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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

22. 10. 2010 - 14:23

To protect and to protest

Umweltschutz, Subversion und der Umgang mit dem eigenen schlechten Gewissen. Die Eröffnung des Diskursprogramms beim Elevate-Festival in Graz.

"Diese Diskussion ist eigentlich sehr christlich", sage ich nach der Eröffnung des Elevate 2010-Diskursprogramms zu Bühnen-Host Johannes Grenzfurthner. Passenderweise ist zu diesem Zeitpunkt auch gerade Paradesünder und Sündenbüßer Fritz Ostermayer auf der Bühne des Grazer Dom im Berg. Es ist ein kleiner Heureka-Moment, der nicht nur mein eigenes Unwohlsein in Bezug auf nachhaltiges Leben, Umweltschutz und soziale Verantwortung humorvoll auf den Punkt bringt. Im Grund kommt man aus den Widersprüchen, dem Schönreden und der Ahnungslosigkeit nicht heraus. Je intensiver die Beschäftigung, desto größer die Ratlosigkeit - so scheint es zumindest oft.

Wir sind schuldig

Bill McKibbens internationales und sehr aktives Netzwerk im Kampf gegen die Klimakrise heißt 350.org.

Begonnen hat alles damit, dass Herr Grenzfurthner sehr mutige, grundlegende Fragen gestellt hat. Ans Publikum, vornehmlich aber an die per Videotelefonie zugeschaltenen Gäste: Umweltschutzexperte Bill McKibben aus den USA und Menschenrechtsaktivist Nnimmo Bassey aus Nigeria. Es waren Fragen wie: Sind Facebook und Twitter tatsächlich ernstzunehmende Tools zur Umsetzung globaler Probleme? Nützt der "Gefällt mir"-Button bei seriösen Projekten irgendjemandem oder für irgendetwas oder dient er nur dazu, sich selbst ein paar Stunden lang vorzuschwindeln, dass man an der Rettung der Welt aktiv Anteil nimmt?

Umweltaktivist Bill McKibben ist im Grazer Dom im Berg live per Internet und Vidiwall zugeschalten.

Robert Glashüttner

Technologie, so Grenzfurthner, hat noch nie und werde auch in Zukunft keine soziale Revolution einläuten. Stimmt, sagt Bill McKibben: Web 2.0-Anwendungen seien gute Tools für organisatorische Vorbereitungen und Öffentlichkeitsarbeit, doch sie ersetzen nicht den Gang auf die Straße, das Treffen von Menschen, der Druck auf Politik und Wirtschaft.

Und der Konsum?

"Ich weiß, dass die Produktion meines iPhones in China Menschen aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen mitunter in den Suizid führt - und trotzdem habe ich eines.", führt Grenzfurthner die Buße fort. Ist der Besitz eines Smartphones verwerflich? Ist die Tatsache des Bewusstseins dieser Widersprüche und Ungerechtigkeiten zynisch? Würde ein Verzicht auf diese Produkte bzw. eine Wahl von "grünen" Alternativprodukten etwas ändern oder verbessern? - Auch die per Internet zugeschaltenen Experten wissen darauf keine wirklichen Antworten. Aber: Gute Fragen. Wo soll das eigene sozialpolitische Engagement sinnvollerweise anfangen? Was tun gegen dieses ewige Ohnmachtsgefühl? Wann weiß ich, ob ich mir und meinen Mitmenschen nicht bloß etwas vorspiele, das in Wahrheit am Status Quo nichts ändert? Wo hört das Beruhigen des schlechten Gewissens auf und fängt Altruismus und der Wunsch nach wirklicher Veränderung an? Bin ich böse, wenn ich aufgrund der Schwere dieser Fragen kapituliere und einfach mein Leben lebe?

Subversion 2.0

Mehr Informationen über die bisherigen Aktionen von "The Yes Men" findet man gut gegliedert im dazugehörigen deutschen Wikipedia-Artikel.

Eng verwoben mit den Problemen unserer Welt sind die Kunst und ihre dramaturgischen Kniffe, auf diese Probleme aufmerksam zu machen. Provokationen aus der Zeit der Wiener Aktionisten funktionieren kaum noch. Gut gemeinte Grenzüberschreitungen der Kunst lassen in Wahrheit die Kluft zwischen Intellektuellen mit Fähigkeit zur Abstraktion und der sogenannten Arbeiterklasse, die Dinge oft so wahrnimmt, wie sie erscheinen, bloß größer werden anstatt Brücken zu bauen.

Wie man sich gegenwärtig abseits der eigenen Gemeinschaft, die ohnehin Bescheid weiß und immer artig klatscht, Gehör verschafft, beweisen die famosen "The Yes Men". Subversion und Manipulation finden hier in einer abgewandelten Variante von "If you can't fight them, join them" statt.

Johannes Grenzfurthner von der Wiener Kunstneigungsgruppe monochrom im Gespräch mit "The Yes Men"-Mitglied Mike Bonanno.

Robert Glashüttner

Mike Bonanno (rechts) im Gespräch mit Johannes Grenzfurthner

The Yes Men passen sich in Sprachduktus, Kleidung und Kommunikationsabläufen an die Welt der großen Konzerne an, um sie anschließend grandios zu unterwandern. Mike Bonanno, der am Elevate-Eröffnungsabend die Keynote hält, verblüfft mit der Effizienz der von ihm in vielen Beispielen vorgeführten "The Yes Men"-Methode. Durch sie stehen Dank schlauem Social Engineering plötzlich falsche Konzernsprecher in großen Live-Fernsehinterviews Rede und Antwort und bekennen sich zu ihrer sozial-ökologischen Schuld. Oder es werden gefakte Firmenchefs zu Konferenzen eingeladen, die dort dann absurde und teils diffamierende und Menschen verachtende Geschäftsideen einem gleichgültig reagierenden "Fachpublikum" vortragen.

Change!

Über das vorwärtsgewandte Musikprogramm des Elevate berichtet heute in aller Ausführlichkeit FM4 La Boum de luxe mit Natalie Brunner und Heinz Reich. Ab 21 Uhr 30.

Das Publikum bei der Eröffnung des Diskursprogramms des Elevate-Festival 2010 im Grazer Dom im Berg.

Robert Glashüttner

Bei allem Zweifel und Halbwissen ist klar: Das Diskurs-Programm des Elevate bringt in seinem Rahmen sehr viel in Bewegung und lädt alle bei freiem Eintritt zum Gespräch über die wirklich relevanten Themen ein - ganz ohne, dass man sich selbst dabei schlecht fühlen muss. Das Festival hat gerade erst begonnen. Heute, Freitag, startet um 15 Uhr das Programm im Forum Stadtpark in Graz, wo bis inklusive Montag Vorträge, Podiumsdiskussionen und Workshops stattfinden werden. FM4 begleitet das Festival mit laufender Berichterstattung, im Radio und natürlich hier auf der Website.