Erstellt am: 3. 10. 2010 - 17:16 Uhr
Grüße aus dem Klavier
"Pssst – Silentium!" Chilly Gonzales beginnt seine Shows im Normalfall so lange nicht, bis im Saal vollkommene Stille herrscht. Wie ein Oberlehrer verordnet er, halb im Spaß, halb ernst, Ruhe im Saal und fordert diese mitunter auch ein, wenn er nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums bekommt. Chilly ist Vollblut-Entertainer, aber nicht einer von der Sorte, die scheinbar beiläufig am Klavier klimpern, während sich die Gäste der Cocktailparty in gedämpfter Lautstärke über die neuesten Facebooktrends austauschen. Bei der Sunny Side Up-Geburtstagssause ist anfängliches Schimpfen und Warten allerdings nicht nötig. Die Stimmung im ausverkauften Porgy&Bess ist andächtig und gespannt. Irgendwie weiß jeder, dass da jetzt etwas Großes kommt.
Sunny Side Up ist zehn
Aber mal von vorne. Sunny Side Up ist zehn. Doch wie seiner Freude gebührend Ausdruck verleihen? Man wollte Spezialsendungen, Jubiläums-CDs, Eindrücke und Rückblicke und man hat sie bekommen. Vor allem aber wollte man eines: ein gebührendes Geburtstagsfest.
Daniel Eberharter
Man wollte einen würdigen Künstler, einen, der ebenso fabelhaft wie souverän, weitblickend wie witzig ist, der sich zwischen den musikalischen Stühlen wohl fühlt und dennoch selbstsicher auf ebendiesem am Klavier Platz nimmt. Und so einen hat man bekommen. Der gebürtige Kanadier, jetzt irgendwie Pan-Europäer Chilly Gonzales ist wohl einer der größten Entertainer unserer Zeit. Ein unglaublicher Pianist, ein tighter, messerscharfer Rapper, ein souveräner Stand-Up-Comedian. Davon, dass er auch Filme machen kann und auch als Schauspieler und Drehbuchautor komödiantisches Talent besitzt, konnte man sich bei der Kinopremiere seines ersten Spielfilms „Ivory Tower“ im Votivkino überzeugen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Violetta Parisini
Zum Auftakt des Abends gibt es bereits Schönes, als die Wiener Pop-Chanteuse Violetta Parisini ihre Musik durch das Porgy&Bess erschallen lässt. Die Songs ihres Albums „Giving you my heart to mend“, die behutsam und punktgenau das Feld zwischen verschrobenem, bittersüßen Pop und elektronischer Musik ausloten, funktionierten auch live mit Band-Unterstützung hervorragend. Violettas cremig-rauchige Stimme begeistert von Anfang an.
Daniel Eberharter
Jedenfalls, „Chilly Gonzales´ Piano Talk Show“. Die Setlist entwickelt er während der Show („Do you want me to play the piano or do more rapping?“), seine scharfsinnigen Raps sind zum Teil improvisiert, die Gags sprudeln nur so aus ihm heraus, jede Pointe ein Treffer. Dass er ein unwahrscheinlich guter Pianist ist, dürfte sich mittlerweile so ungefähr bis zum Mond herumgesprochen haben. Dennoch bleibt einem jedes Mal von Neuem der Mund offen stehen, wie schnell seine Finger über die Tasten huschen, wie er in Bruchteilen von Sekunden Stücke transponiert, kombiniert, variiert, dazu reimt, schimpft, lacht und den Rhythmus mit dem Hauspatschen-beschuhten Fuß klopft.
Der Lieblingsfeind
Über sein neues Album „Ivory Tower“ wurde schon viel Gutes gesagt. Keine Frage, dass die größtenteils instrumentalen Stücke gerade live eine andere Wirkung entwickeln, wenn sie in immer neuen Variationen wie oben beschrieben aus Gonzales´ Fingern zu fließen scheinen. So circa an vierter Stelle ein erster Höhepunkt: „The Grudge“, eines der vielleicht spannendsten Lieder von Gonzales, wie schon Kollege Gstettner hier bemerkte. Diesem Gefühl, wenn man manchmal einfach grantig sein, und diesen Grant auf jemanden projizieren will, wenn es einem durch die garstigen Gedanken besser geht, hat Gonzales in seinen Lyrics ein Ventil verliehen: „We're like Barack and McCain, Mozart - Salieri, Houdini and what's his name?“. Eine Hommage an den Lieblingsfeind. Habe nur ich mich in diesem Moment verstanden gefühlt? Die Molltonarten seien ihm schon immer näher gewesen als die der Dur: „Dur ist so conservative right-wing, it says everything is fine the way it is, when it isn´t“. Moll, „minor“, sei ja alleine schon etymologisch näher dran an „minorities“. Das leuchtet wohl ein.
Kamera: Wolfgang Bauch, Christian Pausch, Alex Wagner
Produktion: Christian Pausch, Alex Wagner
Das Video: Gonzales und die Unterschiede zwischen Dur und Moll.
Buy an iPad
Gonzales gibt zu, ein kapitalistisch denkender Musiker zu sein. Wer sich anstrengt, hat verdammt noch mal verdient, von seiner Kunst leben zu können. Natürlich nur, um das verdiente Geld in weitere Kunstprojekte (wie seinen besagten Film) zu investieren, aber immerhin. Aus dieser Einstellung hat er nie einen Hehl gemacht, und er scheut sich auch nicht, auf der Bühne die Grenzen des guten Geschmacks auszuloten. Sein Song „Never Stop“ wurde im weltweiten Werbespot für das Apple iPad verwendet. Aber in iPad steckt auch „paid“ drinnen, wie Gonzales bemerkt, doch die erhofften hohen Verkaufszahlen des Songs blieben aus. Man müsse daher eine stärkere Bindung zwischen dem Produkt und dem Song herstellen, weshalb er ihn auf der Klaviertastatur des iPads spielt und das Publikum beim Refrain statt „Never Stop“ „buy an iPad, buy an iPad“ singen lässt. Doch es geht noch mehr: Gonzales hält ein Exemplar seines 2008er Albums „Soft Power“ hoch. Ein kommerzieller Flop, wie er sagt, aber eines Tages werde man es zweifellos als „misunderstood masterpiece“ erkennen. Er selbst habe die verbliebenen Exemplare des Albums aufgekauft, um die Verkaufszahlen zu erhöhen. In seiner Hand: das angeblich letzte Exemplar.
Capitalism works
Es beginnt die Versteigerung: Autogramm, Widmung, ein 30-sekündiges, persönliches Ständchen von Gonzales, anyone? Dreißig Euro bietet eine Frau, sie hat zwar nur eine Fünfzig-Euro-Note, aber das macht nichts, „I take fifty as well“. Sie bekommt ihr Ständchen, und alles andere Versprochene, doch sicher wird er ihr danach das Geld zurückgeben? Es in der CD verstecken, mittels Zaubertrick aus ihrem Ohr holen, irgendwas. Nix da, kaum ist sie von der Bühne gegangen, entdeckt Gonzales doch noch weitere „Soft Power“-Exemplare in seiner Tasche, ungefähr zwanzig, er verkauft sie alle. Das Lachen im Saal wird etwas verhaltener, man kann nicht genau einordnen, was da passiert. Im Endeffekt ist Jason Beck nur konsequent und den Prinzipien seines Alter Egos Chilly Gonzales treu. „Capitalism works“ sagt dieser, und dass l’art pour l'art zwar eine schöne Idee sei, in Wirklichkeit aber nun mal nicht funktioniere („like communism“).
Daniel Eberharter
"In die Tasten hauen"
... bekommt bei der Zugabe eine neue Bedeutung. Nachdem er nach seinem letztjährigen Konzert im Wiener WUK Probleme bekam, weil er auf dem Klavier getanzt hatte, gelobte Gonzales Besserung und überlegte sich etwas Anderes. Wir trauen unseren Augen kaum, als er sich plötzlich IN das Klavier hineinsetzt und die Saiten von innen anschlägt. Einige Veranstalter werden bei dem Anblick wohl Blut und Wasser geschwitzt haben, aber laut ersten Berichten ging alles gut aus, für Mensch und Klavier.
Daniel Eberharter
Es ist sehr ärgerlich für einen Künstler, wenn sein Publikum zu spät kommt. Das hat sich auch Gonzales gedacht und anstatt der verlorenen Dramaturgie nachzuweinen, hat er einfach als Zugabe ein Medley aller bisher aufgeführten Gonzalessongs gespielt. Wer sich also davon überzeugen möchte, wie der Abend mit Gonzales wirklich war, kann sich das vor Insidergags nur so strotzende Video zur "2 Minutes Show" ansehen.
Kamera: Wolfgang Bauch, Christian Pausch, Alex Wagner
Produktion: Christian Pausch, Alex Wagner
Abwechslungsreich und unterhaltsam, war Chilly Gonzales genau der richtige Gratulant für Sunny Side Up.
Nach den Konzerten ging es ebenso ausgelassen und funky weiter. Tische und Sessel wurden hinausgetragen und das gesamte Porgy & Bess wurde zur Tanzfläche. Bis in die frühen Morgenstunden tanzte man euphorisch zu den Klängen von...
Daniel Eberharter
Daniel Eberharter
Daniel Eberharter
Fazit
Sunny Side Up könnte ruhig öfter runde Geburtstage feiern. Wir freuen uns auf die nächsten zehn sonnigen und souligen Jahre.