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Natalie Brunner

Appetite for distraction. Moderiert La Boum de Luxe und mehr.

2. 11. 2010 - 17:09

Iceland Airwaves

Teil 1: The Viking Genes.

Ich habe mir selbst versprochen, in dieser Geschichte Björk nicht zu erwähnen.

In meiner Arbeitswelt gibt es ein weises Geschöpf, das einiges an Lebenszeit damit verbracht hat, durch die Fjorde, Täler und Wälder Islands zu streifen und an Bushaltestellen für Elfen abzuhängen. An Erkenntnis und Ruhe dürfte es dort auch einiges eingesammelt haben, weil manchmal sagt es Grundsätzliches über Leben und Sterben, an dessen Erkenntnis ich meilenweit vorbei schramme. Ich eröffne dem weisen Wesen im Büro, dass ich nach Island fahren werde und ernte fassungsloses Starren gefolgt von einem Lachkrampf. Ich frage nach und mir wird erklärt: Das fassungslose Starren ist die Reaktion auf die im Raum stehende Frage was ich dort will und der Lachkrampf korreliert mit der Vorstellung von mir in der isländischen Wildnis.

nataliebrunner

"Es ist der letzte Ort an dem ich mir dich vorstellen kann", meint sie. Jippie Skippie off I go. Meine Vorstellung von Island lässt sich am besten damit zusammenfassen:

Versprechen zum ersten Mal gebrochen.

Die Routine wird bereits auf dem Flug von London nach Reykjavik gebrochen. Die sympathische und aparte isländische Dame neben mir rührt sich einen guten Cocktail aus Gin Tonic und Tabletten an. Der Flug dauert zwei Stunden dreißig Minuten. Das Zeug beginnt nach zwanzig Minuten zu wirken und so nimmt das diskursive Unheil seinen Lauf.

Mein Begleiter hat rote Haare. "Du bist Kelte, Wikinger". Das höfliche Verneinen wird in einem Ausbruch von historisch biologistischen Wahnsinnskonstrukten erstickt.
"Kelten-Typen wie du, zweitgeborene ohne Land, bauten sich Schiffe, stahlen irische Frauen und kidnappten sie nach Island. Es ist eingeschrieben in deiner Erbinformation, die den Zellkern umgibt, das Zeug am Rand Mitochondrien und nur deshalb siehst du so aus, wie du aussieht", meint die Gute.

Alle Einwände, dass er trotz roter Haare und Sommersprossen Menschenraub für eine nicht tolerable Praxis hält und mit Seefahrt nichts zu tun hat, gehen in Wikingerinvasionsgeschichten unter, die er eigentlich eh kennt, tief drinnen, weil das steckt ja in der DNA. Es folgen Erzählungen über Verwandte, die exstatisch werden an Orten, die sie zum ersten Mal besuchen, weil die Gene realisieren: sie sind zu Hause. Von hier aus haben sie ihre Reise begonnen.

nataliebrunner

Ich glaube, ich hätte auch gern was von den Tabletten und muss beim Aussteigen meinem Begleiter versprechen, dass ich nie mehr im Flugzeug mit alleinreisenden Damen, die Ginflaschen aus ihrer Manteltasche zaubern, zu plaudern beginne.

Schade, ich hätte sie noch zu gern zu deCode befragt, der privaten isländischen Firma, die im Rahmen eines umstrittenen Projekts den genetischen Code aller Isländer erfasst hat und vor drei Jahren pleite ging.

Der mit Parkettboden ausgelegte Flughafen sieht aus, als würde Ikea nachhaltige Biohäuser bauen und der Zollbeamte stellt die eigenartige Frage. "Why are you coming so late?" Die gleichfalls eigenartige Antwort: "We had an old lady" wird ohne weitere Nachfrage akzeptiert.

Der Bus in die Stadt steht vor der Tür. Ich frage, wann er abfährt. Der Chauffeur meint, er weiß es nicht: Wann immer wir bereit sind.
Und wohin fährt er? Wohin wir wollen.
Ich gebe mich nicht mit solchen Alice-im-Wunderland-trifft-auf-Master-Yoda-artigen Antworten zufrieden und bohre nach. In meine Sprache übersetzt heißt dies: Der Bus fährt 30 bis 45 Minuten nach Ankunft des Fluges und im Fahrpreis ist ein Transfer bis ins Hotel inkludiert.

nataliebrunner

Es ist finster, irgendwann in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag. Reykjavik ist menschenleer und ich bin hungrig. Sollte hier nicht ein Festival stattfinden? Iceland Airwaves, in Rahmen dessen sich Downtown Reykjavik in einen brodelnden Hexenkessel verwandelt? Wir sitzen vor dem 24 Stunden geöffneten Supermarkt am Parkplatz. Ich habe drei Lagen Jacken übereinander an und stopfe abwechselnd Nachos und japanische Reiscracker in mich hinein. Das könnte eine Szene aus einem deprimierenden Richard Linklater Film aus den 90er Jahren sein. Ein menschliches Wesen taucht auf.

nataliebrunner

Es hat unser Alter und ist unser neuer bester Freund. Er erzählt uns, wir befinden uns bereits im Epizentrum des Geschehens und morgen wird das anders aussehen, und es gab eine Party, aber da ist gerade die Polizei eingefallen. Drei Uhr Ortszeit, fünf oder sechs Uhr nach der inneren Zeit und ich gebe auf.
Ist das ein Epilog des Scheiterns?

Meine Reisebegleitung hat Alpträume und redet im Schlaf. Es geht um eine Flipchartpräsentation, das neue Björk Album.