Erstellt am: 15. 10. 2010 - 16:06 Uhr
Mein finsteres Herz
Einem der ersten unter dem Projektnamen Boduf Songs aufgenommenen Stücke hat Mathew Sweet den Titel "Puke a Pitch Black Rainbow to the Sun" gegeben. Der Mann zeichnet keine kunterbunten Wunderpanoramen der Hoffnung ans Firmament - für Boduf Songs ist das Leben ein Ärgernis, die Welt karg und öd. Asche bläst über die Felder, ausgemergelt stehen unsere Körper im nassen Wind, die Fahnen sind zerfetzt, und zur Austapezierung unserer Bretterbuden nehmen wir das Steingrau.

Jessica Sweet
Auch aus dem vierten, wieder auf verstörende Weise ziemlich großartigen Longplayer, den Mathew Sweet als Boduf Songs für das Chicagoer Qualitäts-Label Kranky aufgenommen hat, scheint wenig Licht: "This Alone Above All Else In Spite Of Everything" heißt die Platte leicht kryptisch und wenig lebensfroh, das Cover ist Schwarz, how much more black could it be, einzig die Lyrics sind darauf abgedruckt. In Weiß-Grau. Die Stücke tragen Titel wie "I Have Decided To Pass Through Matter" oder "Absolutely Null And Utterly Void", komplette Selbstauslöschung, alles scheint sinnlos.
Seit dem "Boduf Songs" betitelten Debüt aus dem Jahr 2004 dringt der aus Southampton, England stammende, mittlerweile in die USA verzogene Dachboden-Musiker Mat Sweet mit minimalistischstem - bis heute kaum verändertem - Set-Up in die hintersten, die verstaubten Ecken der Rumpelkammer Seele vor. Ein Mikrofon, eine karg gezupfte Gitarre, Spielzeug-Klavier, das vernebelte Rauschen von Field Recordings, ein Rumpeln, ein Hauchen, ein Kratzen. Ab und zu geschieht etwas.
Auch wenn Sweet das Wort "Folk" zur Beschreibung der zerbrechlichen Klang-Miniaturen von Boduf Songs nur ungerne hören mag, kann er eine Nachbarschaft zu dem aus der Codeine-Badewanne grüßenden Nick Drake, der Freude am Spiel mit Mystizismus und Okkultem von Current 93 oder auch einem sich in gänzlicher Zersetzung befindlichen Will Oldham nicht leugnen. Ein nichts Gutes verheißender Begriff, der schon des Öfteren treffend zur Verortung von Boduf Songs Verwendung gefunden hat: "Acoustic Death Metal".

Jessica Sweet
Die Videos von Boduf Songs bieten einen verwackelten Einblick in den Gemütszustand von Sweet: Vergilbte Naturaufnahmen aus dem Geisterwald, die bei den Arbeiten zum "Blair Witch Project" unterm Schneidetisch liegengeblieben sind. Sucht man mit einer Suchmaschine nach Boduf Songs, trifft man auf den Hinweis "Doomed, in the Classical Sense", der quasi als Lebensphilosophie der Homepage von Sweet, vermutlich aber auch seinem gesamten Dasein überschrieben ist.

Kranky
Mit "This Alone Above All Else In Spite Of Everything" schreibt Sweet das böse Buch im selben Tonfall weiter: Einzelne, siruphaft aus dem Piano oder der Gitarre tropfende Töne, in alle Ewigkeit zerdehnte Stücke - sie als "Songs" zu entziffern bedarf einiges an reinigender Hörarbeit. Mit poröser Stimme erzählt Sweet vom Leiden und vom Sterben, weniger vom Lieben. Knistern, Rascheln, Ächzen. Mal fällt im Hintergrund ein Werkzeugschrank um. Dennoch nähert sich Boduf Songs mit dieser Platte so stark wie nie zuvor - verhältnismäßig - einer Idee von Pop an. Da und dort gibt ein nachgerade beschwingtes Schlagzeug den Puls vor, wenn sich Sweet zum Singen echter Melodien aufmühen kann, klingt eine Verwandschaft zu Elliott Smith an und im so schön betitelten "Decapitation Blues" darf gar eine elektrische (!) Gitarre tosend aufbrausen. Fast ein Rock-Song. Es sind Ausnahmen, die Welt bleibt desolat.
Dabei ist Boduf Songs jene weinerliche Selbstmitleidigkeit, an der so mancher Indie-Boy und Lagerfeuer-Mann kranken, ebenso fremd wie die martialische Humorlosigkeit, die bisweilen in den Metal-Abteilungen "Death" und Black" herrschen mag. Mat Sweet spricht auf seinen Platten in teils archaischen Bildern vom pechschwarzen Himmel, von Hinrichtungen, vom Galgen und davon wie reizvoll es sein kann, jemandem mit dem Hammer, durch die Wange, an den Boden zu nageln. Ihm gelingt dabei jedoch die Szenarien brüchig und als bloße "Geschichten" sichtbar zu machen. Boduf Songs überhöht die Trostlosigkeit ins Unglaubwürdige, lässt da und dort leise einen verwirrten Humor durchschimmern und erschafft eine Aura, die transportiert, dass es dem hier zu uns flüsternden Künstler im echten Leben so furchtbar gar nicht gehen kann. Zumindest nicht immer.
Hier spricht ein Mann, der fest daran glauben will, dass die Depression nur ein Teil des Lebens ist. Ein Teil jedoch, dessen Vertonung sich Boduf Songs zur höchsten Aufgabe gemacht hat. Mit mitten in der Nacht unangenehm draußen am Fenster klopfenden Stücken. Stücken, die zerfallen und im Begriff sind, sich komplett aufzulösen. "I Am Going Away And I Am Never Coming Back" heißt das letzte Stück auf "This Alone Above All Else In Spite Of Everything". Alles steht in Rauch.