Erstellt am: 22. 10. 2010 - 15:10 Uhr
Arm, aber sicher?
Was tut Österreich im EU-Jahr der Armutsbekämpfung gegen Armut im eigenen Land? Seit September gibt es in Österreich - nach langem politischen Gezerre - die "bedarfsorientierte Mindestsicherung". Ihr prominentestes Merkmal ist eine gewisse Vereinheitlichung der bislang je nach Bundesland unterschiedlichen Sozialhilfe. Im Gegensatz zu dem Konzept des "Grundeinkommens", mit dem sie gern verwechselt wird, ist die Mindestsicherung an die Bedingung gebunden, dass die Betroffenen "Arbeitswilligkeit" unter Beweis stellen müssen und zuerst ihr eigenes Vermögen weitgehend aufbrauchen.
Vom Rand ins Zentrum
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Die neue Regelung ist kein spontaner Sozialanfall der Regierung, sondern eine lang geforderte Antwort auf ein Problem: In Zeiten der Vollbeschäftigung war die Sozialhilfe ein Auffangnetz für Menschen mit besonderen Problemen (Behinderung, Schulden, Krankheit etc.), während die Mehrzahl der Menschen über Lohnarbeit und daran geknüpfte Sozialversicherung abgedeckt war. Mittlerweile hat sich die Zielgruppe ausgeweitet und verändert. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der BezieherInnen mehr als verdoppelt und zwei Drittel beziehen die Sozialhilfe neben einem Arbeitseinkommen. Sprich: die Sozialhilfe ist zu einer Ergänzungs- und Abfederungsmaßnahme für prekäre Arbeitsverhältnisse geworden, von deren Einkommen allein kein Auskommen zu erwirtschaften ist.
Soziale Sicherheit berechnen
Was bringt die neue Mindestsicherung? Laut Sozialvereinen liegen die Kosten für einen bescheidenen, aber angemessenen Lebensstandard eines Ein-Personen-Haushalts bei etwa 1200 Euro im Monat. Die Armutsschwelle (=60% des Medians des bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens, das sogenannte "mittlere Einkommen") beträgt laut EU-Definition für Österreich 951 Euro - das betrifft in Österreich 12,4% der Bevölkerung (rund eine Million Menschen). Wer bedarfsorientierte Mindestsicherung bezieht, hat 744 Euro pro Monat zu erwarten. Die Mindestsicherung wird nun nach längeren politischen Auseinandersetzungen nur zwölf mal (statt wie ursprünglich geplant vierzehn mal) pro Jahr ausbezahlt.
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Die Höhe wurde nicht nach dem Kriterium festgelegt, eine Deckung von Lebenserhaltungskosten zu ermöglichen, sondern hauptsächlich danach, einen Mindestabstand zu Arbeitseinkommen einzuhalten. Die Hauptsorge der Regierungsparteien galt der Sicherung der viel beschworenen "Anreizeffekte" zur Aufnahme von Arbeit. Der Gedanke, dass Arbeitslosigkeit in einer Gesellschaft, wo Anerkennung vor allem über Lohnarbeit läuft, wenig mit der Arbeitswilligkeit von Personen und viel mit dem Mangel an Arbeitsplätzen zu tun hat, blieb wie so oft außen vor.
Sozialpolitische Beobachterinnen kommen denn auch zu einem eher bitteren Schluss und beklagen, dass die Mindestsicherung nur unter schweren Auflagen gewährt wird, während die Ursachen von Bedürftigkeit kaum angegangen werden. Dazu würden zum Beispiel existenzsichernde Mindestlöhne und eine Erhöhung der Arbeitslosengelder gehören.