Erstellt am: 5. 10. 2010 - 20:17 Uhr
Hier hält einen nichts
Republik Lettland
- Fläche: 64.589 km²
- Amtsprache: Lettisch
- Währung: Lats
- Staatsoberhaupt: Präsident Valdis Zatlers
- Unabhängigkeit: 21. August 1991
- Minderheiten: 27% Russischsprachige
Die Straßen in der lettischen Hauptstadt Riga wirken außerhalb des für Touristen herausgeputzten Zentrums grau. Nicht nur wegen des Herbstwetters. Statt bunten Kleidungsstücken und Süßigkeiten hängen in vielen Auslagen nur mehr "For sale"-Schilder. Selbst am Wochenende ist in den Shoppingmalls nur wenig los. "It‘s depressing", sagt die 27-jährige Liene. "Two years ago it was a lot better. People on the streets were happier." Kein Wunder.
Die fetten Jahre sind vorbei
Nach dem EU-Beitritt vor sechs Jahren hat für das kleine Land im Baltikum alles sehr gut ausgesehen. Neue Jobs sind entstanden, die Gehälter mehr als verdoppelt worden und überall sind schicke Bürogebäude aus dem Boden geschossen. Lettland war die am schnellsten wachsende Wirtschaft Europas. Doch seit der Finanzkrise Ende 2008 ist es damit vorbei.
mari lang
Das wirtschaftlich erfolgreichste junge EU-Land stand kurz vor dem Staatsbankrott. Nur ein Kredit der EU, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank konnte diesen verhindern. Die 7,5 Milliarden Euro Finanzhilfe war jedoch an strenge Sparauflagen geknüpft. Und so wurden Steuern erhöht, Krankenhäuser geschlossen und das Kindergeld komplett abgeschafft. Trotzdem wurde die Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Valdis Dombrovskis bei der Parlamentswahl am Samstag, 2. Oktober 2010, bestätigt. Sie erreichte rund 60 Prozent der Stimmen.
mari lang
Die harten Sparmaßnahmen haben der Wirtschaft gut getan. Denn sie zeigt, im Gegensatz zu vielen Letten, erste Anzeichen von Erholung. Liene und die anderen, die im engen Gang des Jobvermittlungsbüros "GP Recruitment" in der lettischen Hauptstadt sitzen, sehen für sich derzeit nur einen Ausweg - auswandern. Die robuste 27-jährige ist erst vor ein paar Wochen aus England zurückgekehrt, wo sie abwechselnd als Putzfrau, Kellnerin und Erdbeerpflückerin gearbeitet hat - von verschiedenen Agenturen als Saisonarbeiterin vermittelt. Jetzt will Liene gleich wieder weg, denn ohne abgeschlossene Schulausbildung findet sie im Moment in Lettland nur schwer einen Job. "I love Latvia, but there‘s nothing here. No job, no money, no nothing", sagt sie verbittert.
Immer noch sind rund 17 Prozent der 2,2 Millionen Einwohner Lettlands arbeitslos, und viele verdienen gerade einmal genug, um ihre Fixkosten zu bezahlen. "If Liene would stay and do a simple cleaning job in Latvia she would get five or six times less money", sagt Ginters Purins, der Geschäftsführer von "GP Recruitment". Deshalb hilft er der jungen Lettin einen Job in Norwegen zu finden.
Schrumpfende Bevölkerungszahlen
Genaue Zahlen gibt es zwar keine - doch Experten schätzen, dass rund 30.000 Letten pro Jahr das Land verlassen. Mehr Geld und ein besseres Leben, wie es sich auch Liene wünscht, ist nur einer der Motivationsgründe, um zu emigrieren. Ein schwindendes Vertrauen in die Politik, gekürzte Sozialleistungen und ein generelles Gefühl von Instabilität, führt die Wissenschaftlerin Dace Akule als weitere Gründe an. "We are a young country, so many things are still being established and they are improving, but compared to Western Europe there is a lot of instability."
Dieser Artikel ist im Rahmen von "eurotours 2010 - wie geht Europa mit Migration um?" entstanden, bei dem 26 junge JournalistInnen aus Österreich über europäische Länder berichten.
Für ein kleines Land wie Lettland kann eine schrumpfende Bevölkerungszahl eine Gefahr bedeuten. Denn die Menschen werden älter, bekommen weniger Kinder, und Zuwanderung gibt es so gut wie keine. Dace Akule, die für die lettische NGO Providus zu Migrationsthemen forscht, sieht jetzt die Politik gefordert. Die künftige Regierung, die in den nächsten Wochen gebildet wird, müsste sich klare Konzepte überlegen, um der schwindenen Bevölkerungszahl Herr zu werden. "At the moment the politicians don’t seem to be aware of these problems and they’re not willing to answer these questions", sagt sie.
Politiker, wie Ainars Latkovskis, der für die Partei des Ministerpräsidenten im Parlament sitzt, bestätigt diese Aussage. Auf die Frage, wie er dem derzeitigen Bevölkerungsschwund entgegenwirken will, meint er: "If anybody in Western Europe will come up with a solution, we will just copy it. But I don’t see the solution in Germany, in France, wherever right now. Everybody just wants to keep their living standards very nicely."
mari lang
Der Geschäftsmann Ginters Purins von "GP Recruitment" kann seinen Lebensstandard in Lettland im Moment jedenfalls gut halten. Er ist ein klarer Profiteur der Krise. Jeden Tag führt er mehr als zehn Bewerbungsgespräche in seinem Jobvermittlungsbüro in Riga. Seine Firma ist in den sechs Jahren ihres Bestehens enorm gewachsen. Neben dem Standort in der lettischen Hauptstadt gibt es mittlerweile drei weitere Büros im Osten des Landes, denn die Nachfrage nach Jobs im Ausland war noch nie so groß wie heute. "In the past we had to spend money on advertisement. Nobody wanted to go abroad, but at the moment we can’t complain", erzählt er stolz und merkt an "It’s pretty bad for Latvia at the moment, but it’s good for our business."