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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

22. 10. 2010 - 15:21

Einmal zwischen U und E, bitte!

Vergleichsweise kleines - gutes - Musikaufwärmprogramm am Eröffnungstag des Elevate-Festivals - und relative, unterschwellige Großartigkeit des englischen Duos Walls.

Während im Rahmen der erstmals innerhalb des Elevate-Festivals stattfindenden Literaturreihe "Hörgerede" - Untertitel "Festival Für Neuere Literatur & Klangkunst" - Sumpfist Fritz Ostermayer und der deutsche Allroundkosmonaut Felix Kubin im noch bestuhlten Hauptraum des Dom im Berg Text und Sound mit- und gegeneinanderverkeilen, ist am kleineren, zweiten Floor unter den Losungen "Dub Techno" und recht allgemein und dick "Bass", schon gegen 23 Uhr eine veritable Party am Kochen.

Traditionell wird der Eröffnungstag beim Elevate-Festival in Graz bei freiem Eintritt mit einem vergleichsweise kleinen Musikprogramm bespielt - wenn man schaut, was da alles noch kommen wird die nächsten Tage. Zum bequemen Hineinrutschen in ein an Extravaganzen nicht armes Wochenende. Nach den literarischen Verschränkungen von Kubin und Ostermayer, die nicht zuletzt die nicht gerade kleinen Themen Anarchie und Kapitalismus verhandeln, bastelt auf der großen Bühne das österreichische Trio Over At The Stars elektronische Popmusik, die bisweilen so zauberhaft knackst wie Indietronica anno 2000 und so klingt wie die Band heißt. Sehr schön, da und dort in kurzen Momenten droht die Angelegenheit ein bisschen ins tranige Fahrwasser von TripHop zu gleiten. Aber gut.

Ostermayer Kubin und Kinder

Philipp L'heritier

Felix Kubin, Fritz Ostermayer, Kinder
Kubin Ostermayer

Philipp L'heritier

Kubin, Ostermayer
Over At The Stars

Philipp L'heritier

Over At The Stars
Over at the Stars

Philipp L'heritier

Over At The Stars

Was danach folgt, kann man fürsorglich schon vorauseilend als einen Höhepunkt des ganzen Wochenendes abheften: Ob ein bisschen ein Zufall oder die komplette Auskennerschaft das italienisch-englische Duo Walls ins Programm des Elevate geführt hat, bleibt egal. Zwar hat das dieses Jahr bei der Kölner Techno-Traditions-Factory Kompakt veröffentlichte, sehr gute, selbstbetitelte Album von Walls da und dort positivste Kritiken eingefahren und haben die zwei Herren schon Remixe für solch Größen der avancierten Beat-Kunst wie The Field oder Pantha Du Prince gefertigt - wirklich groß flächendeckend wahrgenommen worden sind sie bis jetzt nicht. Sam Willis, der andernorts den Blog Allez-Allez, den man nie genug empfehlen kann, mitbetreibt und Alessio Natalizia, der hauptberuflich in seinem Weirdo-Pop-Projekt Banjo Or Freakout werkt, verschränken in ihrer gemeinsamen Band Walls Gitarren-Modulationen im Geiste von Shoegazing und rauschende Ambient-Flächen. Der Bandname ist hier ausnahmsweise Programm.

Walls

Philipp L'heritier

Sam Willis, Alessio Natalizia: Walls

Live haben Walls ihre Stücke etwas clubtauglicher ausstaffiert: Was auf dem Album teils ein einziges kosmisch-krautiges Mäandern ist, wird hier fallweise mit tendeziell subtilen Beats unterfüttert. Das freut die schon sehr zahlreich anwesenden Menschen und ihre Füße, dennoch fügen sich Walls nicht dem Diktat der Bassdrum. Viele neue, bislang unveröffentlichte Stücke werden in das Set integriert, Alessio Natalizia singt in verfremdeten, unverständlichen Zungen in sein Mikrofon, bearbeitet weltvergessen seine Gitarre, Sam Willis dreht und drückt. An- und abschwellende Soundwände, immer wieder wenn die Stimmung zu sehr Techno zu werden droht, drosseln Walls das Tempo und kochen ihre Musik auf ein abstraktes Blubbern hinunter und spielen so tatsächlich atemberaubend die Gegensätze von knisternder Listening-Elektronik und bloßer funktionaler Tanz-Musik gegeneinander aus.

Walls

Philipp L'heritier

Walls

"Langweilig" kann man da und dort die Lippen sich formen sehen, was wirklich nur in ganz wenigen Sekunden eventuell sehr kurz stimmen mag. Gut, wir sind gekommen um zu feiern und wir wollen den heißen Party-Beat hören, und nicht einem Musik-Konzert von einer der freundlichsten, coolsten, spannendsten und nettesten Bands des Jahres beiwohnen. Eine Band, die heuer ein Album veröffentlicht hat, auf dem irgendwie gar kein Rythmus und kein Funk drauf ist. Ein Höhepunkt des kulturellen Missverständnisses, als eine scheinbar leicht verwirrte junge Frau, die Bühne erklimmt und beim gerade ein Live-Konzert aufführenden Duo Walls einen Musikwunsch deponiert. "Spüts amoi härter!" vermutlich.

Walls Live

Philipp L'heritier

Walls

Insgesamt ist das Konzert von Walls ein völlig unaufdringlicher Triumph, der dann vom Publikum schließlich auch als solcher gewürdigt wird. Einen Takt lauter hätte es sein dürfen, schließlich handelt es sich bei Walls um Musik, die erst wenn sie in ihrer druckvollen Macht quasi körperlich erfahrbar wird, ihre ganze herrliche Pracht enfalten kann. Ein Auftritt mit durchaus auch der einen oder anderen kleinen Länge, noch nicht perfekt ausbalanciert und durchorchestriert, hier wird noch ein wenig probiert, geschraubt und getestet. Laptop auf der Bühne, der einfach vorgefertigte Clips startet, nein, das muss nicht sein, sagt Alessio Natalizia, wichtig ist der Live-Charakter, die Interaktion, und so auch das Fehlermachen. Walls, eine komplett wunderbare Band.

Danach gibt es dann eh Techno, und zwar ganz und gar nicht den Schlechtesten, serviert von lokalen Grazer DJs und Produzenten - wenn man Programmheft und vertrauenswürdigen Einflüsterern glauben darf, namentlich M.A.R.S. und Bernstein. Jetzt dürfen die Leute tanzen und heute, Freitag, werden sich - man kann es unter schweißbedeckter Stirn schon ahnen - die Höhepunkte überschlagen. Eintrag ins Notizbuch: Oneohtrix Point Never nicht versäumen.

Walls Equipment

Philipp L'heritier