Erstellt am: 3. 11. 2010 - 12:44 Uhr
Iceland Airwaves
Natalie Brunner am Airwaves Festival am Donnerstag, 4.11., in der FM4 Homebase ab 19 Uhr
Das Wasser und auch das Hotelzimmer riechen nach Schwefel, die Wolken ziehen mit unglaublicher Geschwindigkeit über den Himmel. Die Lichtverhältnisse ändern sich alle fünf Minuten. Das kann nur eins bedeuten: es ist Tag.
nataliebrunner
Spaziert man zur Zeit des Icelandic Airwaves durch die Innenstadt von Reykjavik, werden einem unzählige Jungs und Mädels mit Keyboardständern, Gitarrencovern oder sonstigen Instrumenten über den Weg laufen. Es ist ein häufig zitiertes Klischee über Island, dass es quasi soviele Bands wie EinwohnerInnen gibt. Nimmt man das Straßenbild zur Zeit des Airwaves als Indikator, dann könnte dieses Klischee auch tatsächlich stimmen. Man sieht mehr Instrumente als Einkaufssackerln und an jeder Ecke stehen Grüppchen von Menschen, die meist lokalen Bands lauschen.
nataliebrunner
Das Airwaves ist ein Showcase Festival. Zu den vielen offiziellen Locations, wo am Abend das Festival über die Bühnen geht, kommen die unzähligen Off Locations, Plattenläden, Galerien und Geschäfte, die ab Nachmittag von den Bands bei freiem Eintritt bespielt werden. Es kann durchaus passieren, dass man nach dem Mitagessen bei einer Galerie vorbeischlendert und lokale Helden wie zum Beispiel FM Belfast bei freiem Eintritt vor einer Hand voll Leuten sehen kann, und dann auch noch mit ihnen ein Schwätzchen hält.
nataliebrunner
Benni Hem Hem ist einer dieser Musiker, die während des Airwaves schwer im Einsatz sind. Er amüsiert mich sehr mit seinen Fragen, ob mir aufgefallen ist, wie unhöflich die Isländer sind. Sie haben alle keine Manieren und dadurch gibt es keine klassensegregierenden sprachlichen Distinktionskriterien, alle benutzen das selbe Sprachniveau - laut Benni Hem Hem ein sehr hartes Sprachniveau. Er lebt jetzt in Schottland und muss sich immer, wenn er nach Hause kommt, erst ein paar Tage an die Rauheit der Sprache gewöhnen.
Er meint, es gebe kein Wort für Bitte, das heißt, es gebe schon ein Wort, aber man würde es im Alltag standardmäßig nicht verwenden. Mir kann man ja alles erzählen. Ist aber auf jeden Fall eine gute Geschichte.
nataliebrunner
Jedem Reykjavik-Besucher empfehle ich die Bar Boston. Sie ist von Gabríela Friðriksdóttirn gemacht. Sie ist Malerin, Bildhauerin und Videokünstlerin. Ihr Werk wird als New Gothic Art gelabelt.
courtesy of the artist
Ihre Arbeiten waren wiederholt bei der Biennale in Venedig zu sehen und sie hat die "Greatest Hits Box" von Björk entworfen und das Video zu "Where is the Line" gemacht. (Jetzt habe ich mein Versprichen, nicht von Björk zu erzählen, bereits zum dritten Mal gebrochen.)
Ich kann mich nicht entscheiden, ob die Bar in die Kategorie "Themenpark", "Installation, in der man trinken darf" oder "konsequentes Interior Design" fällt.
nataliebrunner
Die in der rosa Bar eingegossenen Amöbenwesen werden euch bekannt vorkommen.
bjork
The Reykjavik Grapevine ist die Festivalzeitung. In ihr hat der Bürgermeister Jon Gnarr ein paar einleitende Worte geschrieben. "Welcome to Reykjavik Mayors Adress" heißt das ganze und nur zum besseren Verständnis des Irsinns der da gleich kommt. Jón Gnarr Kristinsson wird bei Wikipedia als Schauspieler Kommödiant und Bürgermeister von Reykjavik gelistet und zwar in dieser Reihenfolge. Er hat sich zu den Wahlen, die mit dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise korrelierten, als Persiflage einer Partei aufstellen lassen und wurde gewählt. In dem "Welcome to Reykjavik"-Artikel schreibt er nach ein paar Ausführungen zu Schrödingers Katze und der Fabrikation von Realität über Moomins auch meine Lieblingstrolle.
"I am one of many Icelanders that belives in elves and trolls. I manly believe in Moomin elves. It is more a certanty than a belive. I have seen and touched them. I have been to Moominworld in Finland... I have had a good talk with Moomin Papa. He told me that life in Moominvalley was much better after Finland joined the EU. He encouraged us Icelanders to join the EU... I hope these thoughts shed some light on the history of Reykjavik and it´s culture."
Ich verstehe Herr Bürgermeister, ich glaube ich würde sie auch wählen.
(Versprechen zum vierten Mal gebrochen.)
Einer der großartigsten Orte, die ich auf diesen Planeten kenne, ist die Blaue Lagune. Ich meine nicht die Blaue Lagune in der Brooke Shields herumtümpelt, sondern einen Ort außerhalb von Reykjavik, der so aussieht, wie ein Rehabilitationszentrum für die Überlebenden des Angriffs auf den Todesstern.
nataliebrunner
Am Samstag Nachmittag verlegt das Airwaves seine Partyaktivitäten dorthin. Überall stehen Tiegel mit weißem Schleim, der so aussieht, wie das, was Matthew Barney während der Cremaster Ausstellung auf die Wände und Treppengeländer des Guggenheim Museums geschmiert hat und auch die weißen glatten Steine, die von braunen Adern durchzogen werden, kommen mir bekannt vor. Die Blaue Lagune könnte aber auch die Kulisse für ein Depeche Mode Video sein.
nataliebrunner
Freundinnen von Freundinnen haben auf Facebook gepostet, dass sie mit Toro Y Moi in der Laugune waren: "The most Chillwave thing I can think of."
Soviel Natur und Gesundheit muss am Abend mit Ennuie de Vivre kompensiert werden. Hurts spielen im streng reduktionistischen Museum Moderner Kunst. Es ist ein Fest des kultivierten Selbstmitleids und eines dieser Konzerte, bei dem ein beachtlicher Teil des männlichen Publikums genau so aussieht wie die Herren auf der Bühne.
nataliebrunner
Junip spielen ein paar Straßen weiter in einem alten Theater in einer Bucht. Dicke Teppiche, Tapeten, gedämpftes Licht, Keramikstatuen von Ballerinas, an den Wänden über 50 Jahre alte Fotos von Schulklassen. Ein Ort, an dem unsere Großeltern ihr erstes romantisches Date verbracht haben könnten.
nataliebrunner
Ich höre die letzte Nummer und sehen Jose Gonzales winken. Scheißfestivalstress.
Toro Y Moi spielt in einer Venue, die Venue heißt. Chillwave goes 90er Jahre, es klingt vertraut nach Post my Bloody Valentine Pop Electronica. Ich glaube das Konzept Chillwave macht in der Lagune mehr Sinn, als zwischen den Partyhüpfern. Es kann zu einem Problem werden, wenn man das Rauchen in Clubs verbietet, aber die Menschen Alkohol konsumieren dürfen und das auch in großen Mengen tun. Das Kollektiv beginnt zu stinken.
Anyways. Ich weiß zwar nicht, was Post Dubstep sein soll und ob es Sinn macht, einen Sammelbegriff für MusikerInnen zu verwenden, die Einflüsse in ganz verschiedene Richtungen tragen, aber James Blake ist großartig.
Er beginnt sein Set mit einem Outkast Edit, kombiniert Old School Hip Hop Acapellas mit Cut Up Beats und ganz weit nach hinten gefilterten Spuren von Booty Rhythmusstrukturen. Endlich höre ich keine Wobble Bässe mehr. Wenn das die Zukunft ist, dann wird sie bouncen, ohne Basssdrum und ich in ihr.