher Vielstimmigkeit ein arabisches Lied zu singen. Wir lassen es uns nicht nehmen und spielen ihnen wiederum eine recht gospelige Version von Dying on the Vine, worauf man sich gegenseitig in die Nacht entlässt. Farewell.

Jamsession am Meer

Andreas Spechtl

Am nächsten Morgen verpassen wir dann beinahe unseren Zug nach Kairo, weil das Internet dermaßen langsam ist, dass das Raufladen von einer handvoll Fotos an Susi (of FM4 Fame) fünf gefühlte Ewigkeiten dauert. Es geht sich aber alles noch aus und so finden wir uns bald in einem schmucken Zug, dessen besten Jahre zwar schon länger vorbei sind, in dem die liebevollen Arabesken an Sitz, Türen und Vorhängen aber noch immer eindrucksvoll daran erinnern und fallen erleichtert in die breiten Sitze.

Wir werfen durch die verdreckten Scheiben einen letzten Blick auf Alexandria und rauchen nach Jahren wieder einmal völlig legal und nicht auf der Toilette eine Zigarette im Zug. Langsam tuckeln wir durch die Vorstadt, bis wir das erste Mal in eine ländlichere Gegend kommen.

Parallel zu den Gleisen verläuft ein etwa zehn Meter breiter Fluss, am Ufer tummeln sich hochstelzige Vögel, Arbeiter mit Turban auf dem Kopf reiten auf Eseln durch die grünen Felder, das dichte Schilf lässt mich kurz an den Neusiedler See denken. Was mich überrascht ist, dass man nur sehr wenige Häuser zu sehen bekommt, obwohl Land und Leute zunehmend ländlicher werden, stehen immer noch die typischen heruntergekommenen Plattenbauten am Rande der staubigen Straße.

Wir kommen an einem wunderschönen alten Bahnhof vorbei, auf dem geschäftiges Treiben herrscht und ich bestaune Friedhöfe mit Gräbern in Form einer Halbkugel. Irgendwann falle ich in leichten Schlaf und werde erst geweckt, als wir am Stadtrand von Kairo das erste Mal halten.

Bahnhof von Kairo

Andreas Spechtl

Am Hauptbahnhof aussteigend bemerken wir sofort, dass es hier noch um einige Grad heißer als in Alexandria ist, wo die kühle Meeresbrise zumindest hin und wieder die Hitze hat erträglich werden lassen. Die ohnehin schon staubige Luft wird durch eine riesige Baustelle am Bahnhof praktisch uneinatembar. Wir versuchen uns auf dem völlig überfüllten Bahnsteig Richtung Ausgang durchzuschlagen, was sich als äußerst schwierig erweist. Zum Glück treffen wir da auf Frida vom Goethe Institut Kairo, die uns herzlich begrüßt und zum Wagen bringt.

Alles, was ich über den Verkehr in Alexandria geschrieben habe, kann man sich hier potenziert vorstellen. Über weite Strecken ist an ein Fortkommen einfach nicht zu denken. Eine elendslange, dröhnende Wurst aus Blech zieht sich durch die Straßen, ich schließe die Augen und versuche dem Hupkonzert Rhythmus und Melodie zu geben, also in gewisser Weise Sinn, aber es will mir einfach nicht gelingen. Auch hier wieder die kreative Architektur der beliebigen Erweiterung nach oben hin.

Uns stechen sofort die unzähligen schlanken Minarette ins Auge, die grazil in den Himmel ragen und eine unaufdringliche Eleganz besitzen, gegen die jeder Kirchturm wie ein grobschlächtiger Klotz wirkt.

Kairo, dicht bebaut

Andreas Spechtl

Die Stadt ist wahnsinnig dicht bebaut. Von der Brücke, über die wir fahren, sehen wir zeitweise nicht einmal mehr Straßen zwischen den Hochhäusern, die diesen Namen wirklich verdienen. Prunkbauten wechseln sich im Metertakt mit traurigem Elend ab, gleich neben dem Hilton sind schiefe halb zusammengestürzte Häuser, in denen aber offensichtlich Menschen wohnen.

Ich frage mich, wie das wohl mit dem Ausblick im Hilton ist, denke aber, dass die Suiten in die andere Richtung, zum Nil gewandt, gelegen sind. Und dann ist die Stadt doch immer wieder auch sehr grün, wir kommen an weitläufigen Gärten vorbei, die jedoch, wie wir später erfahren, eher der upperclass vorbehalten sind. Sie werden von den typisch ägyptischen Wachmännern in weiß streng bewacht und man muss am Eingang fast überall Eintritt zahlen.

Ja Panik kommen beim Hotel an

Andreas Spechtl

Irgendwann kommen wir dann doch noch ins Hotel Flamenco, wo unsere Gitarren schon auf uns warten und checken erstmal ein. Wir machen uns nur kurz frisch und werden dann von Frida in ein kleines Restaurant um die Ecke geführt. Schon bei der Herfahrt habe ich mir gedacht, dass Alexandria, im Gegensatz zu Kairo, rückblickend wie ein kleines Fischerdorf am Mittelmeer wirkt und während wir durch die Straßen laufen, bemerke ich, dass es hier doch überraschend westlich zugeht.

Beim Essen erzählt Frida dann, dass Zamalek, so der Name des Viertels, eine Insel auf dem Nil sei und zu den reichsten Gegenden Kairos gehöre. Auch die vielen Botschaften, die hier angesiedelt sind, brächten natürlich ein viel westlicheres Ambiente in die Straßen als anderswo in der Stadt. Als wir fertig gegessen haben, ruft auch schon ein gestresster Tontechniker an, um nach uns zu fragen und so beeilen wir uns zu unseren Gitarren und gehen die paar Meter zum Club zu Fuß. Ein weiteres Mal Nahtoderlebnisse beim Überqueren der Straße.

Das Cultural Wheel, in dem wir heute spielen werden, ist eine Art Kulturzentrum am Nil für Studenten und Schüler. Man liest und schreibt auf Steinbänken im wunderschönen grünen Innenhof oder sitzt unten am Wasser und ruft seine Emails ab. Alles in allem wirkt es hier sehr vertraut, als hätte man den Campus des alten AKH in ein pittoreskes Setting südwärts verlegt. Rechterhand kommt man dann in einen halboffenen Veranstaltungssaal, in dem auch das heutige Konzert stattfinden wird.

Wir klettern auf die Bühne, wieder ist alles vorbildlich für uns vorbereitet, der Soundcheck geht ratzfatz von statten, der Techniker ist derselbe wie gestern in Alexandria. Wir spielen zwar nur zwei Lieder an, aber ich bin schon danach bis auf die Unterwäsche durchgeschwitzt und so gehts erstmal zurück ins Hotel um zu duschen. Um 18 Uhr ist eine Art Pressekonferenz im Innenhof angesetzt, ich habe also Zeit.

Interviewsituation für Ja, Panik in Kairo

Andreas Spechtl

Zurück im Cultural Wheel, ist schon ein kleines Podium aufgebaut und wir werden Amro vorgestellt, der durch das Gespräch führen wird. Wir gehen die Fragen durch, rauchen noch eine Zigarette und besteigen dann etwas unsicher das Podium. Man startet mit ganz allgemeinen Fragen zur Geschichte der Band, zu Vorbildern, Musik und Texten.

Ich komme darauf, wie schwierig es ist, eine an sich ganz einfache Interviewsituation auf Englisch zu meistern, ganz speziell wenn es um die Texte geht. Es ist ja auch eine etwas verquere Ausgangslage, ein Ägypter stellt auf Englisch Fragen über deutsche Texte, die dann wiederum auf Englisch von einem Deutschen beantwortet werden, um danach von einer Dolmetscherin ins Arabische übersetzt zu werden. Es würde mich ja sehr interessieren, was da am Ende des unfreiwilligen Stille Post Spiels beim Publikum angekommen ist.

Auf jeden Fall funktioniert das alles mehr oder weniger gut, bis wir auf Politik, Major-Plattenfirmen und MTV zu sprechen kommen. Ich sage irgendwann, dass es uns eigentlich nicht interessiert auf MTV gespielt zu werden, was auf ziemliches Unverständnis stößt. Ich versuche zu erklären, dass ich keine Lust habe, zwischen diesem Advertisement-Wahnsinn ein Ja, Panik Video zu sehen, das entspreche nicht unserer Idee der Band. Und so entkommt mir irgendwann, zur Untermauerung meiner Position, ein fuck MTV.

Amros Blick gibt mir zu verstehen, einen Fehler gemacht zu haben, kleinlaut entschuldige ich mich. Die recht jungen Anwesenden sind aber eher belustigt, man wendet sich wieder leichteren Themen zu und beantwortet abschließend einige Fragen aus dem Publikum.

Diskussion und Interview in Kairo

Andreas Spechtl

Nach der Diskussion entschuldige ich mich nochmal bei Frida für mein Blackout, da ich ihr keine Probleme bereiten wollte, auch sie lacht und versichert mir, dass es schon okay und halb so schlimm sei, doch da kommt plötzlich eine aufgebrachte junge Frau auf mich zu. Sie baut sich bedrohlich vor mir auf und maßregelt mich in derbem Wiener Dialekt, was ich denn eigentlich glaube, so etwas hier auf einer Bühne zu sagen und dass ich mir gar nicht einbilden solle, ich könne derartiges später während des Konzerts bringen. Ich stehe da wie ein kleiner Schulbub und traue meine Ohren und Augen nicht. Ich stammle irgendeine Entschuldigung daher und entferne mich rasch.

Später erfahre ich, dass sie so etwas wie die rechte Hand des Leiters des "Cultural Wheel" ist. Langsam erlange ich die Fassung wieder und werde jetzt erst so richtig wütend. Da bin ich also seit vier Tagen in Ägypten, begegne ausnahmslos netten und höflichen Leuten und die erste negative Begegnung habe ich ausgerechnet mit einer Wienerin. Was soll ich dazu noch sagen? Diese Stadt sät anscheinend unlöschbaren Hass in jedes unglückliche Herz, das sich dort geboren finden muss. Man wird mir später berichten, dass sie an einer Stelle des Stückes "Ich bringe mich in Form", indem das Wort Arschloch recht prominent positioniert ist, sich noch einmal ziemlich aufregt und sogar damit droht, das Konzert abzubrechen, falls noch mehr von derartigem Wortgut folge. Zum Glück scheint die gute Frau aber nicht allzu genau hinzuhören, denn es gäbe da weit anstössigere Stellen in manchen unserer Songs, und so wird es zu einem Abbruch nicht kommen. Frida, die ich schnell ins Herz geschlossen habe, wird mir später unabhängig davon erzählen, dass Situationen wie diese immer wieder Fragen bei ihrer Arbeit fürs Goethe Institut aufwerfen.

Was kann, was soll man einem natürlich ganz anders sozialisiertem Publikum zumuten? Wo setzt die Aufklärung an und wo beginnt es kulturell unsensibel zu werden? Sie spricht über ihre Probleme, bestimmte Filme zeigen zu können, so zum Beispiel welche, in denen es um das Recht arabischer Frauen auf Abtreibungen geht. Und das ist, wenn die Blockaden noch dazu aus den eigenen Reihen kommen, eine in ihrem Kern rassistische Kleinmacherei.

Was maßt man sich denn an, wenn man, als jemand, der es ja selbst besser weiß, meint gewisse Dinge aus "kulturellen" Gründen einer unterdrückten oder unwissenden Gruppe vorenthalten zu müssen und die Entscheidungshoheit bei sich selbst zu behalten, weil man dem Gegenüber nicht zutraut für sich selbst zu wissen, an was für einem Leben er oder sie teilnehmen will?

Ich greife jetzt vor, aber es wird ein tolles Konzert werden, die Leute werden dankbar und froh sein, dass wir da waren und ich werde auch, beispielsweise mit Deutschstudenten, über meine Texte sprechen. Es ist ein großes Interesse da und ich höre nicht einmal, dass man sich an irgendeiner Zeile gestoßen hat. Vielleicht auch, weil diejenigen, die das taten, den Saal schon vorher verlassen haben und gar nicht mehr da sind, aber genau darum geht es ja, für sich selbst zu entscheiden, was man zu seiner Kultur macht und was nicht.

Was nimmt sich also eine hysterische europäische Trutschen heraus, die glaubt auf die armen, unschuldigen Muselman-Kinder aufpassen zu müssen? In einem ohnehin schon recht repressiven Land muss man die Sittenwächter nicht auch noch importieren.

Der Ja Panik Frontmann schaut grimmig und trinkt Bier

Andreas Spechtl

Gehen wir in der Zeit wieder zurück. Ich bin also sauer und beschließe, vor dem Konzert noch in die Hotelbar zu gehen. Dort kippe ich mir einen doppelten Wodka und ein großes Stella-Bier hinter die Binde und komme schön langsam wieder runter. Im Zimmer kleide ich mich dann ins obligatorische Schwarz und mache mich schon bald in Richtung Club auf. Was mich da an Interviewern und Fotografen erwartet, habe ich so noch bei keiner Releaseparty in good old europe erlebt.

Es ist ein Fernsehteam da, Radios und die verschiedensten Zeitungen. Außerdem kommen immer wieder Jugendliche auf uns zu, die sich unbedingt mit uns fotografieren lassen wollen. Wir wissen gar nicht, wie wir all dem begegnen sollen, machen aber bereitwillig mit und finden uns einige Zeit später, schon ziemlich erschöpft, im Backstage wieder. Es ist übrigens der mit Abstand reizendste Backstageraum den wir bis dato hatten, falls man eine kleine Terrasse, die auf den Nil raus geht, überhaupt so nennen kann.

Man beginnt Konzert Nummer zwei. Wir spielen etwas wüster als noch in Alexandria, vielleicht wegen des oben genannten Vorfalls, der Sound ist etwas undifferenzierter, aber doch recht gut, das Publikum ist reizend, auch wenn eher geschunkelt als getanzt wird, was ein weiteres Mal verboten ist, man hat uns vor dem Konzert extra darauf hingewiesen die Leute nicht dazu aufzufordern.

Alles klappt also gut, bis bei der Hälfte unseres Sets Christian todesbleich zu mir rüberkommt und meint, er müsse sich gleich übergeben und hastig die Bühne verlässt. Ich stammle ins Mikrofon: "Ah, I think Christian is collapsing!" und renne ihm hinterher. So wurde das Konzert also doch, wenn auch aus ganz anderen Gründen, abgebrochen und wir stehen ratlos auf der Backstageterrasse, während Christian seinen Mageninhalt dem Nil übergibt. Die Veranstalter kommen besorgt dazu, bringen auch eine Ärztin aus dem Publikum, man kann aber vorerst nicht viel für ihn tun. Wir sind uns alle recht schnell einig, dass es wohl am Salat gelegen haben muss, den Christian ein paar Stunden zuvor gegessen hat, man hat uns ja gewarnt, keine Früchte ohne Schale, keinen Salat, am besten gar nichts ungekochtes zu uns zu nehmen. Nach etwa 15 Minuten ist er aber soweit wieder klar, sein gesamter Speiseplan der letzten zwölf Stunden wurde mittlerweile den Fischen, die sich geschäftig am Ufer tummeln, zur Weiterverdauung überlassen und wir starten in die zweite Hälfte.

Ein großer Teil des Publikums kommt wieder brav in die Halle und wir spielen das Konzert tapfer fertig. Bis zum letzten Song hält Christian auch wirklich durch, nur bei den allerletzten Takten sehe ich ihn aus dem Augenwinkel wieder Richtung Nilufer sprinten. Frida besorgt ihm dann Tabletten und Zwieback und bringt ihn direkt nach dem Konzert ins Hotel.

Ja Panik essen

Andreas Spechtl

Wir führen noch ziemlich lange Gespräche, immer wieder kommt man auf uns zu, gibt uns die Hand, heißt uns herzlich in Egypt willkommen und bedankt sich für das Konzert. Wir werden mit Komplimenten überhäuft und kommen aus dem Staunen gar nicht raus. So treffen wir zum Beispiel auf zwei junge Mädchen, die enge Jeans, Converse und Kopftuch in einer interessanten Kombination tragen. Sie erzählen uns, dass sie seit zwei Wochen Ja, Panik Fans sind und schwärmen von unserem "Alles hin, hin, hin"-Video. Wir sind sichtlich gerührt.

Ganz zu Ende des Abends kommen zwei Jungs auf uns zu, sie meinen die Herausgeber des first egyptian indie magazine zu sein, wir beantworten ihnen kurz ein paar Fragen und sind überrascht, wie sehr die beiden das System Ja, Panik anscheinend verstanden haben, auf jeden Fall um Welten besser als jeder zweite deutsche Quasseljournalist. Wir reden also noch eine Weile über Dylan, Sonic Youth, Politics und die ägyptische Musikszene, bis endlich auch Miss Mary Jane, die sich in Alexandria noch so prüde verwehrt hat, vorbei schaut und zur Damenwahl bittet. Hier brechen die Aufzeichnungen abrupt ab und ich werde nicht mehr wissen, wie ich in mein Bett gefunden habe, wenn mich am nächsten Morgen der Muezzin zu einer gottlosen Uhrzeit wecken wird.

Ja Panik sitzen vorm Minarett

Andreas Spechtl