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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

7. 10. 2010 - 17:59

Das Fest des Mario Vargas Llosa

Der Literatur-Nobelpreis 2010 geht nach Peru.

Die Wettbüros lagen daneben. Den Peruaner Mario Vargas Llosa hatte niemand auf der Rechnung. Der weltweit wichtigste Literaturpreis geht somit nach fast 30 Jahren wieder nach Südamerika, zum ersten Mal überhaupt nach Peru.

Schriftsteller Mario Vargas Llosa

EPA/MARIO GUZMAN

"Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz"

Die Schwedische Akademie, die jedes Jahr die GewinnerInnen der Nobelpreise kürt, verleiht Mario Vargas Llosa den Preis für seine "Kartographien von Machtstrukturen und seine bissigen Bilder von Widerstand, Revolte und Niederlage des Individuums". Diese Bilder waren schon in seinen ersten Romanen zu finden, etwa in die "Die Stadt und die Hunde" (1963), wo er seine Erfahrungen in einer Kadettenanstalt aufarbeitet, oder in "Das grüne Haus" über ein Bordell gleichen Namens.

Vargas Llosa war Teil des Booms der lateinamerikanischen Literatur, der in den 1960er Jahren begann und zeigte auch Sympathien für Fidel Castros revolutionäres Kuba. Die totalitären Entwicklungen in Kuba konnte er allerdings nicht mehr mit seiner Vorstellung von persönlicher Freiheit in Einklang bringen. Er distanzierte sich ab 1971 zunehmend von der Idee des kubanischen Sozialismus. Dass ihm seine AutorenkollegInnen darin nicht nachkamen, irritierte ihn.

Vargas Llosa konnte nicht verstehen, dass sie immer noch für einen Staat Partei ergreifen konnten, der regimekritische Intellektuelle und Schriftsteller einsperrt oder ins Exil zwingt. Vargas Llosa distanzierte sich fortan von jeder Form von Totalitarismus, von linker oder rechter Seite.

"Wer mit 40 immer noch Sozialist ist, hat kein Hirn"

Im Laufe der1980er Jahre engagierte sich Vargas Llosa verstärkt in der Politik und schraubte seine literarische Produktion zurück. Mit einem neoliberalen Programm, das einen harten Sparkurs und die Privatisierung von Staatseigentum vorsah, trat er 1990 sogar bei den peruanischen Präsidentschaftswahlen an, verlor dort allerdings im zweiten Wahlgang gegen Alberto Fujimori. Von dieser politischen Niederlage profitieren die LeserInnen Vargas Llosas, weil er sich fortan wieder der Literatur zuwendet.

Obwohl Vargas Llosa bereits mit dem wichtigsten Literaturpreis der spanischsprachigen Welt, dem Premio Cervantes (1994) ausgezeichnet wurde, rechnete fast niemand in Peru damit, dass er auch den Nobelpreis bekommen würde. Seiner politischen Ansichten wegen würde ihn das Nobelpreiskomitee, dem gerne vorgeworfen wird, nach politischen Gesichtspunkten zu entscheiden, nicht berücksichtigen. Umso verwunderlicher ist es nun, dass ausgerechnet inmitten der vom Finanzkapitalismus ausgelösten Wirtschaftskrise ein neoliberaler Autor den Nobelpreis zugesprochen bekommt.

Abbild der Realität

Die literarische Qualität habe für den 74-jährigen Mario Vargas Llosa gesprochen, so tönt es einhellig. Marcel Reich Ranicki sieht in ihm einen würdigen Preisträger und Daniel Kehlmann meint, eine bessere Wahl sei nicht möglich gewesen.

Vargas Llosa bemüht sich in seinen Romanen immer, ein möglichst vollständiges, mimetisches Abbild der Realität zu schaffen. Die Wirklichkeit soll nicht nur in einer Perspektive, sondern in all ihren Facetten abgebildet werden. Beispielhaft macht er das, in seinem auch im deutschen Sprachraum bekannten Roman "Das Fest des Ziegenbocks" (2000).

Bücherstapel mit Büchern des Autors Mario Vargas Llosa

EPA/FRANK¦RUMPENHORST

Der Ziegenbock ist der Diktator Rafael Leónidas Trujillo, der die Dominikanische Republik von 1930 an reagiert, bis er 1961 einer Verschwörung zum Opfer fällt. Im Roman beleuchtet Vargas Llosa das Attentat aus allen möglichen Perspektiven. Regimevertreter und -gegner kommen genauso zu Wort wie der Diktator selbst. Die drei Haupterzählstränge, der letzte Tag des Diktators, die Mordanschlag auf den Tyrannen und die Geschichte einer Emigrantin, die 1996 auf die karibische Insel zurückkommt, werden in Trujillos letzten Momenten zusammengeführt.

Das "Fest des Ziegenbocks" stellt insofern eine Ausnahme in Mario Vargas Llosas Werk dar, dass die meisten seiner Romane und Novellen in seinem Heimatland Peru spielen. Auch dort hat er sich mit den Diktaturen auseinandergesetzt, etwa in "Gespräch in der Kathedrale"(1969).

Durch sein ganzes Werk zieht sich der Kampf für die Rechte des Individuums und für Demokratie. Vargas Llosa ist ein politischer Schriftsteller, auf seine Rede bei der Verleihung des Nobelpreises darf man gespannt sein.