Erstellt am: 15. 10. 2010 - 18:43 Uhr
Ni hao!
Zeichen aus einem fernen Land: Liu Xia, die Frau des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo steht unter Hausarrest, doch schafft es, Kurznachrichten in die Internetwelt zu schicken.
Von wegen verpflichtende Deutschkurse: Wir könnten gleich alle Mandarin lernen. Allein 1,3 Milliarden Menschen in der Volksrepublik China sprechen die Sprache. 2020 werden es laut Prognosen 1,5 Milliarden Menschen sein. Den meisten EuropäerInnen erscheint "Chinesisch" unerlernbar und unverständlich. Mir auch, zumal Mandarin reich an Homonymen ist und dazu eine Tonsprache. Die Stimmlage kann bei Vokalen eine andere Bedeutung verursachen.
Die Theatermacherin Edit Kaldor spielt mit diesem Nicht-Verstehen: mit zwei Chinesinnen und drei Chinesen ist die Regisseurin zum steirischen herbst gereist, um in "C'est du chinois" ihrem Publikum grundlegendes mündliches Mandarin beizubringen.
Nucheng Lu, Siping Yao und Aaron Chun Fai Wan, Lei Wang und Qifeng Shang sprechen nur Mandarin. Mit großen karierten Plastiktaschen betreten sie eilig die Bühne im Dom im Berg. Im Publikum wird das fröhlich-aufgeregte Plaudern leiser, zuvor war die Stimmung überdreht, als käme jeden Moment der Lateinlehrer mit korrigierten Schularbeiten ums Eck. Ein Chinese drückt einer Frau in der zweiten Reihe den Beipackzettel zu den folgenden achtzig Minuten in die Hand: Aufpassen, den Instruktionen von der Bühne folgen, "otherwise you will get lost". Allerdings hätte er eine DVD mit dem Mandarin-Sprachkurs im Gepäck. Ein erster verschmitzter Gag. "Ni hao!"
Auf einen Pfiff mit der Trillerpfeife sprechen die ZuschauerInnen die Wörter zu den Gegenständen nach, die reihum von den SchauspielerInnen hochgehalten und erklärt werden. Kaffeedose, Babypuppe, Reis im tragbaren Plastiktopf und was ist dieser weiße Block? "Butter? Oder Kuchen" mutmaßt man hinter mir, "Sterz" sagt eine andere Zuschauerin laut, "Dòufu!" ruft der junge Chinese. Soweit eine vergnügliche Einheit Volkshochschulkurs. Naiv freut man sich, dass Cola so ähnlich ausgesprochen wird - "kě-lè!". Dass Reis "fàn" heißt, wusste die China-Reisende in meiner Sitzreihe nicht. Dafür kannte sie bù, "das hamma gelernt, wenn Bettler kommen, solltma das sagen".
Im Stück "C'est du chinois" sind die umsitzenden TheaterbesucherInnen insgeheim für die Hauptrollen gebucht, ohne es zu wissen. Denn das Geschehen auf der Bühne kommt nicht über das Konjungieren von schlafen und sich freuen hinaus. Die wiederholten, sinnlosen Aneinanderreihungen von bekannten Aushängeschildern Chinas wie Jackie Chan und den erlernten Wörtern, 咖啡 kāfēi, kleiner Bruder - 弟弟 "dìdì" und "māma" 媽媽 führen das Unternehmen ad absurdum. "Māma" sagt meine Lieblingschinesin auch jedes Mal, wenn wir bei ihr Maki essen. Chinesen eignen sich vieles an. Wenn der jüngste, in Europa lebende Schauspieler mit seinem Zeigefinger auf der Landkarte erst zhōnghuárénmíngònghéguó und dann ōuzhōu umrundet, werden die Relationen klar.
Am Mandarin-Anfängerkurs "C'est du Chinois" kann man noch heute, 15. Oktober, und morgen, 16. Oktober, jeweils 19.30, im Dom im Berg, Graz, teilnehmen.

Radio FM4
Regisseurin Edit Kaldor, eine gebürtige Ungarin, die in Amsterdam lebt, hätte wohl keine Probleme, die chinesische Regierung in Beijing mit ihrem Stück zu unterhalten. Kritische Zwischentöne kann man sich höchstens dazudenken. Aus den Karotaschen leeren die Schauspieler hundert Tafeln 巧克力 qiǎokèlì und mehrere Dutzend Dosen 啤酒 píjiǔ auf den Bühnenboden. Noch trinken Chinesen im Durchschnitt nur über zwanzig Liter Bier pro Person im Jahr. Hochgerechnet würde China 2031 insgesamt 1352 Millionen Tonnen Getreide benötigen, wenn seine Bevölkerung ihren Fleisch- und Bierkonsum dem europäischen Durchschnitt annähert. Das wären zwei Drittel der Weltproduktion.