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8. 10. 2010 - 10:22

Grenzüberschreitungen

Regisseurin Sabine Derflinger im Interview mit Petra Erdmann über ihren neuen Film "Tag und Nacht", Sexszenen, den weiblichen Blick und den Kick des Filmemachens.

Lea (Anna Rot) und Hanna (Magdalena Kronschläger) sind seit ihrer Kindheit beste Freundinnen; Wien soll nun für die beiden Studentinnen zum großen Abenteuer werden. Aber für Abenteuer braucht man Geld. Lea und Hanna lassen einen Münzwurf entscheiden und beginnen als Escort-Girls zu arbeiten. Sabine Derflingers Film "Tag und Nacht" erzählt, wie die beiden Frauen zusehends die Selbstkontrolle im harschen Sexbusiness verlieren. Das Drehbuch zu „Tag und Nacht" hat Derflinger gemeinsam mit Kamerafrau und Produzentin Eva Testor geschrieben. Petra Erdmann hat Sabine Derflinger zum Interview getroffen.

Regisseurin Sabine Derflinger

Sabine Derflinger

Sabine Derflinger

Hast du bei deiner Recherche das Gefühl gehabt, dass viele Frauen in diesem Business sind, um sich zunächst mal einen Kick zu holen?

Das breite Sexgeschäft funktioniert natürlich anders, da sind viele Frauen, die existentielle Notwendigkeiten haben, das zu machen oder gezwungen werden. Aber bei der Recherche und auch jetzt, wo der Film anläuft , gibt es immer mehr Frauen, die mit mir reden, die sagen, sie hätten das schon probiert oder wollten es probieren.

Was war für dich der Kick, diesen Kick der Studentinnen, im Escort-Service zu arbeiten, zu filmen?

Wie immer ist für mich der Kick beim Filmemachen eine Grenzüberschreitung, dann natürlich auch die Möglichkeit, in dieses Milieu vorzudringen; wenn man nicht in diesem Milieu arbeitet, ist es sehr schwer, etwas darüber zu erfahren. Es ist ein Privileg, wenn man als Regisseurin rumlaufen kann und plötzlich Dinge erfährt, die man sonst niemals erfahren würde – besonders von Männern. Und inhaltlich gesehen, glaube ich, dass sich die Machtverhältnisse der Geschlechter in der Prostitution wiederspiegeln. Und die Machtverhältnisse von Frauen und Männern in der Gesellschaft ist ein Thema, das mich interessiert.

Szenenbild aus "Tag und Nacht"

Sabine Derflinger

Was man in deinem Film auch beobachten kann, ist, dass der “einfache“ Tausch von Geld gegen Körper nicht funktioniert; eine Art der Demütigung und der physischen Macht bleibt übrig. Hast du versucht, das ein bisschen zu brechen? Manche Szenen muten fast schon Ulrich-Seidl-artig an. Szenen, in denen Freier mit all ihren Fetischen doch auch ein bisschen lächerlich wirken.

Die Figuren der Freier sind sehr stark mit den Schauspielern erarbeitet worden, die haben sich da sehr eingebracht. Da geht’s dann oft auch um die Frage, wie sehr "ein Mann, ein Mann sein muss". Wieviel Gefühl kann da sein, wie stark muss der sein. Es gibt eine Menge Bedürftigkeiten, die im Film vorkommen und es ist möglicherweise ungewohnt, Männer in sexueller oder emotionaler Bedürfigkeit zu sehen. Aber meine Liebe gilt den männlichen Figuren in dem Film genauso wie den weiblichen.

Szenenbild aus "Tag und Nacht"

Sabine Derflinger

Die Visualisierung von Sexualität spielt bei so einem Film natürlich eine große Rolle. Die Sexszenen sind in "Tag und Nacht" relativ explizit, tableau-artig gelöst. Was waren da für dich die Überlegungen dabei?

Filmplakat zu "Tag und Nacht"

Sabine Derflinger

"Tag und Nacht" läuft bereits in den österreichischen Kinos

Eva Testor als Drehbuchatorin und Kamerafrau hat ihren eigenen Blick behalten, sie hatte großen Gestaltungsfreiraum Wir haben am Anfang die Szenen geprobt und die Eva hat da mitgedreht, und wir haben geschaut, wo hat sie die Kamera draufgehalten und warum…

…Kann man vielleicht sagen, das ist der weibliche Blick auf Sexualität ? Was kann ich zeigen, was nicht, inwiefern ist die gezeigte Frau diskriminiert?

Es ist schon ein weiblicher Blick, der weibliche Blick kann ich jetzt nicht sagen. Fest steht, dass wir anders geschaut und gefilmt haben als vielleicht Männer, weil das Banale genauso vorkommt wie das Nicht-Banale, der ent-mystifizierende Augenblick genauso wie der verführerische. Der Blick ist frisch, neugierig, offen, schnörkellos.

Hast du das Gefühl, dass "Tag und Nacht" bei Frauen und Männern unterschiedliche Reaktionen hervorruft?

En gros, schon. Es gibt eine große Gruppe von Männern, die unangenehm berührt ist oder Vorbehalte haben, dass die Männer schlecht weggkommen.