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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

10. 10. 2010 - 16:10

Song Zum Sonntag: Neil Young

Drogen, Lärm, Rückschau: Hitchhiker

Neil Young

neil young

Das reife Alterswerk muss nicht so ästhetisiert ausschauen wie das des notorischen Johnny Cash - es kann auch anders ästhetisiert ausschauen: Auf Neil Youngs Neuer ist außer der dünnen, klagenden Stimme nur Gitarre zu hören - aber nicht die Stahlseiten-Stille der Cash Platten dominiert hier, sondern der Reverb- Lärm, den man von den großen Young/Crazy Horse-Alben "Zuma", "American Stars N Bars" oder "Ragged Glory" kennt. Dazu singt Neil fast noch dünner als gewohnt, aber in der ganzen Breite seines "Spirit" - er fühlt die Liebe, will das Gute, beklagt den Zorn der Welt und blickt weise herab. Und zurück.

Den Song zum Sonntag erscheint auch in der Presse am Sonntag, wo sich der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar der Kolumne annimmt.

"Hitchhiker" ist eine von Neils Reisenummern (der Autosammler ist besessen vom Fahren) und sie ist voll von Referenzen auf seine (Drogen-)Vergangenheit. Neil Young Fans erkennen hier seine Stationen: Kiffen mit Stills bei Buffalo Springfield, Aufbleiben zu Amphetamin in Kalifornien, dagegen Valium, Die Paranoia von "On The Beach", das Zurück zur Natur von "Comes A Time" und "Old Ways" (wieder mit Kiffen, dioesmal "organisches Gras"), die abgedrehten Kokser-Platten "Trans" und "Reactor", dazu über allem die Sehnsucht nach indianischer Einfachheit (vgl. "Cortez", "Powderfinger" und "Pocahontas", dessen Marlon Brando Zeile hier paraphrasiert wird). Und er versucht seine Vergangenheit loszuwerden, aber sie holt ihn ein.

Neil Young

Neil Young

Es wäre nicht die erste Rückschau dieses - auch wegen dieser Rückschauen - besonderen Mannes.

Nach seiner (mit Crosby, Stills, Nash) Teilnahme am mutmaßlich einflussreichsten Festivals der mutmaßlich einflussreichsten Epoche des Rock, macht er mehrmals klar, dass er nicht, wie seine Kumpels, den Rest seines Künstlerlebens von dieser Nacht zehren wollte: "I'm not goin' back to Woodstock for a while, though I long to hear that lonesome hippie smile. I'm a million miles away from that helicopter day. No, I don't believe I'll be goin' back that way." (Roll another Number for the Road von "Tonight's the Night") - auch wenn er sentimentale Gefühle für lächelnde Hippies hat, geht der Weg nicht dorthin zurück, das wäre zu langweilig: "So I got bored and left them there, They were just deadweight to me - Better down the road without that load" (Thrasher von "Rust never sleeps").

Diese vorwärtsgerichtete Eigenwilligkeit hat den - eigentlich mit Laid Back- Hippie Kitsch (C,S,N & Y, "Heart of Gold") wohlhabend gewordenen - Mann zum großen, crediblen Überlebenden der Epoche werden lassen, den sogar Johnny Rotten als einen der wenigen Altvorderen gelten lassen haben soll - eine seltene, gegenseitige Repektsbezeugung, denn im Berühmtesten dieser vorwärtsgerichteten Rückblicke, hat Neil Young - untermalt von einem der fünf berühmtesten Rock- Riffs der Welt - den Ball des "Rock'n'Roll"- Spirit von Elvis Presley direkt an die Punks übergeben: "The king is gone but he's not forgotten. This is the story of a Johnny Rotten. It's better to burn out than it is to rust" ("Hey Hey My My"" von "Rust never Sleeps").

Die Idee hinter "Le Noise" ist bestechend einfach: Neil, seine Gretsch (zweimal eine Akustische), zwei Verstärker und die Stimme, alles aufgenommen in einem großen Raum in Daniel Lanois' Haus. Unter dem Aufnahmeraum befindet sich eine alte Kirchenorgel, durch deren Röhrensystem die Gesangsstimme gepumpt wurde, bis das Haus wackelte und die Nachbarn sämtlich aus ihren Schlafzimmerfenstern starrten. In den "making of" - Gesprächen erklärt Lanois, dass das Aufeinandertürmen von immer lauter werdenden Klangquellen den alten Live Hasen Young (und das Haus um ihn herum) einer physischen Belastung aussetzte, die ihn zu jener Höchstleitung anspornte, die auf "Le Noise" zu hören ist - kaum zu glauben, bei einem Mann, der bei den Proben mit Crazy Horse in einem Schuppen auf seiner Ranch so laut spielen soll, dass sich die fünf Meilen entfernten Nachbarn über den Lärm beschweren (so soll "Ragged Glory" entstanden sein).

Es entsteht durch dieses Setting auf Le Noise jedenfalls eine Mischung aus detailreichem Lärm und konzentrierter Abgeschiedenheit - zu sehen in dem Film "Le Noise":