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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

4. 10. 2010 - 17:59

Fußball-Journal '10-58.

Der Stand der Dinge, Teil 2. Neue Theorien zu den mittelfristigen Perspektiven in der österreichischen Bundesliga.

Meisterschaft und Cup, das "europäische Geschäft", das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison ungeschönt.

Heute mit einer Reaktion auf ein Vierbanden-Echo nach meinem letztwöchigen Versuch einer mittelfristigen Analyse der Spielweise einiger österreichischer Bundesligisten.

Anders, aber ähnlich kommentiert laola1.at hier.

Vor genau einer Woche, am letzten Montag hab ich an dieser Stelle einen Analyse-Versuch über den Fortschritt einzelner österreichischer Bundesligisten riskiert. Es ging etwa um das Ende klassischen Formationsdenkens (musterbeispiel Ried) oder die bewußte Rückkehr zur offensiven Gestaltung des Spiels (Beispiel Austria).
Ich unternehme sowas unter anderem deshalb, weil er nirgendwo stattfindet, weil derlei medial nicht verhandelt wird und somit auch in einer den hiesigen Medien niveautechnisch stark angenäherten (und an Vereinsfarben festklebender) Fan-Kultur kaum passiert.

Gestern abend aber habe ich in einem Kommentar in einem Mainstream-Medium (ich glaube überhaupt erstmalig) das Wort "Theorie" noch dazu mit dem vorgelagerten Wort "provozierend" gelesen - und selbige auch ausgeführt bekommen. Dort wo sonst billige Abstauber und geistige Flachpässe regieren, die über Scheuklappendenken so gut wie nie hinausgehen.

Der von Constantini unlängst als Nachwuchs-Journalist angepatzte Bernhard Hanisch schreibt da unter dem Titel Zurück zum Vorwärtsdrang eine ganz offensichtlich selber erdachte und erarbeitete Analyse zur Lage der Liga. Ganz ohne Plattheiten und populistischem Heisch-Gestus, ohne selbstverliebte Gag-Sucht und ohne die herrschaftliche Wurtschigkeit des Boulevards.

Zurück zum Vorwärtsdrang

Natürlich ist das ein Zufall.
Davon auszugehen, dass etwas, was ich in den öffentlichen Raum stelle (nämlich den Diskurs über das heimische Fußball-Geschehen) ein indirektes Echo ausgelöst, über drei oder vier Banden einen Widerhall gefunden hat, würde nämlich bedeuten, dass ich aufhören könnte.

Weil das das Hauptziel der Fußball-Journale ist.

Ich mache das, was ich mache, ja nur, weil ich es nirgendwo finden/lesen kann. Wenn mir ein neuer Geist in alten/neuen Medien diese Arbeit abnimmt, macht das diesen Blog überflüssig.

Teil 1 von Der Stand der Dinge
Zurück zum Vorwärtsdrang von Bernhard Hanisch im Kurier.

Hanisch sagt: "Es wurde anscheinend immer größerer Wert darauf gelegt, hinten Lücken zu stopfen, Räume zu verengen. Wurde in der Vergangenheit am Ende auf all den österreichischen Trainingsplätzen darauf vergessen, Fußball-Spieler im eigentlichen Sinn zu 'produzieren'?".
Und später dann "Ehrenwert ist zwar das ständige Gerede vom Kollektiv. Allerdings sorgt die durchaus ehrenwerte Idee viel zu oft dafür, dass der Auftrag zur offensiven Grundeinstellung automatisch ad acta gelegt
wird."
Hanischs Positiv-Beispiel ist Sturm Graz, wo Franco Foda seit Jahren offensiv spielen lässt. Austria-Coach Daxbacher wird als indirekter Bestätiger angeführt, dass die heimischen Großklubs die Qualität gegen diese Verengung anzuspielen noch abgeht.
Was dann eben auch den entscheidenden Unterschied auf internationalem Level ausmacht, wo sich vor allem Salzburg aber auch Rapid derzeit mehr als schwertun.

Analyse statt Gegeneinander-Ausspielen

Nicht jetzt herumraunzen, dass derlei Erkenntnisse zu gering, zu billig, zu wenig ausgeführt seien. Das ist Kritik auf (aktuell noch) zu hohem Niveau.

Beispiel gefällig? Heute wird Yasin Pehlivan fürs ÖFB-Team nachnominiert. Alle Sportmedien Österreichs bringen die Meldung, inklusive diverser Fakten, auch zu Pogatetz' Verletzung.

Die Fragen, die sich jeder echte Journalist da als allererstes stellen würde, bleibt aber komplett unbesprochen, in sämtlichen Medien-Berichten: warum nämlich mit Pehlivan ein Mittelfeld-Spieler für einen Verteidiger nachnominiert wurde; warum auf der - für genau solche Fälle eingerichteten - Abrufliste kein Verteidiger draufstand; und warum Pehlivan auf nämlicher Abrufliste gar nicht auftaucht. Was wiederum die Sinnhaftigkeit der Abrufliste deutlich in Frage stellt.
Habt ihr irgendwo eine dieser Fragen behandelt gefunden? Eben.

Da solche Fälle an der Tagesordnung sind, ununterbrochen passieren, ist das, was die hiesigen Medien berichten kein Journalismus mehr, sondern ein reiner PR-Dienst für die Branche.

In einer Medienlandschaft in der eigenständiges Nachdenken und das Ausformulieren von erstellten Beobachtungen und echte Analysen quasi verboten ist, und durch das bloße Nachplappern von Fremd-Aussagen und das Gegeneinander-Ausspielen von Akteuren ersetzt wird, ist das ein fast schon ungeheuerlicher Schritt.

In einer Medienlandschaft, die von maulfaulen Pseudo-Experten, lauwarmem "Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass"-Gesplänkel, Hinsichtl&Rücksichtl, berechnendem Seilschafts-Getue und analphabetischen "Kolumnisten", die außer den geschönten Foto nichts zum Inhalt beitragen, dominiert wird, ist das journalistische Dagegensetzen einer eigenen These eine kleine Revolution.

In einer Medienlandschaft, in der man mit dem Nichterkennen von Offensichtlichem (Beispiel: der Sky-Kommentator kapiert die finale Umstellung von Salzburg in Posen nicht - kann sie deshalb natürlich auch nicht seinen Zusehern erklären) besser fährt als mit dem kritischen Nachbohren, ist jeder renitente Ansatz überlebensnotwendig.

In einer Medienlandschaft, in der jeder von einer irgendwie hochgepushten Szenefigur abgerotzte Nasenrammel in hoher Ernsthaftigkeit mit einer (dann in sich wieder völlig inkompetenten oder luschigen) Pseudo-Analyse versehen wird, ist der eigene Gedanke das rettende Leuchtturmfeuer.

Hoffnungsschimmer im Norstandsgebiet

Deshalb ist Hanischs Versuch über die Scheuklappen und Tellerränder hinauszublicken und jenseits von alt eingefahrenen Mustern und Reflexen über "das Spiel" nachzudenken, anstatt wie die meisten bloß Klischees zu instrumentalisieren, fürs eigene Weiterkommen, so wertvoll.

Auch wenn dieses Playdoyer für eine offensive Grundeinstellung bzw Grundausrichtung natürlich noch viel zu wenig weitreichend ist. Da gehören genaue Taktik-Diagramme wie bei Zonalmarking oder, seit kurzem auch in Österreich, bei Ballverliebt - also so, dass sie jeder Depp beim ersten Hinsehen verstehen kann.
Dazu gehört aber halt auch eine gewisse Spezialisierung: die die das Spiel lesen können, sollen es beschreiben und analysieren. Die, die Schmäh führen können, sollen das lassen und Schnmäh führen. Und die, die aus jedem und allen die tollsten Tratsch-Geschichten rausleiern können, sollten sich darauf konzentrieren und den danach gierenden Boulevard-Markt versorgen.

Von den beiden letzten Gruppen gibt's in Österreich eine Menge, wahre Könige, die dann auch gern vom Boulevard in Deutschland engegiert werden, weil man ihre schmierig-elegante Skrupellosigkeit schätzt.
Die erste Gruppe, die international flächendeckend gute Arbeit leistet, ist in Österreich so gut wie inexistent, das ist reinstes Notstandsgebiet. Da gibt's kaum jemanden, selbst in den offensichtlichen Alternativ-Medien sind die wirklich Guten dünn gesät.

Deshalb ist der außerhalb der Branche kaum merkliche Vorstoß, den der Kurier da wagt, so bedeutend.