Erstellt am: 9. 10. 2010 - 13:55 Uhr
Lost auf dem Oktoberfest
Zum Glück ist es jetzt vorbei, das Münchner Oktoberfest. Im fernen Berlin war man der Berichterstattung aus den Promizelten und der ganzen Wiesn-News schon ein wenig überdrüssig geworden.
Der Berliner versteht nicht viel von bayerischer Braukunst und alten Festbräuchen, seltsamerweise hindert es ihn nicht daran an gleich vier Orten der Stadt "Das Berliner Oktoberfest" zu feiern. Fast anbiedernd könnte das wirken, wüsste man nicht von der tiefen Hassliebe zwischen den beiden Landstrichen und ihren Bewohnern.
"Das Paradies auf Erden, bewohnt von Wilden", so urteilte einst der Preußenkönig Friedrich der Große über Bayern. Und seit dieser Zeit etwa wird der Hass zwischen den Berlinern und den Münchnern immer weiter gepflegt und verfeinert. Dabei ist für den gutmütigen Berliner der Bayer noch nicht mal der Allerunbeliebteste unter den deutschen Bundesgenossen.
Gilt doch der Bayer, anders als der Sachse oder Schwabe, noch als irgendwie originell und sinnesfreudig. Der Bayer selbst allerdings findet den Berliner arrogant und unberechenbar. Der deutsche Nachkriegsheimatfilm erfand die immer wieder kehrende Figur des schnellsprechenden Berliners, der mit seiner Hektik in die stoische Bierruhe in unberührter bayerischer Natur einbricht, alles aufmischen und modernisieren will, am Ende aber die auserwählte Dorfschönheit einem einheimischen Naturburschen überlassen und unverrichteter Dinge wieder abreisen muss. Der Heimatfilm kam aus der Mode, die Gegensätze blieben. Muss ein Berliner nach München ziehen, was er meistens nur wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten tut, plagt ihn arges Heimweh und er versucht, so oft wie möglich der bayerischen Tristesse zu entkommen.
Christiane Rösinger
Münchner hingegen sehen sich ja gerne als halbe Italiener und schwören auf die Lebensart ihrer "Weltstadt mit Herz". Müssen sie in Berlin wohnen, wie es nach der Jahrtausendwende einigen Münchner Feuilletonisten widerfahren ist, klagen und jammern sie in einem fort, kommen mit der Stadt gar nicht zurecht, verzweifen an der Nahrungsaufnahme und der Schwierigkeit, bestimmte Wurstsorten zu finden, verbittern an der Berliner Servicewüste, vermissen das Münchner Schnöseltum, und suchen hier vergeblich Nobeldiscos wie das P1.
Weil es sich bei den Leidtragenden um Journalisten handelt, wurden gleich mehrere Bücher über ihre Leiden an der Stadt veröffentlicht, Tenor: "Hier spricht Berlin, Geschichten aus einer barbarischen Stadt."
Aber wir Berliner sind nicht nachtragend. Das Oktoberfest in München ist passé - in Berlin feiert man immer noch. Zum Beipiel am "Zentralen Festplatz", einer unwirtlichen, unwirklichen Gegend in der Nähe des Flughafens Tegel.
Christiane Rösinger
In dieser Steppenlandschaft am Rande Berlins, neben den Zelten einer Reptilienhow, wird das Berliner Oktoberfest gefeiert. Ein paar Buden mit Süßigkeiten, ein Losverkäufer, ein Schießsstand, ein Kettenkarussel. Im einzigen vorbildlich blauweiß geschmückten Bierzelt spielte die Band "Münchner Hüttenpower".
Trotz all ihrer Bemühungen, die Musiker animierten ihr Publikum aufs allerherzlichste und ließen auch moderne Moves wie "Freeze" in ihre Performance einfließen, kam keine echte Stimmung auf. Am schönsten war es noch draußen bei den verlassenen Fahrgeschäften und den einsamen Losverkäufern. Herrlich lost fühlte man sich in dieser felliniesken Kirmeslandschaft im Nichts. Das sollen uns die Münchner mit ihrem überlaufenen Oktoberfest erst einmal nachmachen.