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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

8. 10. 2010 - 15:53

Somewhere in the Sky

Nachruf auf Aaron Carl, die Detroiter Produzentenlegende und den begnadeten Entertainer mit der samtweichen Soulstimme.

Heute, Freitag den 8. Oktober findet das Begräbnis des Detroiter Produzenten Aaron Carl Ragland statt, der vor einer Woche überraschend verstorben ist. Am Samstag wäre der begnadete Entertainer mit der samtweichen Soulstimme beim Danube Rave zu Gast gewesen.

Doch nicht nur Linz, auch Wien stand wieder auf seinem Tour-Kalender. Doch aus dem dritten Gastspiel bei Command Your Soul am 16. Oktober wurde leider nichts, denn Mitte September cancelte er seine Auftritte aufgrund gesundheitlicher Probleme. Am 23. September verkündete er über Twitter, dass er an Lymphdrüsenkrebs leidet. Eine Woche später, am 30. September, starb Aaron Carl. Er wurde 37 Jahre alt.

Er hinterlässt zwei Söhne, seinen Lebenspartner Mel und ein Opus an extrem unterschiedlichen Produktionen, die auf Labels wie Soul City von Underground Resistance Mastermind Mad Mike Banks oder auf Juan Atkins' Label Metroplex und auf seinem eigenen Imprint Wallshaker erschienen sind.

Musikalisch war Aaron Carl so flexibel wie kaum ein anderer Produzent aus Detroit. Seine Produktionen reichen von deep Vocal-House über Detroit Techno und dreckigen Booty Bass hin zu Elektro-Funk und dem Soul seiner Kindheitstage. Prince, sein großes Idol, ist in seinem ganzen Schaffen die unüberhörbare Referenzgröße und inspirierte ihn auch dazu, alles in Eigenregie zu produzieren: "If he can do it, i can do it, too", meint er lakonisch in einem FM4-Interview.

Homoerotic

Die akustische Klammer seiner facettenreichen Tracks ist seine geschlechtslose Gospelstimme, getragen von seinen sehr persönlichen Lyrics – die sich u.a. mit seiner offen gelebten Homosexualität ("Homoerotic") und seinen Ex-Boyfriends beschäftigen. Seine größten Hits wie z.B. "Down" sind purer Sex on Wax. Doch während die Gay-Community die Szene in Chicago oder New York entscheidend prägte, ist es in Motown Detroit noch immer nicht selbstverständlich, als schwuler Künstler öffentlich zu seiner sexuellen Orientierung zu stehen. Mit seinen expliziten Lyrics ließ Aaron absichtlich keinen Interpretationsspielraum zu, damit der Hörer getreu dem Motto "No Imagination" immer weiß, worum es gerade geht – und selbst der größte Ignorant und Macho seine Texte nicht als heterosexuelle Phantasie umdeuten kann.

Doch nicht alle seine Texte sind mit Sex gespickt, auch der Tod ("Sky", "If there is a heaven") und depressive und melancholische Simmungen ("Crucified") sind ein wiederkehrendes Motiv in seinen Texten.

aaron carl

myspace.com/aaroncarl

Dass sich Aaron Carl vor allem durch sein Songwriting auszeichnete, meint auch Christian König, aka DJ Dent von Command Your Soul. Er ist Plattenverkäufer im Wiener Rave Up Records und hat Aaron Carl bei seinen zwei Wien Gastspielen persönlich kennengelernt und vergleicht Carls Songwriting eher mit Detroiter HipHop-Acts wie z.B. Slum Village und J Dilla. Auch im dramaturgischen Aufbau seiner drei Alben sieht König Parallelen zum HipHop. Alleine die Tatsache, dass Aaron Carl auch Wert auf das LP-Format gelegt hat, ist eher die Ausnahme als die Regel in der Detroiter Techno Szene. Im März 2011 wäre Carls viertes Album erschienen. Wie weit Aaron Carl mit der Arbeit am Album war bzw. ob es posthume Releases geben wird, ist unbekannt.

Mit seinem einzigartigen Stil steht Aaron Carl also allein auf weiter Flur, der Dancefloor hingegen ist sofort voll, wenn eine seiner Platten läuft. Das war auch der Grund, warum Aaron Carl erstmals nach Wien eingeladen wurde. Christian König und seine Kollegen von Command Your Soul (kurz: CYS) wollten den Mann persönlich kennen lernen, der die Tracks produzierte, zu denen die Leute automatisch zu tanzen anfingen. 2004 war es dann soweit – Aaron Carl spielt das erste Mal in Wien, damals noch in der Fluc-Mensa, der Abend war ein voller Erfolg. CYS filmten Aaron bei seinem legendärem Gig und begleiteten ihn auch ins FM4-La Boum De Luxe Studio oder am Würstelstand mit der Kamera.



Aaron Carl legte viel Wert auf persönliche Beziehungen und Kontakte. Hotelzimmer waren im zu unpersönlich, viel lieber wohnte er privat bei seinen Gastgebern. Nach einem Gig blieb er meist auch ein paar Tage länger, um die Stadt und die jeweilige Musikszene besser kennen zu lernen. CYS verschaffte Aaron nach dem Fluc Konzert auch noch einen Auftritt im rhiz bei Drehli Robnik und Gerhard Stöger. Nach nur wenigen Takten machte er dort aus der Sitzdisco einen intimen Club mit voller Tanzfläche.

Nach dem Wien Besuch blieb CYS in regem Kontakt mit Aaron und 2006 spielte er im Rahmen des Blues Festivas im Reigen und einen Tag später performte er im PMK in Innsbruck. Doch CYS ist nicht die einzige Wien-Connection des Detroiters. 1999 machte der österreichische Grammy-Gewinner und Star-Remixer Peter Rauhofer aka Club 69 einen Remix von seinem Hit "Dance Naked". Aaron war – vor allem in den letzten Jahren – auch selbst als Remixer für seine Kollegen von Underground Resistance oder auch GusGus und Manu Dibango aktiv.

Während Aaron Carl on Stage das Publikum als DJ, Diva und Crooner begeisterte, war er privat eher schüchtern und hat sich laut Christian König „nie in seiner Männlichkeit aufgespielt, wie andere das machen“. Vielleicht war diese Zurückhaltung auch mit ein Grund, warum ihm der internationale Durchbruch trotz seiner Vielseitigkeit und seines Talents verwehrt blieb. Er sah sich selbst auch immer als Außenseiter in der Detroiter Szene und blieb mit seinen regulären Afterhour-Parties im Underground.

Netzwerke

La Boum de Luxe (21.30-06) widmet die heutige Sendung Aaron Carl und wiederholt den Mitschnitt seines Auftritts im Wiener Fluc. Alle Infos gibts im Radioprogramm.

Laut Christian König ist die Detroiter Szene eher schwach untereinander vernetzt – die meisten DJs und Produzenten lernen sich erst bei gemeinsamen Gigs in Europa oder Asien kennen. Deshalb initiierte Aaron Carl 2009 auch das Netzwerk W.A.R.M.T.H. Das Akronym steht für „We Are Revolutionizing the Movement of Techno and House“ und dient als internationale Vernetzungsplattform für DJs und Produzenten. Damit machte sich der Außenseiter Carl selbst zum integrativen Teil der Detroiter Techno Szene. Neben der Musik steht bei W.A.R.M.T.H. vor allem der Spirit und das ursprüngliche Gemeinschaftsgefühl der Bewegung im Vordergrund.

Doch er war nicht nur mit W.A.R.M.T.H. ein umtriebiger Netzwerker, sondern nutzte auch alle Möglichkeiten der sozialen Meiden aus – sei es Twitter, Facebook, Skype, Youtube, Myspace oder sein eigener Blog. Dort war er genauso wie als Musiker ein authentischer Kommentator und ließ Freunde und Fans an seinem Leben und seiner plötzlichen Erkrankung teilhaben, die ihm binnen eines Monats sein Leben kostete.