Erstellt am: 20. 10. 2010 - 18:20 Uhr
Feststellen, was der Fall ist.
Dieser Text ist die Ausgangs-Basis für die Bonustrack-Sendung, die FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch, den 20.10.
Thema diesmal: was Analyse leisten kann und was hierzulande fälschlicherweise dazu betrieben und davon erwartet wird. Und eine überschreitende Ausnahme, eine Anregung, auf politische Nachfrage - die allerdings in den Grenzen des Feststellungs-Konzepts bleibt.
Das ist die Kurzversion für Dummies:
Ist ja recht simpel, die Aufgabe von Journalismus. Der alte Dichter, Enzensberger sagt das schön: Feststellen, was der Fall ist.
Das heißt zum ersten: Nicht deppert der ersten Spur nachlaufen, nicht blind dem ersten Voruteil nachgeben, nicht fad und öd das Bequeme annehmen, sondern voll den CSI machen und Spuren suchen und im Labor dann analysieren. Ist zwar anstrengend, weil das Labor der eigene Kopf ist, aber gut...
Das heißt zum zweiten: Nicht glauben, dass die Feststellung, die Analyse dann auch gleich die Lösung ist. Ist auch wieder so wie im Gerichtssaal-Drama mit dem Gutachten - nur eine Ausgangsbasis, ein Anfang. Für die Problemlösung zb in der Politik ist es eben die Politik selber, im Fußball sind's ÖFB oder Bundesliga, also die Verantwortlichen.
Das was die Journalisten machen können und sollen, das ist eben die Ist-Zustand-Analyse, die Feststellung.
Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht, gerade im analysefaulen Österreich. Da wird gern mit dem Hinweis dass die Analyse nicht die Lösung beeinhaltet gleich einmal drauf verzichtet sich mit der Analyse zu beschäftigen.
Das hat auch damit zu tun, wie hier gearbeitet wird, journalistisch aber auch wissenschaftlich: mit vagen Themen und unscharfen Definitionen, so nach dem Prinzip "Der Wald und so, Fluch oder Segen?" anstelle von, sagen wir, "Der Zahnstocher". Dabei ist es erst die Konzentration auf ein ganz schmale Detail, dass weite Blickwinkel erlaubt. In Österreich ganz unüblich. Da lautet die Faustregel: alles vage halten, dann ein bissl Prosa herumlabern und auf einer Schlagzeile herumreiten. Lügengebäude erkennt man so nicht.
Wenn du jetzt wissen willst, wie ich auf das alles komme - das ist so: letzte Woche, anläßlich meines Versuchs einer Analyse nach der Wien-Wahl hat einer angefragt. Nicht den üblichen 'He-wenn-du's-besser-als-der-Teamchef-weißt-warum-bist-du-dann-selber-nicht?'-Käse von Trotteln, die vor lauter mit der Muttermilch eingesogenem Obrigkeits-Schiss nicht mehr denken können, sondern von einem Profi-Politiker, durchaus ernstgemeint. Wie ich das mit dem positivem Populismus meine.
Und weil mich das zum Nachdenken gebracht hat, übertrete ich jetzt; ganz bewußt. Nur so als Idee, als Denk-Modell: weil ja die "Fremden-Angst" und das "Ausländer-Problem", so virtuell und angeheizt das auch alles ist, in den Köpfen so vieler existiert und das Gefühl, dass sie außer den Xeno-Plärrern niemand ernstnimmt, so stark ist...
Wie wär's mit einem echt dick aufgetragenem Zirkus-Event, dem Ausländer-Zelt, in dem Recherche-Teams das gesamte Gegrummel und Genörgel und die Nöte und Anwürfe aufnimmt und jedem Scheiß-Einzelfall nachgeht. Und dann in einer Feedback-Runde präsentiert was rausgekommen ist.
Dabei ist es, glaub ich halt, wurscht, was sich dabei herausstellt, wie hoch die Percentage von wasauchimmer ist - allein die intensive Beschäftigung, die Dokumentation wird/kann diesen depperten Knoten lösen. Vielleicht.
In jedem Fall werden damit die, die sich gar nicht mehr als Teil der Gesellschaft beigreifen, sondern als Angehängte, und sich dabei aufgegeben haben, wieder reingeholt in einen Dialog, einen menschenwürdigen. Ganz ohne die böse Verarschung im, Unterschichten-Fernsehen und Boulverad-Presse.
Das ist natürlich eine journalistischer Ansatz, einer, der dokumentiert und festhält - aber so ist das: Festhalten, was der Fall ist, remember?
Feststellen, was der Fall ist - so definiert einer aus der alten Schule, Hans Magnus Enzensberger nämlich, die "Aufgabe des Intellektuellen".
Da der deutsche Dichter da frühere Verhältnisse (als es noch tatsächlich eine intellektuelle Kaste mit spezifischen Aufgaben gab) im Auge hat, macht der Satz aktuell im Umfeld von journalistscher Berichterstattung und gesellschaftskritischer Analyse mehr Sinn.
Nicht jetzt einen Halbsatz mit 'Nona!' denken - wenn diese scheinbar so logische Definition so selbstverständlich wäre, dann täte es eine ganze Menge an Rattenschwanz-Problemen nicht geben. Selbstverständlich ist da gar nix. Die Feststellung wird nämlich gleich von zwei Seiten angenagt - und beide haben den Grundsatz dahinter nicht kapiert.
Fehlerquelle 1: Sich damit zu begnügen, scheinbar Offensichtliches plakativ darzustellen (und dann auch noch für eigene Zwecke zu deuten) - das ist kein "Feststellen", sondern ein nichtiges Drüberwischen.
Weil dort, wo Rauch aufsteigt, rein gar kein Feuer sein muss, weil Objekte oder Problemstellungen, denen man keinen Zweitgedanken zugesteht, gar nicht begriffen werden können - schon allein deshalb braucht die "Feststellung" mehr als nur einen flapsigen Stammtisch-Zugang.
Fehlerquelle 2: Alles, was über die umfassende Feststellung hinaus geht, nämlich die Lösungssuche/Ideenfindung für erkannte Probleme, obliegt nicht dem Intellektuellen, dem Dichter, dem Journalisten oder einem anderen Einzelnen, sondern benötigt eine Gesamtanstrengung der Gesellschaft oder aller mit der einzelnen Problemstellung Konfrontierten.
Es ist so wie beim Gericht: das Gutachten ist die Basis für eine mögliche Lösung - es ist nicht die Lösung selbst.
Klingt jetzt auch wieder banal - und ich wette, dass sich die meisten nicht betroffen fühlen. In der Praxis lässt sich aber anhand jeder zweiten oder dritten Wortmeldung leicht ausmachen, dass diese logische und unstrittige gesellschaftliche Übereinkunft nicht hält.
Vor allem und in gröberem Maße in Österreich.
Die Sache mit Prinzip 1
Nicht dass nicht auch anderswo simple Kausalketten gern ergriffene Rettungsanker für Denkfaule und Kommunkationsarme wären - in Österreich hat das Nachfragen auch aus geschichtlichen und politischen Gründen keine Tradition und grundelt deshalb auf unterirdischem Niveau herum.
Die Maxime "Feststellen, was der Fall ist" bedingt nämlich zwei in sich eigentlich konträre Ausgangspunkte.
Zum einen muss man sich drüber klar sein, was das Objekt der Untersuchung sein soll und es so deutlich wie möglich definieren. Das ist hierzulande schon die erste Schwelle, die eine Vielzahl derer, die analytische Berufe bestreiten oder ergreifen wollen, abwirft - weil 90% der Arbeiten sich in möglichst schwammig formulierten Fluch-oder-Segen-Chiffren bewegen.
Zum zweiten muss man willens sein, innerhalb seiner klar definierten Zielstellung einen weiten Blick zu bewahren, d.h. sich nicht durch fachidiotische Schranken in eine verengte Version der Realität zwängen zu lassen.
Ein Gegensatz? Mitnichten.
Die Präzision der Auswahl, die Genauigkeit der Definition des Beschäftigungsraums, also die Enge des zu Untersuchenden macht erst die weitsichtige Freiheit des Prozesses möglich.
Ein Bild dazu: Wer ohne Plan in den Wald geht, wird immer um den Weg kämpfen und nie die Umwelt um sich herum erkennen können.
Wer ohne Plan in den Wald geht, wird auch immer auf die Scouts reinfallen, die mit falschen Fährten oder Karten oder überteuerten Getränken locken.
Das simple "Feststellen, was der Fall ist" bedarf also einer Vorbereitung oder eines Plans. In jedem dahergelaufenen Krimi lernen wir das jedesmal aufs Neue - im echten Leben wird aber flächendeckend drauf geschissen; wären Journalisten und alle anderen Nicht-Nachhaker analytisch arbeitende Kripo oder CSI - die Gefängnisse würden übergehen vor Unschuldigen, so sehr wird sich auf die erste Spur beschränkt.
Eine meiner Faustregeln ist folgende: solange sich in einer fast ganz wie von selbst sonstwo hervorflutschenden Kausalkette der logischen Erbauung nicht irgendwo ein Widerspruch, eine Seltsamkeit, eine dunkle Ecke, ein falscher Winkel auftut, ist ihr zutiefst zu misstrauen.
Nur Lügner schaffen nämlich in sich perfekt sitzende Gebilde, nur Schmähtandler und die Anlageberater des menschlichen Bewußtseins haben immer alles im Griff, nur die Rechtspopulisten sind mit einer Antwort auf und einem Sündenbock für alles gesegnet.
Die der Chaostheorie gehorchende Wirklichkeit hingegen eckt an; immer.
Und dann: die Sache mit Prinzip 2
Wenn - gegen all diese Widerstände und Hindernisse - das "Feststellen, was der Fall ist" einmal erfolgt ist, dann gibt es eine österreichische Methode die Analyse wegzureden. Mit einem Satz wie "Von mir aus, aber, selbst wenn es richtig sein sollte, was wäre denn die Lösung/Alternative?".
Das sind zwei Schritte auf einmal, die zum sofortigen Verhaspeln der Beine und zum Sturz führen. Bevor man nämlich auch nur ansatzweise an sowas wie einen Lösungsversuch herantreten kann (der noch dazu immer eine kollektiven Anstrengung bedarf) gälte es nämlich, sich die Feststellung, die Analyse einmal anzuschauen. So wertfrei wie möglich.
Dafür fehlt allerdings die entsprechende Kultur. Um die Beschäftigung mit der Analyse zu vermeiden, greifen die Vermeider vor und fordern ein, was etwa der Journalismus nicht leisten kann - auch nicht leisten soll oder muss; seine Aufgaben sind andere - nämlich genau die der Analyse; da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Mein schönstes Standard-Beispiel für die eklatante Abwesenheit einer offenen und kritischen Denkkultur und der den Mensch tief innewohnenden Obrigkeitsstaatshörigkeit ist eine Frage, die ich öfter höre; und ich formuliere das jetzt positiv.
Ja, das Teamchef-Beispiel...
Ob ich denn, bei der vielen analytischen und harten Kritik am ÖFB-Teamchef, nicht selber...?
Die ersten paar Male war ich über soviel Denk-Dummheit noch fassungslos, mittlerweile lächle ich nur noch milde. Ob denn der Gast, der feststellt, versalzenes, verkochtes Essen serviert bekommen zu haben, deshalb aufgefordert wäre den nächsten Gang selber zu kochen? Ob denn der Kritiker, der die Copy-Paste-Leistungen hinter DJ Ötzi seziert, selber zuerst einen Nummer 1-Hit haben muss? Ob jemand, der den reaktionären Anteil der Komik von Oliver Pocher beschreibt, das nur darf, wenn er selber drei Witze erzählen kann? Darf Mirko Kovats keine Wirtschafts-Analyse betreiben, seit er die A-Tec in die Pleite getrieben hat?
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
Das eine, die Kritik, die Analyse, das "Feststellen, was ist" stellt die Arbeits-Grundlage her, für Verbesserungen aller Art, die - erst in weiterer Folge - dann personelle Entscheidungen nach sich ziehen.
Die (zurecht bestehende) Kritik an der schwachbrüstigenen Rücktritts-Kultur sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Wechsel des Personals dann gar nichts bringt, wenn strukturelle Probleme die Ursache sind.
Jetzt zum Anlass-Fall:
Ich habe, anlässlich der vorwöchigen Anmerkung zum Thema politischer Phantomschmerzen, einer Analyse der letzten Wahlen, eine direkte Anfrage von einem politischen Player bekommen. was ich mit "wahrhaftiger Populismus der positiv besetzten Gefühle" verstehen würde, meinem Nachsatz, um zu verdeutlichen, was meiner Feststellung nach den aktuellen Gegensatz zum instrumentalisierenden Populismus der Angstmacherei darstellen würde.
Meine Antwort war letztlich dieselbe wie auf die Teamchef-Frage: Das ist der Teil der gesellschaftlichen Übereinkunft, den die politischen Parteien leisten müssen.
Weil die Anfrage aber von jemanden kam, von dem ich weiß, dass er (im Gegensatz zu den Teamchef-Fragern, die sich erst wenn man sie auf die Unsinnigkeit ihres Ansatzes hinweist, erstmals damit auseinandersetzen) viel Energie drauf verwendet, Lösungen zu suchen, bin ich in eine moralische Zwickmühle geraten.
Und habe etwas getan, was deutlich und entschieden über die (gesellschaftlich konsensuale, nicht in Österreich, aber in sorgfältiger in sich ruhenden Demokratien) Aufgabe der Analyse, des Feststellens etc. hinausgeht - und indirekt für soviele unglücklich verlaufende Journalisten-werden-Politiker-Karrieren (der geknickte Broukal, die arme Stenzel, der leidende Martin...) gesorgt hat.
Nämlich Überlegungen angestellt, was politische Parteien leisten könnten, um dem leichtebeutestimmenabgreifendem Populismus etwas entgegenzusetzen. Etwas, was Sinn machen könnte und auch seinerseits einen populären, gar populistischen Aspekt hat.
Die Anregung...
Weil das schlimmste Problem, so virtuell es auch ist und so hochgepitcht es von den Xenophobia-DJs auch wird, das gefühlige Gejammer über direkte Benachteiligung wegen Bevorzugung der "Ausländer" und auch der "Migranten" ist; und weil mein logischer, mein beruflicher Ansatz der der "Feststellung" ist; und weil mir meine Erfahrung im Umgang mit Menschen erzählt, dass allein die aktive Beschäftigung und das Ernstnehmen auf Augenhöhe schon fast die ganze Miete einfährt...
... braucht es zirkusreif inszenierte Anlaufstellen für diese Motzereien, ein "Ausländer-Zelt", das durch die Wiener Vorstädte tingelt, und sich jede grummelige Gefühligkeit (egal ob über Kinder/Rasen/Lärmbelästigung, Rotzbubenbanden-Moped&Sprüche-Beschwerden, Hammelbratereien und natürlich auch Wettbewerbs/Arbeitsplatz-Verdrängung, also allen eingebildeten und allen echten Wickeln) anhört, protokolliert und dann jeder einzelnen Sache nachgeht - vom unwichtigen Schas bis zur tatsächlichen Unfairness. Es braucht in einem zweiten Schritt Recherche-Teams, die feststellen, was der Fall ist; und in einem dritten Schritt ein persönliches Feedback, also die Präsentation dessen, was sich ergeben hat.
Dabei ist es aller Wahrscheinlichkeit nach völlig egal, was im Einzelfall dabei rauskommt, und wie die Percentage ausfällt - allein die Tatsache, DASS jemand der Sache nachgeht, zählt. Dass sich bei einer solchen Vorgangsweise der intensiven Beschäftigung automatisch ein anderes/neues Verständnis derer, die sich bislang noch nicht mit den Problemen auseinandergesetzt haben (die Politiker mit dem Alltags-Zeug, die Nörgler mit den gesellschaftlichen Zwängen, Inländer mit Ausländern, Ausländer mit Inländern etc...) ergibt, schadet auch nicht.
In-den-Diskurs-Holung
Dieser Text ist die Ausgangs-Basis der Bonustrack-Sendung vom 20.10., der FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch.
Phone-In Möglichkeit unter 0800- 226 996; von außerhalb Österreichs unter 43-1-503 63 18.
Lines open ab Mitternacht, wie immer erst nach der Kurzversion für Dummies.
Musik zum Thema: Pop Will Eat Itself und Ich bin ein Ausländer.
Vor allem fällt der zentrale Problem-Faktor weg: dass sich weite Teile der Menschen, vor allem die, die sich ohnehin bereits ökonomisch und gesellschaftlich abgekoppelt fühlen, alleingelassen fühlen - stattdessen werden sie wieder in einen selbstverständlichen Diskurs hereingeholt.
Häupls Hausmeister mögen eine ähnliche Lösung auf informeller Ebene anstreben - als Signal reicht das nicht: das muss aktuell knallbunt sein. Und, ganz wichtig, nicht dazu da sein, abzuwiegeln oder eigene Lebenskonzepte zu erklären - das kann man in der Debatte mit politisch aufgeklärten Menschen.
In genau diese Aufklärung müssen aber viele erst reingeholt werden. Und genau an dieser Schnittstelle gilt es anzusetzen, so populär wie möglich. Da kann man etwas leisten, was auch den publizistischen Boulevard abhängt, der die von ihm Gezeichneten und Beschriebenen letztlich ja auch nur ausbeutet und verarscht.
Nach der Sendung hab ich übrigens das da zugeschickt bekommen...
Klar - das ist ein reines Denk-Modell. Und ich kann selber fünf Gründe dafür aufzählen, woran das scheitern kann. Aber auf eine ernst gemeinte Frage eine Antwort zu geben, kann, solange die sich in meinem Bereich bewegt, nicht komplett verkehrt sein. Schließlich gilt auch hier: Feststellen, was der Fall ist. Nicht mehr und nicht weniger.