Erstellt am: 11. 10. 2010 - 13:52 Uhr
Am Gipfel des Indie
"It's like a gathering of friends", meint Andy Nealen begeistert, als er in der Zeit zwischen zwei Vorträgen gerade auf der sonnenbestrahlten Wiese liegt. Er und sein Kollege Eddy Boxerman haben das Computerspiel "Osmos" entwickelt, bei dem es darum geht, mit einem runden, Einzeller-artigen Blob andere Einzeller zu absorbieren. Ein kleines Team, das auffallend innovative Spielideen kreiert und umsetzt - Boxerman und Nealen passen perfekt zur "IndieCade".
Doch nicht nur unabhängig entwickelte Videospiele stehen bei der dreitägigen Konferenz am Programm. Auch Street Games und Alternate Reality Games werden präsentiert, bei denen die physische Realität zum Spielbrett wird. Es ist eine ungewöhnliche Mischung, in der Umsetzung jedoch verblüffend homogen.
Eine Spieleveranstaltung zum Verlieben

Robert Glashüttner
Die pittoreske Innenstadt von Culver City, ein südwestlicher Teil des Großraum Los Angeles, stellt ein komplettes Wochenende lang viele seiner Räumlichkeiten zur Ausstellung von Spielen und zum Abhalten von Vorträgen und Panel-Diskussionen zur Verfügung. So findet die Konferenz im Theater statt, die Diskussionsrunde im Restaurant, die Straßenspiele am Parkplatz und die Games-Vorführung in der Feuerwehrhalle. Auf den breiten Gehsteigen haben die Veranstalter ihre selbst gezimmerten "IndieCade"-Infohäuschen aufgebaut, die orangen Ballons baumeln vor jeder Station und das hübsche Artwork des Festivals strahlt von den vielen schick designten Plakaten und Infoschildern. Schon während des ersten Rundgangs am Freitag erliegt man dem intimen, aber gleichzeitig sehr offenherzigen Charme der "IndieCade" komplett.

Robert Glashüttner

Robert Glashüttner
Die sonst gar nicht so einfach zu beantwortende Frage, was denn nun ein Indie-Game ist und was nicht, stellt sich an diesem Wochenende nicht. Klar ist: Keines der 32 internationalen Finalisten-Spiele der diesjährigen "IndieCade" (ausgewählt aus über 350 Einreichungen) ist von großen Konzernen beauftragt und mit dicken Budgets versorgt worden. Die Games stammen stattdessen von kreativen Einzelkämpfern und kleinen Teams, meist aus universitären Umfeldern. Indie-Games und experimentelle Videospiele wachsen und gedeihen in akademischen Lehrveranstaltungen besonders gut, wo sie frei von den normativen Design-Konventionen des Mainstreams und kommerziellen Gesetzen des Marktes sind.

Robert Glashüttner
Sind die Absolvent/innen mal aus der Uni draußen, führen sie die aus dem Studium mitgenommene Inspiration und Motivation erfreulich oft in eigene Projekte über. Beim Duo von "Spaces of Play" war es genau so: Der Interface-Designer Marek Plichta und der gelernte Informatiker Mattias Ljungström haben in den vergangenen Monaten konzentriert an ihrem Debüt-Spiel "Spirits" für iPad und iPhone gearbeitet. "Spirits" basiert auf dem Spielprinzip des Game-Klassikers "Lemmings". Statt kleiner Männchen mit grünen Wuschelhaaren tapsen hier allerdings weiße Geisterwesen durch eine hübsch animierte 2D-Landschaft. Jeder Spirit kann bestimmte vorgegebene Tätigkeiten ausführen, wie etwa eine Treppe bauen oder ein Loch graben. Zentrales Element sind die Windströme, die man in jedem Level korrekt adustieren muss. Bei den diesjährigen "IndieCade"-Awards hat "Spirits" in der Kategorie "Aesthetics" gewonnen. Die Berliner Entwickler sind naturgemäß freudig überrascht.

Robert Glashüttner
Die Besucher/innen der "IndieCade" setzen sich beinahe ausschließlich aus Akademikern und Spieleentwicklern zusammen. Trotz des vielseitigen Aufgebots an in der Videospielewelt bekannten Rednern und Panellisten gibt es in Culver City an diesem Wochenende weder Presserummel noch aufgeregte Fans, wie man es von kommerziellen Games-Messen gewohnt ist. Spätestens am zweiten Tag sind einem die meisten Gesichter auf der Straße vertraut und man nickt sich auf den kurzen Wegen zwischen den Veranstaltungsorten wissend zu.
Zaghafte internationale Vermischung
Doch trotz der internationalen Ausrichtung ist die "IndieCade" - ebenso wie das dienstältere "Independent Games Festival", das jedes Frühjahr in San Francisco stattfindet - weiterhin sehr westlich geprägt. Neben einigen Finalisten aus Europa, vorrangig Skandinavien, stammt nur eines der ausgezeichneten Spiele aus Asien und ein weiteres aus Brasilien. So wie die Mehrheit der "IndieCade"-Games stammt auch der Großteil des Publikums aus den USA, und ist in der Regel weiß, männlich und zwischen 23 und 39 Jahre alt.

Robert Glashüttner
Der schleppend anlaufende Austausch mit nicht-westlichen Spieleschaffenden ist größtenteils Sprachbarrieren geschuldet. Das südkoreanische Game "Groping In The Dark" lockert vor allem auch deshalb die vielen Einreichungen aus den USA- und Europa auf, weil das Team die Dienste einer Übersetzerin in Anspruch nimmt.
Doch immerhin ist die vorderste Riege der westlichen Indie-Games-Prominenz in hoher Dichte nach Culver City angereist. Renommierte Entwickler wie Robin Hunicke und Jenova Chen ("Flow", "Flower"), Jonathan Blow ("Braid") oder Terry Cavanagh ("VVVVVV") treffen auf Game Studies-Größen wie Ian Bogost oder Eric Zimmerman. "Boing Boing"-Blogger Brandon Boyer hält einen Vortrag über die Schönheit und Vielfalt von kunstvollen Videospielen und Indie-Urvater John Romero ("Doom", "Quake") lässt sich über sein Leben und seine Inspirationen interviewen.

Robert Glashüttner

Robert Glashüttner

Robert Glashüttner
Trotz der inhaltlich vielseitigen Kuratierung, wirkt die "IndieCade"-Konferenz in manchen Momenten etwas selbstgefällig - einige der Vorträge wären bei einer Veranstaltung außerhalb des Zirkels der Eingeweihten besser aufgehoben gewesen. Dafür fehlt es nicht an Selbstreflexion und kritischer Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen: Das respektvolle wechselseitige Kritisieren und Hinterfragen der eigenen Methoden und Zugänge ist eine Stärke der Indie-Games-Community.

Robert Glashüttner
Die "IndieCade" hat von 8. bis 10. Oktober in Culver City, Los Angeles, stattgefunden.
Auf der "IndieCade" teilen die Besucher/innen die Idee der mehr oder weniger unabhängigen, immer aber kreativen Entwicklung von neuartigen, originären Spielen. Nicht alle Teilnehmenden sind deshalb gleich beste Freunde, wie es die Ausrichtung des Festivals gerne nahelegt. Doch ein gewisser Grundkonsens ist die starke Basis und ein gemeinschaftliches Fundament, das vielen Interessensgruppen in anderen Medienbereichen fehlt. Schön zu sehen, dass die kulturelle Relevanz von Videospielen bei Veranstaltungen wie der "IndieCade" nicht bloß eine Erwähnung in einer Rede bleibt sondern aktiv gelebt und weiterentwickelt wird.