Erstellt am: 2. 10. 2010 - 11:58 Uhr
Für den Arsch

Robert Glashüttner
Der Eingang zum Eröffnungsabend der "Arse Elektronika" ist ein wenig versteckt. Am unteren Ende des Mission District angesiedelt, findet man am Ort der entsprechenden Adresse zunächst nur eine hölzerne, dunkel angemalte Flügeltür. Kein Türschild, keine Hausnummer, kein Hinweis. Der Eingang zu einem schmierigen Swingerclub? Einer überstrengen BDSM-Veranstaltung?
Von wegen. Sex und Kinkyness ja, bitte - aber am liebsten mit Niveau, Vielfalt und vor allem guter Unterhaltung. Schon zum vierten Mal lädt die Wiener Kunstneigungsgruppe monochrom unter der Leitung von Oberrumtreiber Johannes Grenzfurthner (Bild oben) zu einer Mischung aus wissenschaftlicher Tagung, Hacker-Veranstaltung und Performance Arts-Festival. Die "Arse Elektronika" findet über vier Tage hinweg an unterschiedlichen Plätzen in San Francisco statt. Das Festival ist auf alternative sexuelle Lebenswelten ausgerichtet und bringt vor allem Menschen aus intellektuellen Queer-, Fetisch- und Geek-Communities zusammen.
Kleiner Rahmen, großes Programm
Kurz nach 9 Uhr füllt sich das "Chez Poulet" langsam mit Menschen, die Atmosphäre erinnert an ein Off-Theater: Es gibt eine kleine Bühne, der Zuschauerbereich ist mit ein paar Dutzend Stühlen befüllt. Im hinteren Bereich des Raumes ist ein improvisiertes Fotostudio aufgebaut. Es wird eingeladen, hochauflösende Fotos von den eigenen Geschlechtsteilen machen zu lassen, die bei höchster Zoomstufe dann verblüffende Mikroskop-Landschaften zu Tage bringen.

Robert Glashüttner
Geschichte und Zukunft

Robert Glashüttner
Gegen 21 Uhr 30 beginnt Herr Grenzfurthner den Eröffnungsabend zuerst mal mit der grundlegenden Frage: Warum überhaupt Sex und Technologie? - Die anschließend gezeigten Beispiele sind vielfältig: Man denke etwa nur an den schnellen Fortschritt der Videotechnik weil so viele Menschen gerne Pornos schauen oder die einschlägige Nutzung von Soforbildkameras: Das erste "Polaroid"-Modell trug tatsächlich den Namen "Swinger".
Die technischen Werkzeuge und Möglichkeiten für Konsum und Genuss von sexuellen Tätigkeiten haben sich in den letzten 45 Jahren allerdings stark verändert. Hacker von heute entwickeln aufwändig designte Sexroboter und finden Schnittstellen zwischen digitalen Eingaben und körperlicher Stimulation. Das Projekt "Global Orgasm Project" der Künstlerin Maia Marinelli etwa verbindet speziell modifizierte Sexspielzeuge mit Social Media-Plattformen im Web. Der eigene Freundeskreis soll dabei online möglichst gut zusammenarbeiten um bei der Empfängerin einen Orgasmus herbeizuführen. Der Prototyp ist noch in der Testphase, wird im Rahmen der diesjährigen "Arse" aber ausgetestet werden.
Die "Arse Elektronika 2010" in San Francisco läuft noch bis inklusive Sonntag, 3. Oktober.
Ebenso ungewöhnlich wie Social Web- und Second Life-Orgasmen ist der Forschungsgegenstand von Autorin und Performerin Charlie Anders: Sie beschäftigt sich mit erotisch aufgeladener, multimedialer Hypnose übers Internet. Diese Technik ist zwar nicht ganz ernst zu nehmen, dennoch ein interessanter Forschungsgegenstand. Hier ist, wie so oft, das Spannende daran nicht das Ergebnis, sondern die Frage, warum, wie und in welcher Form jemand zu einem bestimmten Ziel kommen möchte. "Erotic mind control via the Internet" ist eines von vielen Beispielen bei der "Arse Elektronika", wie die eigene Libido als Antriebskraft für kreative Projekte genutzt werden kann.
Mode und Diskurs

Robert Glashüttner
Trotz der vielen unterhaltsamen Elemente kommt der Diskurs nicht zu kurz. Die renommierte Sexautorin Susie Bright spricht im Eröffnungs-Vortrag über Sex und Performance im öffentlichen Raum der USA im Wandel der letzten Jahrzehnte. Wegen der Tabuisierung fehlt es heute vielfach an guter und umfassender Dokumentation.
Abgeschlossen wird der Abend mit der amüsant angelegten Preisverleihung "Prixxx Arse" für junge Projekte aus dem Bereich Erotik trifft Technik. Um dabei ein fantasievoll gekleidetes Publikum zu garantieren, gibt es auch einen Bonusprixxx, der spontan das beste Kostüm des Abends auszeichnet. Die Outfits sind erfreulich vielseitig ausgefallen und reichen von modischen Zusammenstellungen mit fetischistischen Accessoires wie Korsett oder Gasmaske hin zu themenbezogenen Kostümierungen, beispielsweise Flugzeugpilot oder Raumschifftechniker. Auch hier kommt die Technologie nicht zu kurz: So ist etwa der selbstgeschneiderte Rock einer Besucherin mit einem modifizierten Vibrator erweitert worden - ein wearable computer quasi, DIY und mit erotischem Mehrwert.

Robert Glashüttner