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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

4. 10. 2010 - 11:48

Ghosts in my machine

In meiner Festplatte schmachten die Geister vergangener Gespräche: Heute entlasse ich die von Mark Ronson und Robert Wyatt wieder in den Äther.

Auf die Gefahr hin, mich hier in eine Geruchswolke des Eigenlobs zu hüllen: Ich glaube ja, ich kann das mit dem Interviewen ziemlich gut. Wäre auch tragisch, wenn dem anders wäre, nach den aberhunderten Malen, die ich schon zum Üben hatte, aber die eigenartige Situation eines solchen reglementierten Gesprächs wirklich produktiv zu nützen, ist nicht immer so leicht, wie es aussieht.

Als Interviewer komme ich immer mit einem vorgezogenen roten Faden abzugrasender Themen im Kopf (nie auf dem Zettel!) daher, wie ein Schüler vor der Prüfung, manchmal zu gut vorbereitet (dann verstellen die Details den Raum für die weiter ausholenden Fragen), manchmal nicht gut genug (dann bin ich zu sehr darauf angewiesen, zu akzeptieren, was mein Gegenüber mir erzählt).

Der schwierigste Widerspruch aber ist, einerseits nie auf das kritische Nachbohren zu vergessen und sich anderseits als leeres Gefäß zu verstehen und den eigenen Drang zum Schwätzen zurückzustellen.

Genau, werdet ihr sagen: Komm zur Sache.

Gut gut. Hier sitze ich also und vertue Zeit mit dem Bloggen, während ich eigentlich an Interviews herumschnipseln sollte, die ihr heute auf dem Muttersender dieser Website zu hören kriegen werdet (jawohl liebes neues ORF-Gesetz, dieser Beitrag hier ist „programmbegleitend“).

Wie es sich ergibt, berühren beide dieser Gespräche das jeweils entgegengesetzte Ende des Spektrums an InterviewpartnerInnen, die mir vors Mikro laufen.

Heute in der Homebase: Mark Ronson

Es war noch Juli, der Tag des Lovebox-Festivals im Victoria Park in Hackney, da Mark Ronson im Vorprogramm einer leider etwas müden Roxy Music-Reunion das zu jenem Zeitpunkt noch unbekannte Material seines neuen Albums „Record Collection“ vorstellen sollte.

Mark Ronson auf Fahrrad

Sony

Aus dem Video zum Bike Song, übrigens in direkter Nähe besagten Hotels gefilmt.

Ich sollte Ronson ein paar Stunden davor in einem Designer-Hotel in Bermondsey treffen, die Sorte pseudo-modernistische Absteige, wo hinter der Rezeption eine Bank von iMacs bewegte Belanglosigkeiten der musikbegleiteten Retouchekunst zeigt, und wo die Suiten nach den Hauptdarstellern klassischer Popsongs benannt sind.

Ronson residierte in der „Lily“-Suite, folglich hingen im Zimmer Plattencover, Fotos und Poster von The Who und eine Originalsingle von „Pictures of Lily“. Die Schiebetüren der verglasten Straßenseite des Raums waren offen, und auf dem Balkon tauschten sich diverse Assistentinnen über diverse Wichtigkeiten bezüglich der Verteilung diverser Backstage-Pässe aus. Ronson und ich hatten nicht viel Zeit zum Reden, aber ich hatte ihn schon einmal im Vorfeld des Erscheinens von „Version“ getroffen und wusste, dass man ihm die Wörter nicht einzeln aus der Nase ziehen muss.

Was ich dagegen verdrängt hatte, war der narkoleptische Ton seiner Stimme, der jetzt, wo ich an der Audio-Fassung des Interviews herumschneide, schon zum Abwatschen arrogant klingt.

Man muss sich beim Hören eben den defensiven, rehäugigen Blick dazudenken, den Ronson aufsetzt, während er einem sagt, dass alle, die ihn auch jetzt noch nicht leiden können, wo er keine Covers mehr produziert und die Bläser nach Hause geschickt hat, ganz offensichtlich ein persönliches Problem mit ihm hätten – weil es ihm einfach viel zu gut geht, als verwöhntes Rich Kid der Pop-Aristokratie, das sich jeden großen Namen des Business ins Studio holen kann.

Aber das lässt er bloß durchklingen, er spricht es nicht aus. Und es ist auch ein offenes Tor, in das zu ballern bei weitem zu banal wäre. Wenn familiäre Verbindungen im Pop nicht erlaubt wären, dann bliebe nicht viel übrig von dieser Branche. Die Frage ist nur, ob Ronson aus diesen Möglichkeiten auch etwas Interessantes macht. Und laut eigener Aussage geht es ihm nun einmal nicht darum, existenziell Dringliches auszudrücken, sondern Musik zu machen, von der er sich denkt (in charakteristisch verschlafener Stimme): „Now that would be fun...“

Und dann schreibt er eine Nummer mit Miike Snow, dann kommt Boy George ins Studio, um sie zu singen, und plötzlich verirrt sich ein zutiefst emotionales Stück wie "Somebody To Love Me" auf eine Mark Ronson-Platte...

Mehr dazu wie gesagt heute ab 19 Uhr in der FM4 Homebase.

Was dagegen nur mir bleibt, ist die Erinnerung an den abgerissenen Knopf auf der Brust seines blauen Designerhemds und das sonderbare Eigenleben von Ronsons derzeitiger Frisur (langer Schopf, stoppelkurz an der Seite), die völlig unabhängige Entscheidungen darüber zu treffen scheint, auf welcher Seite seines Haupts sie sich als nächstes niederlassen wird.

Ronson Frisuransicht

Sony

Als wir einander gegenübersaßen, war die Frisur dieselbe, allein die Farbe noch natürlich dunkelbraun

Heute in FM4 Heartbeat: Wyatt/Atzmon/Stephen

Das andere Soundfile, an dem ich jetzt gleich wieder schnipseln werde, sobald dieser Blog geschrieben ist, erinnert mich an einen sonnigen Nachmittag an der South Bank, an einem Tisch im Erdgeschoss (das keines ist, sagen wir „Hauptebene“ dazu) der Royal Festival Hall mit dem Klarinettist Gilad Atzmon, Komponistin/Arrangeurin Ros Stephen und Robert Wyatt, der mit ersteren Beiden eines seiner harmonischsten und wärmsten Alben aufgenommen hat.

„For The Ghosts Within“ wäre an sich sowas wie Wyatts Standards-Revue, aber der Verdacht, dass Comrade Bob nie und nimmer einen Rod Stewart oder Bryan Ferry im Sinne eines geschmackvollen Streifzugs durch das jazz-getönte amerikanische Songbook hinlegen würde, erweist sich als durchaus berechtigt.

Sicher, da ist eine Version von „What A Wonderful World“, in der Wyatt seine Transformation zum kommunistischen Weihnachtsmann der Avantgarde vollendet. Da ist Billy Strayhorns „Lush Life“, Duke Ellingtons „Sentimental Mood“ und Thelonius Monks „Round Midnight“. Andererseits ist da aber auch Raksin/Mercers "Laura" via "Charlie Parker With Strings", gesiebt durch Wyattsche (wenn auch von Stephen arrangierte) Atmosphäre. Da sind die „Lullaby for Irena“, komponiert von Stephen, getextet von Wyatts Frau Alfie Benge über den Tod ihrer Mutter, einer polnischen Emigrantin, und der Titelsong „The Ghosts Within“ von Atzmon, ebenfalls mit Alfies Text, einer abstrakten Auseinandersetzung mit dem Problem Palästina.

Robert Wyatt, Gilad Atzmon, Ros Stephen

Domino Records

Wyatt, Atzmon und Stephen, hier in Phil Manzaneras Studio

Und das führt auch schon zur Erklärung, inwiefern dieses Gespräch am entgegengesetzten Ende des Interviewspektrums lag. Weil es zum Beispiel mit einer langen Diskussion über Stalinismus begann, sich dann in einer ebenso langen Debatte über die Definition von Judentum verlief (der vehement anti-zionistische Atzmon nennt sich provokant einen „Ex-Juden“) und das Weiningersche Konzept des Genies streifte – alles Dinge, die den thematischen Rahmen jeder Musiksendung sprengen würden aber den mitschwingenden Boden für unser Gespräch über die Entstehung einer bemerkenswerten Platte bildeten.

Atzmon ist einer, der seine Thesen gegebenenfalls durch Klatschen der Tischplatte nach jedem Wort bekräftigt, und Robert war am Schluss besorgt, dass er die zurückhaltendere Stephen damit in den Hintergrund gedrängt hätte.

Aber er braucht sich keine Sorgen zu machen. Dafür gibt es des Interviewers ultimatives Machtinstrument: Ein Editierprogramm.

Siehe bzw. höre FM4 Heartbeat, heute ab 22 Uhr.