Erstellt am: 16. 10. 2010 - 11:12 Uhr
Reisevorbereitungen
Travel south until your skin gets warmer,
Travel south until your skin turns brown.
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Auf Tour in Afrika - Ein Reise-Tagebuch von Andreas Spechtl:
- Reisevorbereitungen: Letzter Tag in Ägypten, Ankunft im Sudan: Wind und Wasser
- Alexandria: Erschöpfung, erste Proben, Tee im Straßencafé und die Sache mit den Mädchen
- Kairo: das Problem mit dem Alkohol, deutsche Austausch-Kiddies, fuck MTV und ein abgebrochenes Konzert
- Sudan: Letzter Tag in Ägypten, Ankunft im Sudan: Wind und Wasser
Das Goethe Institut hat uns also nach Afrika eingeladen, besser gesagt nach Ägypten und in den Sudan. Wir werden zehn Tage unterwegs sein, Konzerte in Clubs und auch in Schulen geben, Workshops machen, in der Botschaft in Khartoum spielen. In den kommenden Tagen hier ein paar Aufzeichnungen.
Ja, Panik
In gewissem Sinne hat die Reise für mich schon vor ein paar Tagen in Schwechat begonnen. Ich sitze, nachdem ich unserem Wien Konzert noch ein paar Tage im Burgenland bei Mutter und Schwester angehängt habe, ohne Pass am Flughafen und bin etwas bange ob des bevorstehenden Fluges bzw der Sicherheitskontrollen. Personalausweis besitze ich keinen und den Führerschein habe ich, wie so vieles in meinem Leben, kurz vor Abschluss besser wieder sein gelassen. Was einem Lichtbildausweis also am nächsten kommt ist meine ÖBB Vorteilscard. Und ich würde mir die Diskussion mit dem grantigen, österreichischen Zollbeamten an diesem ohnehin schon unfreundlichen Sonntag Morgen gerne ersparen, oder noch schlimmer, ich habe mich ja informiert, die saftige Strafe und eine oder andere Stunde in Sicherheitsgewahrsam. In diese mehr als ungute Situation hat mich, und ein paar Tage später auch andere Mitglieder der Gruppe Ja, Panik, eine an sich ganz reizende Dame der sudanesischen Botschaft in Berlin gebracht. Dort liegen unsere Pässe nämlich schon seit zwei Wochen und auch der 6. Besuch unsererseits konnte die Auslieferung dieses anscheinend Gold und Diamanten veredelten Visums nicht beschleunigen.
Ja, Panik
Glücklicherweise bleibt mir aber eine Konfrontation erspart, ich werde nirgendwo kontrolliert und komme anstandslos in meinen Flieger Richtung Berlin Tegel. Eine späte Aussöhnung mit dem Europäischen Projekt. Der letzte Blick auf die Wienerstadt hinunter sagt mir, dass ich weit mehr da gelassen habe als den kleinen Fuck, der im Burgenland geblieben ist. Die Tage in Wien haben mich das erste Mal seit meinem Wegzug eine nicht geahnte Sehnsucht nach der Überschaubarkeit und, ja, gewissermaßen perversen Wärme dieser mir immer so suspekten Stadt spüren lassen. Das doch sehr schöne Konzert, die vielen alten Freunde und selbst die nur entfernt Bekannten, das alles hat mich auf eine Weise berührt, die ich so nicht für möglich gehalten hätte, waren doch meine letzten Wien-Besuche eher von Arbeits- und Sozialstress geprägt und ich immer wieder froh, wenn sich das Schönbrunner Schloss beim Vorbeifahren endlich blass in der Fensterscheibe verwischt oder die Donau langsam in die Wolkendecke mündet und der Druck in der Kabine nicht nur meine Ohren, sondern ein weiteres mal auch mein Herz fest verschließt. Diese Reinigung will mir aber diesmal nicht gelingen und so sitze ich mit einer Träne im Auge auf Platz 02D, ganz vorne bei den Stewardessen, kaue lustlos an einer Laugenstange und schlürfe wässrigen Air Berlin Kaffee.
flex, Philipp Pfeiffer
Zurück in Berlin versuche ich den leeren Tagen bis zu unserer Abreise Sinn zu geben. Ich putze die quasi einsame Wohnung, bis auf Christian ist der Rest der Gruppe noch zwischen München und Donnerskirchen verstreut, kaufe bei Ikea das billigste Regal das ich finden kann um endlich das Bücherchaos in meinem Arbeitszimmer zu beseitigen und beim Blumenmarkt aus purem Übermut noch einen Philodendron fürs Schlafzimmer. Schwarzmaler, der ich bin, kann ich mich ehrlich gesagt noch nicht wirklich auf die Reise freuen, sondern fürchte schon jetzt nichts mehr als die Rückkehr ins kalte und unfreundliche November-Berlin. Also versuche ich mir vorerst lieber durch diesen leicht spießigen Präventivschlag die Aufwertung meiner Wohnung, das "Gemütlichmachen" dieses traurigen Loches, das Heimkommen etwas erträglicher zu gestalten.
Es ist Freitag Abend, in etwa acht Stunden werden wir das Flugzeug Richtung Istanbul besteigen, von wo wir weiter mit Egypt Air nach Alexandria fliegen. Ich habe das Nötigste schon gepackt, nicht viel, ein paar kurze Shirts, Unterwäsche und meine einzige Stoffhose, alles was eben irgendwie bei 35 Grad tragbar erscheint. Ich habe sowieso vor mich in Ägypten neu einzukleiden, klima- und kulturtechnisch korrekt, vielleicht weißes Leinen oder einen hanfenen Kaftan, man wird sich beraten lassen. Es ist vermutlich ohnehin egal, ich werde mich nicht leugnen können und aussehen nach dem, was ich nun einmal bin, ein dekadentes, dünnes white trash kid. Oder vielleicht auch wie ein schwuler Kolonialherr? Ich bin gespannt.
Ja, Panik
Das Visum haben wir gestern endlich bekommen, nachdem wir an der Gegensprechanlage schon mit: "Ah, die Österreicher!" begrüßt wurden und darauf zu hören bekamen: "Visum ist noch nicht fertig, kommen Sie morgen Nachmittag wieder." Langsam echte Verzweiflung in der Gruppe, wir bearbeiten die Dame bis sie die Problematik verstanden hat und uns mit der ernüchternden und fast frechen Feststellung: "Gut, dann mach ich es schnell, kommen sie in 20 Minuten wieder" in das gegenüberliegende Cafè entlässt.
Während ich diese Zeilen schreibe kopiere ich noch alles, was auf meinem Computer auch nur irgendwie nach Pornographie riecht, auf eine externe Festplatte. Man hat uns vor der Einreise in den Sudan gewarnt, man werde damit rechnen müssen, dass sie uns streng nach Alkohol, sowie unsere Laptops nach pornographischen Inhalten untersuchen. Für mich heißt das sicherheitshalber alle Fotos löschen, Filme runter, vor allem die französischen, und auch die eine oder andere unveröffentlichte Ja, Panik Sequenz entfernen. Abschließend werde ich noch eine handvoll Bücher einpacken. Aus gegebenen Anlass wird es wohl Walter Benjamins rührendes Reisedokument "Moskauer Tagebuch" werden, außerdem überlege ich, auf dem Flug von Kairo nach Khartoum, drei Stunden in einem, das deutsche Außenministerium hat uns gewarnt, nicht den westlichen Standards entsprechenden Flugzeug, Exuperys "Durst" zu lesen. Obwohl ich noch nicht weiß, ob das eine allzu gute Idee ist. Vielleicht werde ich mich auch einfach heimlich auf der Flugzeugtoilette betrinken. Man wird sehen.
Ich rauche jetzt aus und versuche mir erstmal nicht all zuviel Vorstellungen zu machen. Ich bin nämlich, ich glaube vorgestern, beim angestrengten Nachdenken darauf gekommen, dass das angestrengte Nachdenken die Dinge, die Welt und auch manche Menschen entzaubert. In diesem Sinne: es wird etwas passieren. Mehr bald hier.