Erstellt am: 16. 10. 2010 - 17:05 Uhr
Drugs&Drugs&Rock'n'Roll
Vor bald zehn Jahren ist "The Dirt", die Bandbiographie der US Hairmetal-Band Motley Crüe, erschienen. Und wenn auch nur die Hälfte dieser aberwitzigen Anekdoten Sammlung NICHT frei erfunden ist, muss es damals tatsächlich verdammt räudig zugegangen sein. Immer haarscharf an der Grenze zur Menschenverachtung, erzählen die Mannen rund um Tommy Lee und Nikki Sixx, wie man besten Heroin mit dem Wasser einer Straßenpfütze aufkocht oder wie sich Groupies mit Billardstöcken und Telefonhörern bearbeiten lassen - das Wort "widerlich" greift über weite Strecken zu kurz.
Erstaunlicherweise nimmt man den Herren die eine oder andere Anekdote aber tatsächlich ab und vereinzelt versprüht dieses Buch sogar einen Hauch abartigen Rock'n'Roll-Glamour.
"My Appetite For Destruction", die Autobiografie von Steven Adler ist in englischer Sprache im Harper-Collins Verlag, London, erschienen.
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Das Hauptproblem jeder Rockpose, die sich zu ernst nimmt, ist, dass sich Dreck abwaschen lässt, man sich bei ehemaligen Groupies zumindest entschuldigen kann und irgendwann jede Schlangenlederhose in die Altkleidersammlung wandert, aber man wird ein Souvenir des "Sex'n'Drugs'n'Rock'n'Roll Lifestyle" nicht mehr so leicht los: Eine handfeste Sucht. Und so was soll sich beim Experimentieren mit Klasse A-Drogen ja fallweise einstellen.
Ein Lied davon weiß unter anderem der erste Schlagzeuger der tendenziell noch "gefährlicheren" Guns'n'Roses, Steven Adler, zu singen.
Einst haben alle Mitglieder der Gunners mit "Mr. Brownstone" (US-Szene-Slang für Heroin) getanzt, angeblich hat Slash selbst seinen Drummer mit dem ersten braunen Pulver versorgt, als Vollzeit-Junkie übrig geblieben ist aber nur einer: Steven Adler.
Nachdem er über zwanzig Jahre an einer massiven Opiat-Sucht litt, konnte er sich bis jetzt nicht äußern - zu all den Dingen, die rund um seinen Rauswurf aus der Band Anfang der 1990er, passiert sind. Es ging ihm einfach zu schlecht.
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Nachdem er vor knapp zwei Jahren verhaftet wurde, schickte man ihn zum Zwangsentzug, für Adler eine Art Lebensrettung. Nachdem er endlich wieder clean war, entschloss er sich "My Appetite For Destruction" zu schreiben. Es wurde eine Abrechnung.
Hier etwa die Vorwehen des Rauswurfs, als Steven erstmals die schlimmsten Entzugserscheinungen durchmachte:
"I was terribly sick for weeks. Then came the deathblow: Slash called me and told me that we were going to the studio to record "civil war". - "Dude, I'm sick as hell!" - Slash didn't want to hear it. His voice was strangley detached, zero emotion. "We can't waste any more money", he replied.
Was I really hearing this shit? From my dearest friend, the guy I was instrumental in getting into GnR, for fuck's sake? Where was the loyalty, the compassion?"
Kurz danach feuerte Axl Steven Adler aus Guns'n'Roses vor laufenden MTV-Kameras.
"I felt that familiar cut through my heart again, that emotional emptiness that meant my family had abandoned me. And GnR was my family. Izzy, Axl, Duff and Slash were my brothers, we loved and carde for each other, had each other's back, and fought like hell to succeed together. Now, I was no longer welcome in my own family."
Es ist schon eine grausame Fußnote der Rockgeschichte, dass ausgerechnet jene Band, die vollzählig auf Heroin war, ihren Ursprungs-Drummer wegen eines Drogenproblems feuerte.Und es zeichnet das Bild der fünf wilden Buben, die füreinander durch Dick und Dünn gehen, vollkommen neu.
Im Anschluss an den Rauswurf verbringt Adler die nächsten Jahre damit zu verwahrlosen, Crack und Heroin zu rauchen und sich in seiner privaten Drogenhölle zu verkriechen. Der blonde Surfertyp mit der kalifornischen Mähne ist am Ufer des "wreckless life" gestrandet.
Finanzielle und gesundheitliche Probleme folgen, ebenso erfolglose Reha-Versuche, Schlaganfälle, Herzinfarkte und Suizidversuche.
Auf dem Buchdeckel fasst Steven Adler das so zusammen:
"I'm the undisputed all-time booze-chugging, pill-cobbling, drug-shooting, Katrina-caliber fuck-up. Througout my wretched life there isn't a friend, family member or fantastic oppurtunity that I haven't shoved into a blender and mutilated".
Offenbar hat Steven Adler den Absprung gerade noch geschafft. Mit Hilfe eines Arztes hat er sich in den letzten Monaten von den harten Drogen losgesagt, endlich ein bisschen Geld aus den alten Tagen bekommen und sich mit diesem Buch selbst therapiert.
Als selbst-zerstörerischsten Rockstar und größten Loser aller Zeiten generiert sich Adler in dieser Autobiographie und legt sein Ego schonungslos auf den Opferaltar. Was vielleicht etwas pathetisch klingt, ist einfach seine Abrechnung mit einem Traum, der sich für ihn ins Gegenteil verkehrt hat. Und vor allem eine Abrechnung mit alten Weggefährten, die ihn fallen ließen, als er sie am dringendsten gebraucht hätte.
Im Machtkampf der Egomanen ist Adler als schwächstes Glied der Kette zerbrochen. Schön, dass er nun wieder die Kraft hat darüber zu schreiben und die verromantisierte Frühzeit der gefährlichsten Rockband der Welt aus seinem Blickwinkel schildert. Wenn einer wirklich jemals im Dschungel war, dann Steven Adler.