Erstellt am: 3. 10. 2010 - 17:43 Uhr
Immer wieder sonntags
Wenn man keiner geregelten Tätigkeit nachgeht sind ja alle Wochentage relativ gleich, trotzdem ist der Sonntag erwiesenermaßen der schlimmste Tag der Woche. „Probleme die andere gerne hätten!“, mögen da viele Werktätige denken, aber der Sonntag hat schon länger ein schlechtes Image. Schon 1965 schrieb der politische Liedermacher Franz Josef Degenhardt das Lied:
Deutscher Sonntag
Sonntags in der kleinen Stadt,
wenn die Spinne Langeweile
Fäden spinnt und ohne Eile
giftig-grau die Wand hochkriecht…
Recht haben sie alle
Und später sangen die frühen Tocotronic in Anlehnung an Thomas Bernhard “Wer hat das Wochenende erfunden, die ganze Menschheit ist dadurch geschunden“. Und Recht haben sie alle.
Schon seit jeher ist der Samstag der blödeste Ausgehtag: Es ist überall voll und hysterisch und es macht keinen Spaß – also bleibt man lieber daheim. Eine alte Ausgehregel besagt aber, dass wenn man am Samstag nicht ganz so exzessiv aus war, und der Sonntag nicht zur Rekonvaleszenz benötigt wird, er mit Aktivität gefüllt werden muss.
Christiane Rösinger
Aber wie und wohin? Wohin mit sich am Sonntag? Im Sommer sind die Parks, die Bäder und Seen überfüllt und in den anderen Jahreszeiten bricht am Sonntag selbst in den wochentags ganz verlassenen Cafés der Frühstückswahn aus, wie es auch in einem neuen Berliner Lied beschrieben wird:
Wenn die Ökoeltern sich beim Brunchen treffen
Und die Arschlochkinder durch die Cafés kläffen
Wenn der Service hinkt
Und’s nach Babykotze stinkt,
Ja dann ist es Sonntag in Berlin.
Hauptsache raus!
Es nützt alles nix. "Hauptsache raus!" empfahl Hippokrates den Melancholikern und Hauptsache raus! muss sich der Mensch auch immer wieder sonntags sagen.
Christiane Rösinger
In Kreuzberg immer man kann ja sonntags immer noch Kurs auf die Freizeitgegend am Schlesischen Tor nehmen, zu dem kleinen Park am Wachturm gehen, auf den Molecular Men im Wasser starren und am Rückweg ganz unbeteiligt den „Schrottflohmarkt“ an der Arenahalle inspizieren. Vor der Halle warten spannende Installationen aus hübsch aufgereihten Nähmaschinen, glänzenden und vergrünspanten Badezimmerarmaturen, bauchigen Küchenspülwannen und ausgeleiertem Werkzeug. Drinnen hängt um diese Jahreszeit schon die Winterkollektion: Pelzmäntel in allen Farben und Schattierungen vom Silberfuchs und Persianer über den Nerz zum Pseudo-Zobel und Fake-Hermelin.
Christiane Rösinger
Am späten Nachmittag wird es dann vor den Cafés selbst für die fanatischsten Freilüftler zu kalt, dann legt sich eine große Sonntags-Melancholie über die Straßen, und wen es dann nach Hause zieht der ist doch dort mit der sonntäglichen Dreifaltigkeit aus Lindenstraße, Weltspiegel und Tatort gut aufgehoben.