Erstellt am: 19. 10. 2010 - 11:13 Uhr
Alexandria
Ich verlasse Zimmer, Häuser, Gassen, Länder...
Um 9 Uhr steigen wir also ins Taxi Richtung Tegel. Wir haben alle eher schlecht geschlafen, es wird nicht viel gesprochen, man hängt noch seinen Träumen nach, oder, wenn man wie ich keine hatte, verliert sich in den viel zu lauten Songs aus dem Autoradio.
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Auf Tour in Afrika - Ein Reise-Tagebuch von Andreas Spechtl:
- Reisevorbereitungen: Letzter Tag in Ägypten, Ankunft im Sudan: Wind und Wasser
- Alexandria: Erschöpfung, erste Proben, Tee im Straßencafé und die Sache mit den Mädchen
- Kairo: das Problem mit dem Alkohol, deutsche Austausch-Kiddies, fuck MTV und ein abgebrochenes Konzert
- Sudan: Letzter Tag in Ägypten, Ankunft im Sudan: Wind und Wasser
Die Stimmung bleibt seltsam getrübt, bis zu unserem ersten Zwischenstopp in Istanbul. Wir haben eine Stunde totzuschlagen und laufen am Flughafen auf und ab. Erst jetzt komme ich darauf, dass wir gar nicht direkt nach Alexandria fliegen, sondern zuerst nach Kairo, wo wir von einem Fahrer des Goethe-Instituts abgeholt werden sollen, der uns dann nach Alexandria bringt. Die Anspannung löst sich beim Einsteigen mit jedem nicht europäischen Gesicht das wir sehen wie von selbst und so streichen wir uns schon bald gutgelaunt den Humus aufs trockene Airline-Brot.
Beim Landeanflug bemerken wir, dass die Sonne unter uns schon untergegangen ist und so breitet sich langsam das nächtliche Kairo vor unseren Augen wie ein riesiger leuchtender und blinkender Fleckerlteppich aus. Wir landen sanft und fahren noch circa 20 Minuten am Flughafengelände umher, bis man uns endlich die Luken öffnet und wir die Empfangshalle betreten.
Unser Fahrer wartet schon am Ausgang, auf einem Schild steht in krakeliger Schrift: Treppo, Spechtl, Janata. Wir geben uns mit einem Lächeln zu erkennen und atmen zum ersten Mal in unserem Leben afrikanische Luft, ein stickiges Gebräu aus Smog und Sauerstoff. Vollkommen paralysiert rauchen wir unsere erste Zigarette seit Stunden und beobachten mit großen Augen das geschäftige Treiben.
Es ist nicht ganz so heiß wie erwartet, aber bei weitem heiß genug um uns schon jetzt den Schweiß aus den Poren zu treiben.
openstreetmaps
Autodrom
Wir steigen in einen Minivan und fahren los. Unser Fahrer spricht kein Deutsch und auch praktisch kein Englisch, wir versuchen ihm gestikulierend klar zu machen, dass wir dringend etwas zu trinken benötigen, er scheint zu verstehen, wir fahren aber erstmal weiter.
Das Flughafengelände verlassend und auf die Autobahn auffahrend, der erste Schock, hier geht es zu wie auf einer Autodrom-Bahn. Auf der vierspurigen Straße wird wie wild die Spur gewechselt, obwohl, von Spur ist eigentlich nicht zu sprechen, man fährt einfach drauf los, jeder Zentimeter Straße wird ausgenützt. Mal blinkt man links, mal blinkt man rechts, das ganze Geblinke steht jedoch in keinem näheren Zusammenhang mit der Richtung, die man gleich einschlagen wird.
Immer wieder sieht man Menschen am Rande der Autobahn entlanggehen, Pferdewägen teilen sich die Straße mit wüst zusammengeschraubten Mopeds und eher schrottigen Kleinbussen, die bis zum Überquellen mit Menschen vollgestopft sind.
Wir umfahren einmal Kairo und überqueren den Nil, um auf die Alexandria Desert Road aufzufahren. Hier kommen wir an einer Tankstelle auch endlich zu unserem Wasser. Wir ernten das erste Mal seltsame Blicke, werden aber mit größter Freundlichkeit behandelt. Nach 2,5 Stunden Fahrt durchs staubige Nichts kommen wir schließlich in Alexandria an.
Wir tauchen in eine laute Stadt voller Menschen ein, das Auto schaukelt sich durch die schlechten Straßen wie ein Fischkutter auf hoher See, der Verkehr ist nun endgültig der blanke Wahnsinn. Es wird gehupt, aus dem Fenster geschrieen, andauernd hört man Sirenen heulen, aber doch wirkt alles flüssig und aufeinander abgestimmt. Es kommt mir wie ein Wunder vor, dass nicht ein Unfall auf den anderen folgt.
Während wir die elendslange Promenade entlang fahren, beginne ich mich langsam sicher zu fühlen. Links von uns das Meer, rechts von uns wild zusammengewürfelte Hochhäuser. Anscheinend werden hier die Gebäude ganz beliebig und bei Bedarf um das eine oder andere Stockwerk erweitert, alles wirkt roh und unverputzt, es hängt Wäsche aus den Fenstern, manchmal lässt ein brennendes Licht ein bisschen was vom Innenleben dieser abenteuerlichen Bauten erahnen, ein Innenleben, das uns wohl unbekannt bleiben wird.
Am Meer
Endlich im Hotel angekommen, fallen wir völlig erschöpft aus dem Auto. Wir lassen uns dankbar die Koffer von einem Pagen abnehmen und stolpern, von all den Eindrücken völlig overdosed, ins Hotel. Nach einem schnellen Drink an der Bar zieht man sich recht bald zurück. Ich gehe kurz auf die Terrasse vor meinem Zimmer und bemerke, dass es von hier aus nur ein paar Meter zum Meer hinunter sind. Also rüste ich mich noch mit einem Bier aus der Minibar aus und stecke meine weißen Füße zuerst in den Sand und dann ins warme Wasser.
Ich schaue in den klaren Nachthimmel, der seine Sterne ganz anders trägt als Zuhause und während hinter mir die fremde Stadt tobt, denke ich für einen kurzen Moment an Odette und ihre letzte Nachricht: Schau dir jetzt erstmal die Welt an, Andreas.
Am nächsten Tag lang geschlafen und hastig gefrühstückt, schon um halb 11 werden wir von Daniel vom Goethe Institut abgeholt. Wir fahren in die Stadt und besichtigen erstmal die Bibliotheca Alexandria, in der wir morgen spielen werden. Es ist ein beeindruckender und riesig großer Saal in den man uns führt. Auch wenn uns Daniel erklärt, dass man das Ganze abtrennen wird, um es etwas kleiner zu machen, fragen wir uns: Wer soll denn da bitte kommen? Nachdem wir noch durch das weitere Gebäude geleitet werden, hauptsächlich durchs Museum, in das wir leider nur ein paar kurze Blicke werfen können, geht es auch schon zu unserem ersten Workshop mit ägyptischen Studenten.
Wir sind alle recht aufgeregt bis angespannt während wir unser Equipment in einem größeren Musikzimmer im Keller der Bibliotheca aufbauen. Nach und nach trudeln dann zwei Handvoll ägyptische boys und sogar ein junges girl ein, es wird leider für den kommenden Abend bezeichnend sein, dass ihre Flöte gerade kaputt ist und sie nur zum Zuhören vorbeigekommen ist.
Ja, Panik
Plan des in etwa drei-stündigen Workshops ist es, mit den jungen Musikern gemeinsam ein Ja, Panik-Stück zu proben, um es beim morgigen Konzert aufzuführen. Wir sind sehr überrascht, dass die gesamte Mannschaft unsere CDs zu kennen scheint. Da wir darauf bestehen, dass sie auch mit uns singen und ihnen Deutsch genauso schwer über die Lippen geht wie uns das Arabische, entscheiden wir uns für ein Stück mit englischem Refrain, nämlich Blue Eyes.
Anfangs gehen beide Seiten etwas zögerlich an die Sache heran, dass nur zwei der im Endeffekt sieben Mitmusiker einigermaßen flüssig Englisch sprechen, macht die Sache nicht einfacher, aber dafür umso interessanter. Es ist im Gegenzug sofort klar, wer mehr Ahnung von Tonleitern und Harmonien hat und auch wer sich besser auf seinem jeweiligen Instrument zurechtzufinden scheint. Dementsprechend flott kommen wir voran und proben sogar noch zusätzlich ein Stück der alexandrinischen Band Zaman ein, der ein Großteil der Musiker hier angehören.
Andreas Spechtl
Die Höflichkeit und zurückhaltende Dankbarkeit, der wir begegnen, berührt uns, die wir den grantelnden Wiener und lauten, derben Berliner schon völlig verinnerlicht haben, sehr und wie ich später erfahre, ist auch das Gegenüber über unser Interesse und unsere Offenheit überrascht, erzählt man sich hier doch Schauergeschichten über den strengen, steifen Deutschen. Dass wir mehrmals betonen, dass wir gar nicht aus Deutschland kommen, ändert daran nicht viel. Es wird meist ohnehin viel allgemeiner von Europe gesprochen. Bevor der Fahrer uns wieder in die seltsame 5-Stern-Hotellandschaft aus 1001 Nacht bringt, wird noch für den Abend ein Treffen ausgemacht. They will pick us up at 9 pm.
Rich Kids
Wir essen fürstlich in einem Fischrestaurant zu Abend. Der Chef des Hauses lässt es sich nicht nehmen, uns selbst zu bedienen und überhaupt, die Gastfreundschaft, die uns von allen Seiten entgegengebracht wird, lässt uns immer wieder mit einem beschämenden Gefühl an unsere Heimat denken und so verstricken wir uns ein weiteres Mal in eine angeregtere Diskussion während wir Fische zerteilen, Gräten aus den Mund ziehen und Fladenbrot zerreissen.
Denn man darf natürlich nicht vergessen, wir sind hier, wo das durchschnittliche Monatsgehalt bei in etwa 200 Euro liegt, du um 50 Euro eine annehmbare Wohnung mieten kannst und der Benzin ein Sechstel von dem in Deutschland kostet, mehr als wohlhabend.
Ich meine, das Hotel, das Restaurant - in vergleichsweisen Orten in Wien oder Berlin würden sie Typen wie uns da gar nicht erst reinlassen. Und so werden wir auch behandelt, wie rich kids, die wir an diesem Flecken der Erde zweifelsfrei sind.
Als wir endlich fertig gegessen haben, sind wir emotional schon dermaßen aufgewühlt und wund ob der unzähligen unterwürfigen Gesten der Kellner, dass wir am liebsten aufstehen würden um unsere Plätze anzubieten und ihnen auf Knien ein Wiener Schnitzel zu servieren.
Satt gefressen, frisch geduscht und trotzdem schmutzig fühlend erwarten wir also vor dem Hotel unsere neuen Bekannten. Wir steigen in zwei zerbeulte Rostlauben, die sich waghalsig in den abendlichen Stadtverkehr werfen, die schwüle Luft peitscht uns ins Gesicht und ehe wir uns versehen, hat uns Alexandria auch schon zärtlich in seine Arme genommen.
Ein paar enge Seitenstraßen weiter lässt uns, bis auf vereinzelte Werbungen, nichts mehr an Europa erinnern. Bald schon halten wir an, hier, etwas abseits der, ich sag jetzt mal Hauptstraße, werden wir schon ganz anders angeschaut, die Blicke, die man auf uns wirft sind nicht immer freundlich, aber ich bin mir nicht sicher, ob der eine oder andere ältere Herr, der hier tagein tagaus Tee mit seinen Freunden trinkt, nicht einfach nur verwundert ist über die blassen Buben mit den seltsamen Frisuren und engen Jeans.
Andreas Spechtl
Wir setzen uns in ein Straßencafe, wie es sie zu Tausend gibt und bestellen schwarzen Tee, vis-a-vis wird höllisch laut ein afrikanisches Fussballspiel geschaut. Wir kommen langsam ins Reden, wobei Karin, der Keyborder und Mohammed, der Gitarrist, als Schnittstellen funktionieren, die das Gespräch immer wieder unterbrechen, um Gesagtes ins Arabische bzw Englische zu übersetzen. Man bestellt Shishas mit exotischen Tabaken für uns und wir erzählen viel von unserem Alltag in Europa, sie sind sehr interessiert an der Band und hören staunend zu.
Für eine Band wie sie es sind ist es hier praktisch unmöglich sich ein Studio zu leisten und Unterstützung gibt es von Außen keine. Sie meinen, entweder du machst diese seltsame Weichspülmusik, die an jeder Straßenecke aus den Boxen plärrt, ein kruder Mischmasch aus billigen Techno-Beats und orientalischer Folklore, oder du bist dazu verdammt, hin und wieder in einem kleinen Cafe oder Kulturzentrum für nichts und vor niemanden ein Konzert zu spielen, eine Szene für Musik abseits des Mainstreams gibt es keine.
Nachdem das erste Eis gebrochen ist, wage ich Karin zu fragen, ob denn nie Mädels hier mit ihnen zusammen sitzen oder mit ihnen gemeinsam ausgehen. Er scheint zuerst nicht zu verstehen, doch schaut mich dann entgeistert an und meint, nein, dass sei nicht möglich, ganz abgesehen davon, haben die schon seit 22 Uhr Zuhause zu sein. Ich versuche nachzuhaken und gebe ihm auch zu verstehen, dass ich das alles andere toll finde, doch da stockt unsere Unterhaltung plötzlich und er nimmt eine ablehnende Haltung ein, sodass ich vorerst nicht mehr nachfrage. Etwas später erklärt er mir zwar, dass Ägypten ein freies Land sei, aber dass, gerade in den letzten Jahren, die Religion wieder verstärkt an Bedeutung gewonnen habe, und auch, dass er das durchaus gutheiße.
Ich bin doch verwundert über die Worte dieses vielleicht 23-jährigen Jungen, der doch so aufgeklärt und gebildet zu sein scheint und noch mehr bin ich es, als ich im Laufe des weiteren Gesprächs darauf komme, dass doch fast jeder der jungen Männer hier heimlich eine Freundin hat. Ich hüte mich aber, auf dieses doppelmoralige Thema weiter einzugehen, da ich bemerke, dass sie eigentlich nicht gerne mit uns darüber sprechen und nehme mir vor, dem ganzen Morgen nochmal nachzugehen.
Andreas Spechtl
Wir laufen noch ein wenig gemeinsam durch die verwinkelten Straßen, bis wir vor Müdigkeit beinahe aus den Schuhen fallen. Bald schon müssen wir uns verabschieden, wir werden noch bis vor die Hoteltür gebracht und wie alte Freunde verabschiedet.
Die vielen Eindrücke, das Stimmengwirr der Stadt und die kehligen Laute der Jungs, die in meinen Ohren nachhallen, werden mich noch lange nicht einschlafen lassen, aber ich werde, der ich seit geraumer Zeit schon nicht mehr träume, das erste Mal seit langem, in einen traumreichen, wenn auch nicht allzu erholsamen Schlaf fallen und erst von der Schwüle des anbrechenden Tages sanft geweckt werden.