Erstellt am: 18. 10. 2010 - 19:00 Uhr
Brennt's noch?
Laut aktuellen Informationen ist das Audimax der Uni Wien heute abend, am 19.10., von Studierenden besetzt worden. FM4-Reporter Lukas Tagwerker befindet sich im Audimax und berichtet von der erneuten Besetzung in der FM4 Homebase.
Begonnen hat alles an der Akademie der bildenden Künste. Im Rahmen einer Mahnwache gegen die Einführung des Bologna Systems wird die Aula besetzt. Das spricht sich herum, und zwei Tage später treffen sich einige hundert Studierende im Votivpark. Sie ziehen zur Uni und besetzen den Audimax. In Arbeitsgruppen wird dort inhaltlich genauso wie organisatorisch am Protest gearbeitet. Über basisdemokratisch organisierte Plena werden die Vorschläge der AGs abgestimmt, die „Volxküche“ kümmert sich ums Essen. Die Studierenden zeigen vor, wie direkte Demokratie, Solidarität und Selbstorganisation im Jahr 2010 funktionieren.
kadluba
Audimaxismus
Das Ziel des Protests: Auf die Probleme der österreichischen Bildungspolitik hinzuweisen. Das gelingt, denn der "Audimaxismus" dominiert für zwei Monate die politische Berichterstattung in Österreich. In einem Forderungskatalog einigen sich die Besetzer_innen auf die Kernthemen: Gegen Studiengebühren, gegen Zugangsbeschränkungen und gegen das Bologna System. Bei ersten Großdemonstrationen treffen sich Zehntausende auf der Straße und schließen sich den Forderungen der Studierenden an. Hörsäle in ganz Österreich werden besetzt. Das Feuer von #unibrennt greift innerhalb weniger Wochen über Deutschland auf ganz Europa über. Bis zu 40 Universitäten sind gleichzeitig in der Hand der Studierenden.
Normalität
Am Dienstag, 19. Oktober werden Lehrende und Studierende gemeinsam gegen die Finanzmisere im österreichischen Bildungssystem demonstrieren. Vollversammlungen sind in allen größeren Universitätsstädten geplant. Eine Sterndemonstration trifft sich ab 18 Uhr am Ballhausplatz in Wien. Mehr Infos
Und dann kommt wieder die Normalität: Am 21.Dezember veranlasst das Rektorat die polizeiliche Räumung des Audimax. Im Winter kühlt der heiße Herbst relativ schnell ab, die Bewegung besteht aber weiter fort. Gut organisiert im Web 2.0 bleibt das soziale Netzwerk #unibrennt erhalten. Die Diskussionsprozesse gehen weiter.
Was bleibt?
Ein Jahr danach stellt sich die Frage, was die Bewegung im heißen Herbst 2009 gelernt hat. Wir haben deshalb fünf Audimax Besetzer_innen zu einem Gespräch eingeladen. Sie wollen, ganz in der Tradition des Audimaxismus, anonym bleiben und sprechen ausdrücklich für sich persönlich. Sie bilden deshalb nur einen subjektiven Ausschnitt der Protestbewegung ab.
FM4: Kann man nach einem Jahr #unibrennt Bilanz ziehen? Was hat man gelernt, oder was hat sich in diesem einen Jahr verändert?
A: Zum einen haben wir – wir kann ich ja sowieso nicht sagen – ich persönlich hab' gelernt, dass man sich nicht täuschen darf durch Dynamiken, die man selbst über Wochen oder Monate hinweg erlebt. Es ist dieser Umgang mit #unibrennt ganz typisch für ein österreichisches Verhalten, wie man von Seiten der politischen Verantwortung mit sozialen Bewegungen umgeht. Das kann man am besten mit dem Begriff 'Aussitzen' beschreiben. Die Politik machte erst einmal gar nichts, dann kamen erste Attacken über die Medien. In erster Linie wurde aber bagatellisiert und trivialisiert und gar nichts gemacht. Das mag jetzt polemisch klingen, aber ich hab' auch gemerkt wie global organisiert und wie übermächtig unser Gegner ist.
B: Ich fand die Diskussionen im Audimax zwischen den K-Gruppen und den unpolitisierten Massen sehr spannend. Vielen war der Protest ein bildungspolitisches Anliegen, in der Bewegung gab es aber auch eine Minderheit, die das gesellschaftspolitisch interpretiert hat. Diese Spannung, die da im Raum lag zwischen den Anarchisten, die die Weltrevolution anleiern wollten, und denen die da irgenwie mitgingen. Plötzlich sitz’ ich mit denen in einem Boot, obwohl ich von meiner Weltanschauung her eher bürgerlich bin. Das fand ich sehr lustig. Und ganz konkret ist es einfach dieses Netzwerk, das hängengeblieben ist. Das ist ein Wahnsinn. Dass sich da über ein Twitter-Hashtag, über Flickr-Gruppen und über Facebook eine Clique von Gleichgesinnten gebildet hat - über alle Schichten, Stadtteile und politischen Anschauungen hinweg. Es gibt eine in sich solidarisch seiende Gruppe, die auch weiterhin aktiv und immer noch vernetzt ist. Das ist sehr schön.
C: Ich denke auch, dass die Vernetzung mit der größte Gewinn an der ganzen Sache ist, und zwar nicht nur über Web 2.0, sondern ich hab' über 20 Telefonnummern auf meinem Handy, die alle aus dem Unibrennt-Netzwerk kommen. Das sind sehr gut funktionierende Kanäle, über die Nachrichten sehr schnell verbreitet werden - nicht nur bildungspolitische, sondern auch wenn sonst etwas passiert. Und dieses Netzwerk kann mir auch niemand mehr nehmen. Das ist einfach da.
D: Für mich war die wichtigste von diesen vielen Lehren, die man ziehen kann dieses kollektive Aufatmen und Luft bekommen. Weit über die Aktiven und Studierenden hinaus: Großeltern, Leute auf der Straße. Dieses Zerreißen der Konventionen des gesellschaftlichen Skeletts, das ganz im Sinne der Kontrollgesellschaft immer radikaler alles einbettet und formiert. Und damit auch noch verbunden dieses unglaubliche Tempo in dem viele jetzt gemeinsam lernen und ein unglaubliches Maß an Kompetenz bekommen. Nicht nur Kompetenz wie man zum Beispiel Medienarbeit machen kann, wie man dieses und jenes tun kann, sondern Kompetenz des Sich-Selbst-Organisierens und Zusammenarbeitens, was einfach zeigt, was gesellschaftlich möglich wäre. Natürlich nur in einem gewissen Raum und in gewissen Zeitabfolgen und nicht dauernd. Die heiße Phase kann nicht ständig heiß bleiben.
E: Ganz zentral für mich war dieser Konsens, der sich gebildet hat. Über gesellschaftliche Schichten hinweg, über alle möglichen konstruierten Barrieren, die man so vorfindet. Die Leute, die dort partizipiert haben an der Bewegung im Audimax, sei es in Arbeitsgruppen, oder sei es sonst wo. Da war einfach ein Konsens da, der nicht wirklich ausgesprochen war, aber jeder hat irgendwie das selbe Gefühl gehabt, dass mit den hegemonialen Strukturen irgendwas nicht stimmt. Und da hat sich eben etwas gebildet, das in die Netzwerke bis heute hineingetragen wird.
Anm.: Der damalige Wissenschaftsminister Hahn wechselte 2009 als EU-Kommisar nach Brüssel
D: Unibrennt war, da könnten wir jetzt darüber streiten, ein Monat oder zwei Monate lang einer der wichtigsten politischen Player im Land. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas passiert ist minimal. Nicht umsonst passiert dergleichen auch nur alle 20 Jahre. Es ist hochgradig unwahrscheinlich, dass aus dem nichts heraus so eine selbst-organisierte Gruppe oder Bewegung ohne Kopf und Steuerung, eigentlich viele gestandene, mit Geld und Erfahrung ausgestattete Player schachmatt setzt. Diese Bewegung hat weltweit ein gewisses Echo hervorgerufen, hat einen ÖVPler nach Brüssel abgeschoben, und hat für einige Zeit lang in eine ernstzunehmende Bildungsdebatte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene geführt. Und das war das erste Mal seit wahrscheinlich Mitte der 70er Jahre. Das ist eine unglaubliche Leistung.
FM4: Mich interessiert noch die Praxis des Protests. Gibt es Lernerfolge, was die ganz praktische Herangehensweise an den Protest betrifft?
A: Wenn man sich anschaut, wie sich die Diskussion rein thematisch verändert hat, von einer ganz konkreten Bildungsdiskussion am Anfang zu einer gesellschaftspolitischen Metaebene gekommen ist. Stichwort: Neoliberalismus und Ausverkauf sämtlicher Lebensbereiche. Das ist thematisch explodiert. Aus dieser Entwicklung heraus ergeben sich methodisch eine Reihe von Zusammenhängen, die sehr komplex sind, und die jeder wahrscheinlich nur individuell erklären kann.
D: Für mich stehen besonders zwei Lehren im Vordergrund. Nicht nur das 'Be the media' sondern auch das selbst in der Hand halten von allen Kommunikationskanälen. Nicht nur für die Öffentlichkeitsarbeit nach außen, sondern vor allem für das eigene Wissensmanagement und die eigene Organisationsentwicklung. Der andere Punkt ist: Da lagen jetzt wenig große Geheimnisse in der Organisation dieser Bewegung. Natürlich passierte das alles zu einem günstigen Zeitpunkt, was die Medienentwicklung betrifft. Vorher hatten wir ein Hashtag #iranelection und diese und jene, aber das wirklich faszinierende war, dass wirklich alle bereit waren in einer Art zu lernen, die sonst nicht möglich wäre. Als Beispiel: Da gibt es ein Medienzimmer und da wuselt es nur so. Alle paar Minuten geht die Tür auf und jemand steckt den Kopf herein und fragt ob er/sie helfen kann, schaut dabei leicht verwirrt und hilflos. Der halbe Raum schreit: 'Ja mach das, das, das.' Die Person sitzt auf einem fremden Laptop, der selbstverständlich geteilt wird, bekommt keine Einschulung, sondern gleich das Admin-Passwort und fängt zu arbeiten an. Die übliche Reaktion wäre in dieser Situation die Flucht. Aber im Audimax wars anders: Ich trau mich da jetzt d’rüber. Ich lerne das jetzt, was mir sonst viel zu anstrengend wär.
FM4: Gibt's eigentlich Sachen, die man jetzt nicht mehr so machen würde wie vor einem Jahr, die man in einer Art Beta-Stadium ausprobiert hat und jetzt anders machen würde?
C: Ein großes Problem, das ich auch von anderen Universitäten wie etwa in München mitbekommen habe, war der Modus, um in den Plena zu Entscheidungen zu kommen. Irgendwann kam immer die sich im Kreis drehende Frage, ob wir nun abstimmen sollten, ob überhaupt abgestimmt wird. Und so wurden immer wieder die selben Sachen diskutiert, was auf der einen Seite gut war, weil es meist sehr komplexe Themen waren, aber viel ging schon an die basisdemokratischen Reibungsenergie verloren.
D: Ich finde diese Selbstkritik berechtigt, man darf aber nicht vergessen, dass diese Bewegung nach Kriterien beurteilt wurde, als wäre das eine seit 20 Jahren mit Kohle und Professionisten ausgestattete Organisation oder ein Unternehmen. Natürlich sind laufend Dinge daneben gegangen, aber dieser Anspruch: 'Man hätte es anders machen sollen' setzt voraus, dass man planen hätte können. Insofern ein völlig falscher Bewertungsrahmen. Dehalb: Nein, man hätte nichts besser machen können. Man hat das Maximum herausgeholt.
FM4: Ist ein Blick in die Zukunft möglich?
Einen breiteren Einblick in die Erfahrungen der Protestierenden bietet dieses Dokument. Insgesamt fast 300 anonyme Aktivist_innen haben innerhalb von 48 Stunden auf die Frage geantwortet: "Ein Jahr #unibrennt. Was haben wir gelernt?" Wie es dazu kam: hier.
C: Mir persönlich geht's so, und ich denke, das ist bei vielen anderen auch so, dass man nicht wieder etwas besetzen will in dem Ausmaß, weil das - mit der Erfahrung von letztem Jahr - ein enormer Stress ist. Und da sehr viele Leute sehr viel Zeit reingesteckt haben, nicht nur in die Dinge, die nach außen gedrungen sind, sondern vor allem die innere Organisation wie Küche oder ähnliches. Und ich weiß nicht wie viele Leute wieder für so etwas bereit wären, wenn's nicht spontan passiert. Aber ich kann mir gut vorstellen, dass in anderer Form etwas passieren wird.
D: Es muss ja auch nicht das Audimax sein. Wir sitzen jetzt zum Beispiel in einem Radiostudio. Es kann auch sein, dass die Besetzungen ganz wo anders stattfinden.
FM4: Ihr habt uns besetzt?
D: Nein, nein, wir sitzen hier.
E: Aber ob wir noch gehen ist eine andere Frage [lacht].
Anm.: Die Industriellenvereinigung hat ihren Sitz am Wiener Schwarzenbergplatz.
D: Bringt die Schlafsäcke. Nein, aber im dritten Bezirk gibt's auch ein großes Medienhaus. Es gibt am Schwarzenbergplatz eine Interessensvertretung.
C: Jetzt, wo alle Zeitungen schreiben: 'Es wird wieder Proteste geben' ist die Situation komplett konträr zum vergangen Herbst, als Bildungspolitik überhaupt kein Thema war. Es wird mehr herbeigeschrieben, als dass da etwas in Planung wäre.
D: Es gibt ja auch dieses Panini-Sammelalbum für Aktionsformen und wir haben darin jetzt schon ein paar Dinge abgehakt. Es wäre logisch jetzt die nächsten Dinge anzugehen. Wir haben Eliteuni-Fakewebseiten, wir haben Besetzung, verschiedene Formen von transparenten Protesten, wir haben noch nicht Boss-Napping. Also einige Dinge fehlen noch.