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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

6. 10. 2010 - 15:18

Vier Euro pro Nacht

Ab November sollen Obdachlose in Wien für einen Schlafplatz in den städtischen Notschlafstellen zahlen.

Die Stadt Wien plant ab November eine Nächtigungsgebühr von vier Euro in den Notschlafstellen des Fonds Soziales Wien (FSW) einzuheben.

Stockbetten in der Notschlafstelle VinziRast

© VinziRast

Die VinziRast verlangt 1 Euro pro Nacht.

Die Regelung gilt für 400 Schlafplätze, denen etwa 500 bis 800 Menschen gegenüber stehen, die ständig auf Wiens Straßen leben. Nachtquartiere ehrenamtlicher Betreiber bleiben von der Gebühr ausgenommen, und können ihre Bedingungen weiterhin autonom regeln.

Zahlen sollen alle Obdachlosen, die die bedarfsorientierte Mindestsicherung oder ein entsprechendes Einkommen beziehen, und die einen Notschlafplatz länger als zwei Monate in Anspruch nehmen.

Symbolischer Beitrag

Der Gedanke hinter der Nächtigungsgebühr ist folgender: In der seit September ausbezahlten Mindestsicherung in der Höhe von 744 Euro ist ein 25-prozentiger Wohnkostenanteil von 186 Euro enthalten. Dieser Betrag ist nun für die Zahlung der Nächtigungsgebühr vorgesehen. Das bedeutet in jedem Fall eine Verbesserung für wohnungslose Menschen, argumentiert die zuständige SP-Sozialstadträtin Sonja Wehsely, da ihnen das bisherige Sozialhilfesystem überhaupt keine Mietbeihilfe zur Verfügung gestellt hätte. Sie betont außerdem, dass Menschen, die die Mindestsicherung nicht beziehen - selbst wenn sie Anspruch darauf hätten - auch künftig gratis in den Nachtquartieren unterkämen. Allerdings beliefen sich die maximalen Kosten für einen Schlafplatz an 30 bzw. 31 Tagen im Monat auf 120 bzw. 124 Euro, was deutlich unter dem Wohnkostenanteil liege.

Wehsely versteht die Nächtigungsgebühr daher als symbolischen Beitrag, mit dem Ziel, Obdachlose schneller in betreute Übergangswohnheime oder eigene Wohnungen zu vermitteln. Die Maßnahme sei laut FSW-ExpertInnen notwendig geworden, weil viele Menschen, die grundsätzlich für einen dauerhaften Wohnplatz bereit wären, die bislang unentgeltlichen Nachtquartiere den kostenpflichtigen Wohnmöglichkeiten vorziehen. Mit der Nächtigungsgebühr könne man diese Personen nun schon in den Notschlafstellen daran gewöhnen, "dass man halt fürs Wohnen zahlt", sagt die Sozialstadträtin.

Obdachloser auf einer Bank am Gehsteig

APA

Sozialabbau auf dem Rücken der Schwächsten

Der Augustin feiert am 6. Oktober ab 19 Uhr seinen 15. Geburtstag im Wiener Flex. Mit dabei Ja Panik, das Stimmgewitter Augustin & Seven Sioux, Kollegium Kalksburg und First Fatal Kiss. Ein Teil des Erlöses kommt dem Augustin zugute.

15 jahre augustin_flyer

© Flex

Die Einführung der Nächtigungsgebühr wird von verschiedenen Seiten massiv kritisiert. Die Grünen halten es für zynisch, Menschen in prekären Situationen gleich wieder zur Kasse zu bitten, und fordern, die Nächtigungsgebühr zurückzunehmen. Andere Organisationen, wie die Armutskonferenz, die GPA-djp work@social, die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAWO) oder die Straßenzeitung Augustin sprechen sich ebenfalls gegen den 4-Euro-Kostenbeitrag aus.

Speerspitze der GebührengegnerInnen ist die Initiative für kostenlose Notschlafplätze (INKONO). Sie wurde von MitarbeiterInnen der Wiener Wohnungslosenhilfe selbst, gemeinsam mit der Wiener Landesgruppe des Österreichischen Berufsverbands der SozialarbeiterInnen ins Leben gerufen, und sammelt mit einer Petition Unterschriften gegen die Nächtigungsgebühr.

Viele der GebührengegnerInnen haben also täglich mit Obdachlosen zu tun, kennen ihre Bedürfnisse und Schwierigkeiten, und werden dafür bezahlt, Situationen und Verhalten der Betroffenen realistisch einzuschätzen und zumutbare Lösungen zu finden. Ein Grund anzunehmen, dass sich deren Argumente ein Stück näher an der Lebenswelt dieser Menschen orientieren, als die ihrer Auftraggeber.
Immerhin haben zum Beispiel auch die meisten Obdachlosen, die ihre Zeit vor dem Tageszentrum JOSI am Wiener Lerchenfelder Gürtel verbringen, triftige Gründe die Nächtigungsgebühr in der geplanten Form abzulehnen:

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Schlafen auf der Straße

Argument Nummer eins der INKONO lautet, dass durch die Nächtigungsgebühr mehr Menschen als bisher gezwungen sein werden, auf der Straße zu übernachten.

Mittlerweile haben sich auch betroffene obdachlose Menschen selbst organisiert, und rufen unter dem Motto "Wir lassen uns nicht unterkriegen" am 9. Oktober ab 9 Uhr zu einer Demonstration auf.

Denn theoretisch mag die Rechnung aufgehen, bei 744 Euro netto pro Monat jeden Tag vier Euro für einen Schlafplatz aufzubringen, praktisch wird es sich nicht bei allen ausgehen, befürchtet ein Vertreter der Initiative. Viele seiner KlientInnen leben nicht zuletzt deshalb auf der Straße, weil sie nicht mit Geld umgehen könnten. Sie haben aus verschiedensten Gründen massive Schulden, und speziell Menschen mit Suchtproblemen geben ihre Mittel vorschnell für Alkohol, Drogen oder Glücksspiel aus. Im Übrigen müssen Obdachlose oft auch höhere Kosten für ihr Essen aufbringen, da sie ohne Wohnung weder für sich selbst kochen noch Vorräte halten können.

Weiters erhöhe sich insbesondere für obdachlose Frauen das Risiko, sich leichter in Abhängigkeitsverhältnisse oder Prostitution zu begeben, wenn es ihnen zu einem warmen Schlafplatz verhilft.

Für sinnvoller als die Nächtigungsgebühr erachtet es die INKONO daher, den Wohnkostenanteil der Mindestsicherung nicht für einen bestimmten Zweck zu binden, sondern den KlientInnen zum Beispiel zu ermöglichen, damit ihre Schulden zu begleichen, oder die Kaution bzw. Provision für eine eigene Wohnung anzusparen.

Ein Notschlafplatz ist keine Wohnung

Das Pro und Contra zur Nächtigungsgebühr im Briefwechsel zwischen INKONO und Sozialstadträtin.

große hand reißt haus von der straße

INKONO - Initiative für kostenlose Notschlafplätze

Das zweite große Argument der INKONO zielt auf die Definition des Begriffs "Wohnen" ab. Es sei nicht gerechtfertigt den Wohnkostenanteil der Mindestsicherung einzufordern, da ein Bett in einer Notschlafstelle nicht mit einer Wohnung gleichzusetzen sei. Die Obdachlosen können die FSW-Quartiere erst zwischen 17:00 und 18:00 Uhr betreten, und müssen sie in der Früh zwischen 8:00 und 9:30 Uhr wieder verlassen. In den meisten Einrichtungen gibt es ein kaltes Abendessen, aber nur in manchen ein Frühstück. Geschlafen wird in Mehrbettzimmern für zwei bis acht Personen, geduscht in Gemeinschaftssanitäreinlagen für 70 bis 130 Personen. Von Wohnen oder gar Privatsphäre könne unter diesen Umständen keine Rede sein, meint der INKONO-Vertreter.

Außerdem wehrt sich die Initiative gegen Wehselys Argumentation, viele Obdachlose wären unwillig, die kostenpflichtigen Übergangswohnheime zu beziehen. Es sei auch in ihrem Interesse, die Verweildauer in den Notschlafstellen möglichst kurz zu halten, allerdings würden Obachlose oft länger als zwei Monate auf einen Platz in einem FSW-Wohnheim warten müssen, weil die zuständigen Stellen nicht ausreichend Personal hätten, um die Anträge rasch genug zu bearbeiten. Das führe zu der grotesken Situation, dass Übergangswohnheime teilweise sogar freie Plätze hätten, während die Nachtquartiere übergingen.

Von der Stadt für die Stadt

Die eigentliche Krux an der Nächtigungsgebühr ist jedoch, dass fast der gesamte Wohnkostenanteil von 186 Euro, den die Menschen mit der Mindestsicherung ausbezahlt bekommen, gleich wieder an die Stadt zurückgeht. Die investiert das Geld zwar wiederum in die Wohnungslosenhilfe, versichert Stadträtin Wehsely, dennoch erscheint das als unnötiger Umweg. Denn erstens sind die jeweils vier Euro für die 400 Schlafplätze in den Notschlafstellen ohnehin nicht kostendeckend, zweitens ist mit der Einhebung der Gebühr ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand (Personal, Beratungszeiten) verbunden.

Eine Alternative wäre gewesen, den Wohnkostenanteil gar nicht erst auszubezahlen, sondern ihn gleich für die Wiener Wohnungslosenhilfe einzubehalten. Eine Vorgangsweise, die beispielsweise die Bundesländer Niederösterreich und Salzburg gewählt haben. Keine der beiden Varianten gesteht jedoch den obdachlosen Menschen die von der Stadträtin beschworene Autonomie zu, selbst entscheiden zu können, wofür sie das Geld aus ihrer Mindestsicherung verwenden.

Sicher ist, dass der gewählte Weg in letzter Konsequenz dazu führt, dass diejenigen, die nicht zahlen können, abgewiesen werden. Und, wenn sie nicht woanders unterkommen, auf der Straße schlafen müssen.