Erstellt am: 7. 10. 2010 - 13:48 Uhr
Skeptischer Optimist mit kritischem Auge
steirischer herbst, 24. September bis 17. Oktober, Graz.
Mit schwarzen Markern zeichnet Dan Perjovschi auf die gläsernen Wände des Forum Stadtpark in Graz. Ein Strichmännchen zieht seine leeren Hosentaschen zu den Seiten, Perjovschi schreibt darüber "Normal Times".
Mit Ökonomie und Krise beschäftigt sich Dan Perjovschi seit langem. Ost und West, Caffè Latte und die moderne Welt packt der rumänische Künstler in kleine Zeichnungen. Zwischen Comic und Graffiti, greifen seine Arbeiten das Zeitgeschehen und aktuelle Ereignisse auf und heben sie auf eine universale Ebene. "The big news first, and then the others", bringt Perjovschi seine Vorgehensweise auf den Punkt.
Auch Connected widmet sich heute dem steirischen Herbst: Anna Katharina Laggner berichtet über das "Casino of tricks"
Seit Dan Perjovschi bei der 48. Biennale in Venedig 1999 den Boden des rumänischen Pavillons mit seinen politischen Kritzelzeichnungen über das Leben nach dem Kommunismus bedeckte, ist er in Kunstkreisen international bekannt. In Venedig verschwanden seine Zeichnungen mit jedem Besucher, jeder Schuhabdruck überdeckte die Bilder. Im Museum of Modern Art in New York, in der Tate Modern in London und in der Kunsthalle Basel hat Perjovschi die weißen Innenwände als Leinwände benützt. Nach den Finissagen wurden die Arbeiten übermalt. Mit Absicht.

Radio FM4/Maria Motter
"Ich bin ein Reporter. Nur benütze ich Zeichnungen anstellle von Worten. Und manche dieser Zeichnungen werden zu Symbolen bestimmter Themen, und ich zeichne sie abermals, und es entstehen neue Bilder", sagt Dan Perjovschi im Gespräch.
Es sind scharfe Beobachtungen, mit viel Humor. Perjovschis Arbeiten leben von ihrer Ironie. Wer sie kennt, wird im Festivalzentrum des steirischen herbst etliche wiedererkennen. Denn obwohl sie schnell hingezeichnet wirken, entwickelt sich manche Zeichnung erst über Wochen. Perjovschi findet Formeln für Themen. Das geht nicht schnell nebenbei bei einem Telefonat.

Radio FM4/Maria Motter
"Ich mag die Fenster! Es ist nicht ganz klar: zeichne ich auf den Park oder auf den Menschen?", lacht der 49Jährige. Das Festivalzentrum des steirischen herbst hat er sich für sein Projekt Clear als Ausstellungsort gewünscht. “Der Raum hier ist ein schöner Gegensatz zur anderen Seite des Flusses, wo man die Institutionen findet. Die Menschen kommen und gehen und es gibt mehr Leben. Meine Zeichnungen verändern sich hier, mit dem Kontext.“
Ideen kommen Perjovschi durch Medien und Eindrücke, zum Beispiel wenn er durch den Stadtpark spaziert. "Der Caffè Latte in Österreich ist soviel wert wie das Mittagessen in Bukarest und vielleicht das monatliche Einkommen in Nigeria. Das ist der Kurs. Das ist die Welt, in der wir leben", sagt Perjovschi. Wenn man von sich behaupte, ein kreativer linker Künstler zu sein, würden sich derartige Betrachtungen wie von selbst in den Diskurs fügen. Doch betrachtet sich Perjovschi denn als kreativer linker Künstler? Mit Verweis auf sein ehemalig kommunistisches Heimatland Rumänien sagt er: "Ich stehe der Linken, der extremen Linken skeptisch gegenüber. Wie auch den extremen Rechten. Und ich bin nicht in der Mitte, ich schwanke."
Zuhause ist er nach wie vor in Bukarest. Wie lebt es sich in der 2,2 Millionen-Einwohnerstadt? "Widersprüchlich. Es fühlt sich an, als hätten wir die Revolution der Sechziger Jahre, sexuelle Befreiung, und zur gleichen Zeit sind wir in Facebook. Und die Menschen sind hingerissen vom Konsum, das führt zu einer weiteren Krise. Die Leute borgen sich zuviel Geld aus, kaufen zuviel, weil sie dieses Angebot nie hatten, und sind verschuldet. Bukarest selbst ist wie eine Architektur-Ausstellung. Du kannst den kommunistischen Einfluss sehen und den des Kapitalismus, wo alles niedergerissen wird und gläserne Hochhäuser aufgezogen werden. Nur Büros. Für Besucher ist es interessant, wenn man dort lebt, ist es ziemlich rauh und fordernd."
Der Westen ist ein beständiges Beschäftigungsfeld. Perjovschi hielt sich in Deutschland auf, als die amerikanischen Truppen in den Irak einmarschierten, und er war in Nordamerika, als die USA Ende August dieses Jahres den Kampfeinsatz im Irak offiziell beendeten. Doch in wenigen Tagen oder selbst in einem halben Jahr in einem fremden Land könnte er nicht genügend Wissen sammeln, um sich zu spezifischen Ereignissen in ihrer Tiefe zu äußern. Daher bezieht er sich in seinen Arbeiten nicht auf das Tagesgeschehen, so akut sie auch wirken. "Ich versuche, die Themen zu komprimieren und ihre Bedeutung zu extrahieren."
Alle vier, fünf Jahre wechselt sein visuelles Repertoire. Immer dann, wenn neue Geschichten in sein Blickfeld rücken. Derzeit beschäftigt den rumänischen Künstler die globale Macht Chinas immens.

Radio FM4/Maria Motter
Ein globaler Markt
Für Perjovschis Zeichnungen bedarf es nicht viel an Information. Verstanden werden seine Kommentare weltweit - mit einigen Einschränkungen. Seine Zeichnungen spielen mit dem Humor westlicher Länder. Ohne es zu bemerken, verwenden wir Codes und was uns paradox erscheint, wird in China oder im Mittleren Osten anders aufgenommen. "Das Beängstigende ist, dass alles, was sich auf Marken oder Produkte wie etwa Blue Jeans bezieht, verstanden wird. Der Markt hat uns vereinheitlicht", so Perjovschi. Aber wenn man sich auf Ideen bezieht, schaut es anders aus. Allein die Art und Weise, wie Ideen verwendet werden, ist verschieden.
Als nächstes wird Dan Perjovschi wieder einen ganz normalen White Cube in Castelló bespielen. Gemeinsam mit seiner Frau, der Künstlerin Lia Perjovschi, die gerade an einer Timeline von den Dinosauriern zu Google in China arbeitet. Danach sind Perjovschis Bilder bei "Freedom of Speech" in Berlin und Hamburg zu sehen.
Mit Graz, ja mit Österreich fühlt er sich jetzt verbundener als zuvor. Welche Partei sei das, die Grün für ihre Werbung verwende? Die Schwarzen oder die Roten? Perjovschi muss kichern, er weiß um sein Spiel mit den Seiten jeder Medaille. „Das ist ein Grund, warum ich keine Farben in meinen Zeichnungen verwende, weil sie kulturell aufgeladen sind. Ich verwende minimales Vokabular und nur schwarz und weiß, weil es direkter ist."
Auch die Flaggen des steirischen herbst, die in der Grazer Innenstadt aufgezogen sind, hat er sich genau angesehen. Das Design ist clever, wie ein Graffiti mit barockem Muster und die Flaggen sind weiß. "Sehr dekorativ! Das könnte ein ironischer Kommentar sein zu einer Sprache, die sehr radikal sein wollte. Vielleicht ist sie das nicht mehr."

Radio FM4 / Maria Motter
Beim Übertragen in andere Orte verändern sich manche seiner Arbeiten. Perjovschi adaptiert das Bild entsprechend den Umständen der Umgebung. Die Zeichnung zu Facebook versuchte er in Variationen, stets mit der Grundaussage: Die physische Präsenz des Buchs ist verschwunden, stattdessen gibt es die virtuelle Kommunikation. Der Blick richtet sich hinaus, doch wo bleibt der Inhalt? "Was ich mache, ist in förmlicher Weise simpel. Jeder kann das aufschnappen und kopieren." Eine Copyright-Problematik ergibt sich für ihn, wenn T-Shirts mit seinen Zeichnungen bedruckt werden. "I don't wanna be an umbrella."