Erstellt am: 3. 10. 2010 - 19:22 Uhr
Mondraub und Herzensdiebstahl
Monopol-Platzhirschtimes are over. War früher (früher im Sinne von 1930 Jahre bis Mitte der 1990er) ein Animationsfilm gleichzusetzen mit einem "Walt Disney Film" und später (später im Sinne von 1995 bis 2001) einem Pixar Film, so haben sich die Zeiten geändert. Nicht nur ist Pixar seit 2006 Teil des Walt Disney Unternehmens. Nein, auch jedes Majorstudio, das sich bemüht eines zu bleiben, schickt Animationsfilme in den Box-Office-Ring.
Despicable Me
Nach DreamWorks und Sony kommt mit "Despicable Me" der erste Trickfilm aus dem Hause Universal auf die Leinwand. Und macht mit circa einem Drittel des "Toy Story 3" Budgets etwas Ungewöhnliches: Er geht einen Schritt vom von Pixar gesetzten Standard in Sachen Popkultur-Referenzen und Drehbuch-Finessen zurück. Und gibt den Animationsfilm den Kindern zurück. Nicht, dass ich etwas auf die völlig veraltete und falsche Trickfilm=Kinderfilm-Gleichung gebe, aber nachdem die meisten Filme, die als Zielpublikum Kinder anpeilen ihr Publikum für nicht voll nehmen, während Pixar Filme wie "Toy Story 3" großartig sind, mich als Kind aber ans Ende meiner Tränenreserven gebracht hätten, ist dieser Zwischenschritt interessant. Um nochmal auf Toy Story 3" zurückzukommen. Selbst Bret Easton Ellis war zu Tränen gerührt: "4th of July: at a party talking with Eli Roth about how wrenching Toy Story 3 was, and comparing notes on how much we cried during it.", twittert der Schriftsteller.
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Old School- vs. New School-Schurken
Die Geschichte von "Despicable Me" ist also weit weniger raffiniert als der letzte Pixar-Kassenknüller, der Erzählbogen kein Arc de Triomphe der Originalitäten und dennoch gibt es über diesen Film nur Gutes zu sagen. Da ist zB Steve Carell, der Gru, dem Zentrum des Films, seine Stimme leiht. Gru ist ein misanthropischer Schurke mit einem Dialekt, wie man ihn Bösewichten seit James Bond-Filmen vor Ende des Kalten Krieges, nicht mehr angedacht hat. Ein Blofeld ohne Katze und ohne politische Absichten. Gru will einfach nur wieder in den Medien als Bösewicht Nummer Eins gelten. Doch auch vor dem Schurken-Markt macht der Fortschritt nicht Halt und sein viel jüngerer Rivale Vector ist dabei, ihm den Rang abzulaufen. Vector, kaum erkennbar gesprochen vom verehrten Jason Segel, ist ein Bill-Gates-artiger Nerd mit Topffrisur, ein Trainingsanzug-tragender Tech-Geek, der als Kind wohl zuviel "Inspector Gadget" geschaut hat. Old School und New School-Schurken-Philosophien prallen in Form von Gru und Vector aneinander.
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Und die Old School Variante setzt auf Teamwork. Unter dem Gru'schen Anwesen tummelt sich eine Heerschar an Working-Class-Kartoffeln in Latzhosen, die Gru fan-artig untergeben sind. Diese Minions und Prof. Nefarius (gesprochen in Prof. Farnsworth Manier von Russell Brand) sollen Gru dabei helfen, den Mond zu stehlen. Das sollte reichen, ihn wieder auf der Bad-Guy-Weltrangliste an erste Stelle zu rücken.
DIY als Kapitalismus-Gegengift
Doch selbst Schurkerei und größenwahnsinniger Diebstahl brauchen heutzutage einen Finanzierungsplan und die Bank of Evil, die man durch die Herrentoilette einer harmlos aussehenden Bankfiliale betritt und die - so weist uns ein Schild hin - früher "Lehman Brothers" hieß, ist nicht ganz überzeugt von Gru. Bad Bank ist da gar kein Ausdruck. Und DIY wird schließlich zu Grus Plan B und zum Kapitalismus-Gegengift.
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Bei der Suche nach Gründen für Misanthropie und Schurkerei landen Fiktion und Realität immer gerne bei Versäumnissen der Elterngeneration: Grus Mutter (entgegen der Rollenbiografie von Julie Andrews gesprochen), so sehen wir in Rückblenden, war nicht gerade eine Ausgeburt an Herzlichkeit und Motivation. Und so will Gru eigentlich nur eines: Mama beeindrucken. Kriminelle Energie aus Einsamkeit und als Ausweg, doch noch von den Eltern angenommen zu werden. Freud hätte eine Freud.
Show-stehlende Nebenfiguren
Grus Mondraub-Plan beinhaltet auch einen Zwischenschritt, bei dem er drei kleine Mädchen adoptiert und - ihr ahnt völlig richtig - Kindchenschema bringt des Bösewichts' Herz zum Schmelzen. Ohne popkulturelles Wisenheimer-Gehabe erzählt "Despicable Me" die Geschichte einer entzückenden Familienwerdung. Neben der kleinen Agnes, die wie spätere Studien beweisen werden, für einen rapiden Geburtenanstieg in Ländern, in denen der Film gelaufen ist, sorgen wird, sind die Minions die Helden dieses Films. Mit ihrer Kunstsprache und anarchischem Verhalten reißen sie den Film an sich, nie wird erklärt, wo sie herkommen oder warum sie für Gru arbeiten. Sie sind wie die wunderbaren Marsmännchen aus der "Toy Story"-Reihe oder die Pinguine aus "Madagascar", Show-stehlende Nebenfiguren.
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"Despicable Me" läuft bereits in den österreichischen Kinos
Die Menschwerdung eines grummelnden Eigenbrötlers über den Umweg kindlicher Liebe (The Little Lord Fauntleroy Treatment), eine gerechte Abfuhr für die wahren Bösewichte: "Despicable Me" greift auf bewährte Geschichtenbausteine zurück, doch die Kombination aus Kindchenschema Galore und der Anarchie der Minions, die glucksend Kopien ihrer gelben Hintern machen und ein Perpetuum mobile aus "butt" sagen und drüber lachen auslösen, ist fantastisch.
Eines der Minions wird übrigens von Jermaine Clement gesprochen, das hab ich aber auch erst via Abspann erfahren, deswegen steht wohl eine zweiter Besuch von "Despicable Me" demnächst an.