Erstellt am: 26. 10. 2010 - 19:00 Uhr
Get her to the Geek
Manche Filme reißen einen von der ersten Sekunde an aus dem Kinosessel raus, man vergisst die eigene Existenz, geschweige denn Notizen zu machen, und mit dem Abspann spucken sie einen zurück in den Kinosaal. Dann ist man oft einmal vom mit Geradeausgehen überfordert, man taumelt, stolpert und hat Probleme die Kinotür raus in die echte Welt zu öffnen. Nach "Scott Pilgrim vs the world" besteige ich mein Steckenpferd, die Euphorie-induzierte Übertreibung und gebe via Handy durch, dass ich den besten Film des Jahres, nay, der Welt gesehen hätte.
Bei Comicverfilmungen wird mir etwas zum Segen, was generell Fluch ist: Die Wissenslücke. Abgesehen von einer Woche im Jahr 1987, als ich Garfield für das lustigste auf der ganzen Welt hielt (das Übertreibungs-Steckenpferd hatte ich damals schon), haben mich Comics nie interessiert. Völlig barrierefrei und Erwartungshaltungs tabula rasa setzte ich mich in den Kinosaal und "Scott Pilgrim vs the world" aus; mit nicht mehr Wissen darüber, als, dass die so herrlich euphorische, amerikanische Filmkritik sich in Vorfreude gleich mehrere Haxen ausgerissen hat und Blogs jedes Fitzelchen News über die Leinwandapaption des Comics von Bryan Lee O'Malley veröffentlichten.
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Battle of the Exes
Scott Pilgrim ist 22, lebt in einem Fantasie-gepimpten Toronto trägt Parka und die anstrengende Aufgabe auf den schmalen Schultern, die 7 evil exes seiner Freundin Ramona zu bekämpfen. Besiegen jetzt nicht im Sinne von geistiger Auseinandersetzung und Vertreibung von Dämonen alter Beziehungen, sondern bekämpfen im Sinne einer Kung Fu-Kickass-Zack-Peng-Pow-Auseinandersetzung. Das kommt nicht nur für Scott überraschend, als an einem Abend, an dem er eigentlich nur den Bandwettbewerb gewinnen will, an dem seine Band Sex Bob-omb teilnimmt, Matthew Patel auftaucht. Mit Lidstrich, Bollywood Kampfkunst und Demon Hipster Chicks fordert er Pilgrim zum Zweikampf heraus.
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Die folgenden Tritte und Schläge, die Computerspiel-Ästhetik in hippes Indietum einbetten, sind nicht nur die ersten in einer langen Reihe, die Scott Pilgrim erfolgreich austeilt, sondern auch Teil eines Befreiungsschlages eines ganzen Genres, des indie-Films. Der indie-Begriff, der sich im Laufe der letzten Jahre für bestimmte Filme durchgesetzt hat, hat nichts mit independent filmmaking im Sinne eines John Cassavetes zu tun, sondern beschreibt eine gewisse Ästhetik, einen Themenkomplex, gerne auch Kritzelschriften in Vorspann und auf Plakaten, und am Soundtrack ist mindestens eine Band, wegen der die gesammelte Pitchfork-Redaktion drei Wochen nicht geschlafen hat. Es ging um dysfunktionale Familien, verkorkste Verliebtheiten, strauchelnde Mittzwanziger. Und so sehr ich mich über all diese Filme freute, so machte sich in letzter Zeit doch das Gefühl breit, dass die indieFilme in einer Schleife gefangen waren. Und Michael Cera gleich mit ihnen. Der nämlich, der ist der Kronzprinz Quirky Indie. Von "Arrested Development" über "Juno" zu "Superbad" und "Youth in Revolt", Cera spielte immer - ganz grandios - den gleichen Typen (und, wie man irgendwie vermutet: sich selbst). Jungenhaft, leicht linkisch, mit Tendenz zu einer hohen Stimme, popkulturell fit wie ein Turnschuh.
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Dem Comic verpflichtet
Regisseur Edgar Wright, der schon mit "Shaun of the Dead" und "Hot Fuzz" Genrekrusten sprengte und sowohl den Zombie- als auch den Buddy/Cop-Film neu positionierte, bricht mit indie-Film-Konventionen gleichermaßen wie er sich ihrer bedient: Denn einerseits ist Scott Pilgrim ein Slacker mit Musikinteresse und T-Shirts, die semiotisch nach Aufmerksamkeit brüllen, also ein klassischer junger Mann aus dem indie-Film, andererseits aber kämpft er mit den sieben Ex-Freunden von Ramona bis sie sich in einen Highscore-Münzregen verwandeln. Während die meisten anderen Comic-Verfilmungen sich der Konvention der klassischen Narration beugen und visuell nicht oder nur wenig auf das Medium "Comic" verweisen, fühlt sich Wright dem Comic verpflichtet und lässt nicht nur das was sondern auch daswie auf der großen Leinwand antanzen. Ein großen "Riiiing"-Schriftzug begleitet das Klingeln von Telefonen, bei Küssen flattern kleine Herzen durch die Gegend, manchmal wird "Fuck" mit einem schwarzen Balken über dem Mund zensiert und immer wieder tauchen in Ramonas Erzählungen die tatsächlichen Comicfiguren aus "Scott Pilgrim" auf.
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Neben seiner Comicverfilmung, die endlich auch die Eigenheiten ihrer Vorlage zu verwenden weiß, neben einem Befreiungsschlag in Sachen Michael-Cera-Typecasting und einer Neuland-Eroberung für das indie-Kino, ist "Scott Pilgrim" aber noch eines: Es baut endlich Kanada, das in amerikanischen Film- und Fersehproduktionen als Gaga-Land herhalten muss, eine kleine Statuette und zelebriert die Schrulligkeit, die man im englischen soviel besser mit quirky bezeichnen kann, der kanadischen Indie-Welt.
Referenz-Feuerwerk
"Scott Pilgrim vs the world" läuft seit 22. Oktober 2010 in den österreichischen Kinos, allerdings wie ich grad mit Schrecken bemerke nur in der deutschen Fassung (mit Ausnahme einer Nachmittagsvorstellung in Oberösterreich). Empfehle also Warten auf den DVD-Release
Der Verweis auf die gezeichnete Vorlage ist nur der Gipfel des Refernzeisberges, auf dem "Scott Pilgrim vs. the World" erbaut ist. Da gibt es Young Neil, den Ersatz-Bass-Spieler der Band Sex-Bob-omb, deren Sänger Stephen Stills heißt. Wo Crosby und Nash abgeblieben sind, wird aber nicht weiter erwähnt. Jedes T-Shirt eine Botschaft, manche leicht lesbar wie das Smashing Pumpkins "ZERO"-Shirt, manche erfodern Recherche: Scotts "Plumtree"-T-Shirt zum Beispiel verweist auf die gleichnamige Band, die 1998 einen Song namens "Scott Pilgrim" veröffentlichten, was wiederum Bryan Lee O'Malley dazu inspirierte, eine Comicfigur gleichen Namens in die Welt zu zeichnen. Wer am Film mitgearbeitet hat, kann sich auch sicher sein, irgendwo eine Referenz auf sich zu finden. Ein Radiohead-Plakat in einem Plattenladen winkt in Richtung Nigel Godrich, der Teile der Filmmusik komponiert hat; Beck, der für die Musik von Sex Bob-omb verantwortlich war, findet über ein rumliegendes "Odelay"-Album den Weg in den Film.
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Veganer Superman
Die Besetzung allein funktioniert auch als Witz und Verweis: Brandon Routh (of "Superman Returns"-Fame) spielt einen evil ex, der dank veganer Lebenswese über Superkräfte verfügt, Mae Whitman, als Roxy Richter ebenfalls eine evil ex, spielt in "Arrested Development" Ceras Freundin und Chris Evans, von der traurigen Berühmtheit, in den "Fantastic Four"-Filmen mitgespielt zu haben, gibt eine Parodie seiner selbst; ein hohler Skater turned actor namens Lucas Lee, der wiederum wohl Verbeugung vor Jason Lee ist. Kopf schon explodiert? Irgendwann ertönt auch die "Seinfeld"-Zwischenszenenmusik, die folgene Szene zwischen Scott und seinem Mitbewohner Wallace ist mit Sitcom-Lachkonserven unterlegt. Überhaupt: Wallace Wells. Was für eine großartige Figur. Gespielt von Kieran Culkin wird er zur schaustehlenden Geheimwaffe des Films, er vermengt die Superschläue und Ironie eines Ferris Bueller mit dem augenberingten Charme eines Robert Downey Jr. Kieran, egal, wo die letzten Jahre gesteckt hast, bleib bitte hier. Und apropos hierbleiben: Jason Schwartzman, ansonsten die sanfte Liebenswürdigkeit, ist hier der evil ex to end all evil exes. Ein Plattenboss, der in Sachen Bosartigkeit in der Blofeld-Liga spielt und mit dem sich Scott den größten Kampf liefert.
Doch egal wieviel gekickt, geschlagen und faustgeballt wird, "Scott Pilgrim vs the world" singt - neu orchestriert - das alte Lied, laut dem die Liebe ein seltsames Spiel ist. Ein seltsames Videospiel eben. Edgar Wright knackt mit diesem Film jeden erdenklichen Highscore in Sachen Originalität, Witz, Schlagfertigkeit und Bezauberndheit. Wie gesagt: Vielleicht ist das wirklich der beste Film des Jahres.