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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

6. 10. 2010 - 16:00

Das Internet ist Rundfunk.

In Österreich ist ein neues ORF-Gesetz in Kraft getreten; mit Beschränkungen im Online-Bereich, jedoch ohne begleitende seriöse Medien-Debatte. In Deutschland tobt derweil eine höchst erhellende Internet-Diskussion zwischen Rundfunk und Verlegern.

Dieser Text stellt die Ausgangs-Basis der heutigen Bonustrack-Sendung dar, der FM4-Mitternachtseinlage am Mittwoch. So ist das jetzt, nach der Sommerpause.

Das ist das neue ORF-Gesetz.

Und das die Kurzversion für Dummies:

Holla, neues ORF-Gesetz! Tschüss Futurezone, ciao Chat, und überhaupt: ziemlich viel Beschränkungen stehen da drin. Komisch, wo doch grade das Internet das Medium ist, wo Entwicklungen anstehen. Ausgedacht haben sich das die Parteien (die für echte Medienpolitik ja kein sonderliches Händchen haben) und die Zeitungs-Verleger; also die direkte Konkurrenz. Auch komisch: ist ein bisserl so, als würde Rapid bei den neuen Satzungen der Austria mitbestimmen dürfen.
Aber: auch voll egal, weil es in Österreich ja eh keine Medien-Debatte und deshalb auch keine Kultur gibt.
Anders als in Deutschland. Dort steppt nämlich grade der Bär. Die ARD sagt nämlich, dass Internet eigentlich Rundfunk ist - und beruft sich da auf eine Studie von einem Professor mit dem lustigen Namen Papier. Da gehts drum, dass die Verleger, die Zeitungsfritzen, nicht so tun sollen, als würde das öffentlich-rechtliche Fernsehen da nichts machen dürfen.
Ist auch wieder wie im Fußball: die Deutschen spielen offensiv, in Österreich wird defensiv und vorsichtig gekickt.

Dabei geht es um ganz Handfestes: Geschäftsinteressen. Und das Online-Ding, das ist so ein letzter Hoffnungs-Markt, auf den die Verleger hoffen. Wie das gehen soll, das weiß zwar keiner, aber sicherheitshalber einmal soviel Territorium wie möglich okkupieren; und die ORF-Online-Aktivitäten klein halten, so auf einem Status Web 1.5, maximal. Was deshalb besonders doof ist, weil schon in ein paar Jährchen alles zusammengewachsen sein wird, und diese kleingeistigen Unterscheidungen in diverse Medien wegfallen werden.
Aber um das zu erkennen müsste es ja eine Medien-Debatte geben, und eine zugehörige Kultur. Und, richtig: die gibts nur in Deutschland, nicht auf der Insel der Seligen.

Im neuen ORF-Gesetz, das am 1. Oktober in Kraft getreten ist, wird erstmals in der langen Geschichte der Medien-Regulierung via Gesetz der davor kaum wahrgenommene Online-Bereich recht ausführlich berücksichtigt.

Hauptbeteiligt daran war der Verband österreichischer Zeitungen (VÖZ), die Interessensvertretung der Print-Verleger, der von der Politik konsultativ hinzugezogen wurde. Was nach seltsamem Lobbying aussieht (denn: Was geht die Verleger die Gesetzes-Gestaltung eines Konkurrenten an?) ist eine realpolitisch durchaus sinnvolle Einbeziehung. Eine Nichtbeteiligung hätte nämlich die sofortige Klage des VÖZ in Brüssel nach sich gezogen - und das Gesetz erst recht wieder verhindert, verzögert etc.

Da sich die Visionen der Verleger, was Online-Journalismus betrifft, hauptsächlich an Profit-Maximierung, noch dazu in einem bislang unprofitablen Bereich (denn kaum ein Medien-Unternehmen in Österreich schreibt im Online-Bereich Gewinne) orientieren, und da die Politik (das Gesetz wurde von SPÖ und ÖVP entwickelt, man erwirkte - nötige Zwei-Drittel-Mehrheit - die Zustimmung der FPÖ; Grüne und BZÖ stimmten dagegen) schon keine erkennbare Politik im Bereich der herkömmlichen Medien erkennen lässt, von den Neuen Medien ganz zu schweigen, tragen die Online-Passagen eine entsprechende Handschrift.
Sie sind von massiver Vorsicht geprägt, beschränken die Angebote, blockieren die Verwendung technischer Weiterentwicklungen und führen lange Verbots-Listen an.

Online darf nicht wie Online aussehen

ORF-Online darf und soll begleiten, aber nicht vertiefen oder zeitungsähnlich agieren. Zitat: "...darf nicht mit dem Online-Angebot von Tages- oder Wochenzeitungen oder Monatszeitschriften vergleichbar sein."
oesterreich.ORF.at etwa, die Web-Ausspielung der Landesstudios, darf nur noch eine bestimmte Anzahl von Meldungen pro Woche und Land bereitstellen, eine "umfassende lokale Berichterstattung ist unzulässig".

Nur einmal in den beiden langen Paragrafen 4e und 4f wird so etwas wie Innovation gestattet/gefordert: weitere Online-Angebote, die "einen wirksamen Beitrag zur Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags leisten" seien durchaus erwünscht. Kooperation mit Sozialen Netzwerke sind allerdings untersagt - da lag eine große Angst der VÖZ, die sich mit dem schlichten Wort "Facebook!" auf einen Punkt bringen lässt.

Mit all diesen Einschränkungen kann/muss man leben.
Die Erkenntnis, dass die hiesigen Medienmacher noch rein gar kein Bewusstsein für Online-Medien, die Medien-Konvergenz, das Zusammenwachsen alter Formen und Strukturen hat, ist zwar immer wieder erschreckend, aber auch nicht neu. Dass sie in das Gesetz einfließen würde, dass weder New Media-Experten noch die journalistischen Standesvertretungen wirklich gehört wurden bzw. am Gesetz mitarbeiten konnten, um den Rücksturz ins 20. Jahrhundert, den seltsamen Versuch ein bereits historisches Web 1.0 per Gesetz einzuzementieren, hintanzustellen, war logisch und unvermeidbar.
Jede Kultur gibt sich selber die Vorschriften, die sie verdient. Weshalb niemand ernsthaft erwarten kann, dass sie sich im New Media-Entwicklungsland Österreich auf der Höhe der Zeit befinden.

Wir sieht das anderswo aus?

So weit, so Österreich.
Wenn man sich im Vergleich zur hiesige (Nicht-)Debatte zum Thema Online/Internet/Medienkonvergenz das ansieht, was zum gleichen Thema aktuell in Deutschland abgeht, dann verwundert vor allem der strategische Ansatz.

Denn: Während in Österreich die (von mächtigen politischen Trägerorganisationen) gestützten Verlage ganz selbstverständlich auf ein scheinbar vom lieben Gott gegebenes Recht auf den Besitz des Internet ausgehen (und niemand, nicht die Medien-"Experten" der Parteien, nicht die Juristen und Regulierungsbehörden, aber auch nicht der öffentlich-rechtliche Rundfunk, kommt auch nur auf die Idee das zu hinterfragen) gibt es in Deutschland einen heftigen Streit um die Definition.

Der offizielle Standpunkt der vorpreschenden ARD ist nämlich: Internet ist Rundfunk.
Wie also Verleger, also Hersteller von Printmedien sich anmaßen würden, bei der Herstellung von Internet-Inhalten, also Rundfunk, überhaupt mitplaudern zu wollen, wäre schon sehr verwunderlich - sagt der offizielle, höchst provokante ARD-Ansatz.

Taktisch gesehen ist das, was die deutschen Anstalten da machen, reiner Angriffs-Fußball, quasi Mainz und Dortmund.
In Österreich, wo auch im richtigen Fußball defensivdenken angesagt ist und sowas wie der Anschluss ans internationale Mittelfeld noch aussteht gehen auch im Medienbereich die Uhren anders. Langsamer. Das ist quasi LASK gegen Mattersburg, Fehlpasses en masse.

Papiers Papier

Über die "Internet ist Rundfunk"-These lässt sich nun trefflich streiten, es gibt jede Menge Argumente, Pros und Cons, die sich jedem erschließen, der sich auf diese Diskussion einlässt.

Aber: Um auf diese Art schlauer zu werden, verstärktes Wissen um Medien-Strategie, Medien-Praxis und Zukunfts-Technologien sowie die Vorbereitung darauf zu erlangen, muss diese Debatte erst einmal geführt werden.
Weil aber genau das (wie auch vieles andere, die nicht-geführten aber bitter-nötigen Debatten, die Österreich brauchen würde, könnten jeden Tag eine wirklich interessante Zeitung füllen; und den öden Copy-Paste-Haufen an Meldungen, Simpel-Kommentare und Einfalts-"Analysen", die man schon am Abend davor im Netz gelesen hat, ablösen) nicht passiert, sinkt das Niveau in einer nach unten gerichteten Endlos-Spirale.

Ausgangspunkt der deutschen Debatte war ein Gutachten von
Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts im Fachmagazin Promdia. Das Papier-Papier (der Kalauer musste jetzt sein, sorry) enthält den Kernsatz: "Begibt sich die Presse allerdings auf das Gebiet des Rundfunks, der im modernen Sinne auch Internetangebote umfasst, muss sie die öffentlich-rechtliche Konkurrenz aushalten."

Den "modernen Sinn", den Papier da erkannt hat, den diskutieren seitdem Verleger und Rundfunkmacher.
Papier erklärt hier in einem Interview seinen Ansatz durchaus nachvollziehbar.
Streitpunkt ist da unter anderem der Begriff "presseähnlich" (der sich, nur leicht anders formuliert, ja auch im neuen ORF-Gesetz findet). Papier sieht das so: "Einzelne Elemente, wie etwa die unterschiedlichen Satzgrößen oder der überwiegende Textanteil, können nicht ausreichen, um Presseähnlichkeit zu begründen." Es würde immer um den Vergleich mit dem es klassischen Presseprodukt gehen.

Das geschriebene Wort in den Rundfunk-Texten

Andere sehen das anders. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher, der sich in Windeseile zum Haupt-Kontrahenten in der Debatte aufschwang, etwa, beschreibt einen seiner Meinung nach unüberwindlichen Unterschied zwischen "Presse" und "Rundfunk", nämlich das geschriebene Wort, das sich nur in der Presse finden würde.

Dass ich, der ich lange Jahre in beiden Medien gearbeitet habe, das anders sehe (nicht nur weil etwa Rundfunk-Programme wie die "Musicbox" damals und große Teile von Ö1 heute noch ausschließlich aus der Verlesung geschriebener Texte bestanden haben, oder auch TV-Moderations-Texte vom Prompter, also einem Schriftbild abgelesen werden, sondern auch weil jegliche verbale Rundfunk-Äußerung - vielleicht mit der Ausnahme geistloser Show-Moderation der Marke Wetten Dass - eine verschriftlichte Basis hat) und dass eine derart igorante Definition nur von jemandem ohne umfassende Medien-Ausbildung kommen kann, sei hier nur am Rande erwähnt.

Vergleiche dazu auch das Interview mit dem Chefkoodinator der Medienpolitik der Länder, Martin Stadelmaier - in Deutschland halten die Länder die Kultur- und Medien-Kompetenz, eine hochproblematische Konstruktuion.

Natürlich ist es, um noch einmal Papier zu zitieren, "... eben nicht so ... dass jede Internetseite Rundfunk ist. Genauso ist ja auch nicht jedes gedruckte Blatt Papier Presse."
Und dann traut sich der ehemalige Richter auch Dinge an/auszusprechen, für die er in den Zeitungen natürlich gekreuzigt werden wird, simple Wahrheiten aus der realpolitischen Welt des angewandten Kapitalismus, die in Österreich niemand wagen würde: "Auch Zeitungen, Zeitschriften und andere Medien machen in gewisser Weise Politik. Insbesondere im Hinblick auf werbefinanzierte Angebote besteht zudem ein Risiko, dass die redaktionelle Unabhängigkeit unter der Absicht leidet, möglichst hohe Klickraten zu erzielen." Natürlich geht es Verlegern (und zwar in einem weitaus höheren Mass als den immer durch Bestimmungen und Deckelungen am Boden gehaltenen Öffentlich-Rechtlichen) um Gewinn und Erfolg um jeden Preis; und natürlich wird das immer letztlich (und zwangsläufig) wichtiger als journalistische Qualität, analytische Objektivierung oder Verzicht auf einträgliche Gefälligkeits-Berichterstattung sein.

Die Amalgamisierung der Medien

Die ARD jedenfalls leitet aus der Passage "Laut Gutachten zählt das Internetangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zum Kern des öffentlich-rechtlichen Grundversorgungsauftrages, da die Meinungsbildung der Öffentlichkeit und des Einzelnen, insbesondere der jüngeren Generation, heute in starkem Maße auf dem Weg des Internets erfolge." einen konkreten Auftrag ab - und gingen danach in die Offensive. ARD-Vorsitzender Peter Boudgoust provozierte zuspitzend und die FAZ biss an. Ob denn jetzt jeder Blogger eine Rundfunk-Lizenz beantragen müsste? Man befürchtete Staatsjournalismus und das Ende des freien Marktes, trat in ein veritables, sich über den Sommer ziehendes Duell ein, das in einem "offenen Brief"-Wechsel zwischen Boudgoust und Schirrmacher kulminiert.

Eine schöne Zusammenfassung der Standpunkte bringt dieser kurze Debatten-Auschnitt aus dem Eröffnungs-Panel beim Ende September in Essen abgehaltenem Zeitungs-Kongress 2010 des BDZV, der deutschen Entsprechung des VÖZ.

Es diskutieren: Matthias Döpfner vom Springer-Verlag, Frank Schirrmacher, FAZ-Herausgeber, Peter Boudgoust, ARD-Vorsitzender und Mercedes Bunz (de:bug-Herausgeberin, Guardian-Kolumnistin).

Nach dem Abwehrkampf der beiden Verleger kommt dann die interessante Passage: Mercedes Bunz spricht die eigentlich relevante Aufgabe an, den Innovations-Faktor der Web-Medien. Und Peter Boudgoust, der den Effekt der (schönes Wort) "Amalgamisierung" des Internets auf die Mediensituation anspricht, weist dann auf eine der vielen in der aktuelle Diskussion unterdrückten Wahrheiten hin: dass sich die Öffentlich-Rechtlichen, wenn sie dieser tatsächlich vorhandenen Pflicht etwas Innovatives und Riskantes zu entwerfen, nachkommen, dann (wie beim Hase-Igel-Spiel) wieder dem Vorwurf der noch größeren Attraktivität aussetzen würden; die - im Verständnis der Verleger - am besten tabu sein sollte.

Futurezoning und die Zukunft des elektronischen Reporters

Boudgoust spricht da eine wenig beachtete alte Unverfrorenheit an, dass nämlich einerseits von Öffentlich-Rechtlichen immer (und zurecht) Innovation gefordert wird, sie aber dann, wenn sie funktioniert und auch nur ein wenig einschlägt, sofort als Markt-Konkurrenz betrachtet wird. Im Fall der Privaten oder auch der Verleger kommt in dem Bereich ja nichts: unsichere Investitionen im Risiko-Bereich, das wird der Öffis zugemutet; im Erfolgsfall gehört das Modell aber dann sofort filetiert oder privatisiert; oder, um ein österreichisches Beispiel zu verwenden, gefuturezoned, also per Gesetz rausgelöst.

Was Frau Bunz sonst noch zu sagen hat, und zwar schon 2007, hat an Aktualität nichts verloren und erklärt, auch als Einstiegshilfe für Leute, die sich noch wenig überlegt haben, einiges auf sehr anschauliche Weise.

Die Musik zum Thema kommt von Digitalism.

Dann aber macht Bunz klar, auf welcher kurzatmiger Micky-Maus-Ebene sich die gesamte Debatte bewegt. Man würde immer noch von verschiedenen Medien sprechen - dabei wird alles innerhalb der nächsten paar Jahre so zusammenwachsen; und die jetzt so pseudorelevant verhandelte Frage "Für welches Medium mache ich jetzt Journalismus?" löst sich demnächst komplett auf.

Das reduziert diese Diskussion auch auf ihren Kern: Es geht um das Finanzierungs-Modell für den Online-Bereich. Wie man das/den im Medien-Bereich profitabel gestalten kann, das weiß nämlich aktuell keiner.
Die Zurückruderer und Zugangsbeschränker, die das entweder wegen elitaristischer Informations-Verengung oder aus fehlgeleiteter Profitsucht tun, werden da ebenso scheitern wie die aktuell am lautesten schreienden Markt-Gläubigen, die das mit Beschränkungen des Sozialen und Ausweitung des Privaten erreichen wollen.

Die harte Qualität der deutsche Debatte hat natürlich auch ihre Schattenseiten: So mussten im Kampf um die Online-Vorherrschaft tatsächlich bereits bestehende Online-Archive gelöscht werden, es entstand der ekelhafte Terminus des Depublizierens. Und das (im österreichischen Gesetzestext vorhandene) Bekenntnis zur Innovation fehlt ebenso.