Erstellt am: 12. 10. 2010 - 13:10 Uhr

Always look on the bright side of life

Nach neuesten Berechnungen wurden in Bulgarien seit dem EU-Beitritt 1,78 Milliarden Euro investiert. Trotzdem sieht man in den öffentlichen Verkehrsmitteln der Hauptstadt nur deprimierte Gesichter.

Wenige laufen mit einem Lächeln durch die Straßen von Sofia. Ich tue es immer, denn Gründe optimistisch zu sein, finden sich schon. Die Hälfte der Taxifahrer am Flughafen schwindelt nicht mehr, wenn es um Preise geht, in der Stadt sieht man um die zwanzig Radfahrer und von der neuen Regierung können zwei Minister Englisch. Das sind ja schon drei Gründe zur Freude. Trotzdem fragte mich im Bus, mit dem ich in Sofia nach Hause fahre, neulich ein älterer Mann, dem mein breites Grinsen anscheinend verdächtig vorkam: „Sind Sie krank, oder sind Sie Amerikaner?“

Regiert von Witzbolden

In Bulgarien fängt gerade das neue Schuljahr an. Der Kulturminister, Vezhdi Raschidov, hielt im Kunstgymnasium von Sofia zum ersten Schultag eine Rede. Er hat dort auch selbst maturiert. "Lernt fleißig", sagte der leicht angetrunkene Raschidov, "ich habe in der Schule nur schlechte Noten gehabt und bin Minister geworden." Anscheinend wollte er die Jugend vom Job des Regierungsbeauftragten fernhalten. Und ehrlich gesagt ist das wirklich keine erstrebenswerte Karriere. Der Landwirtschaftsminister Naidenov eröffnete ebenfalls seine ehemalige Schule. Der erzählte dabei stolz, wie er sich während seiner Schulzeit doppelte Taschen angenäht hatte, um Wurst von der Fleischerei ums Eck mitgehen zu lassen. Wie soll man das Lachen unterdrücken, wenn man von solchen Witzbolden regiert wird?

Die jungen Menschen verlassen Bulgarien. Sie erwarten, dass im Westen für sie Milch und Honig fließt. Bald ist es mit ihrem Optimismus aber wieder vorbei. Auch in Wien laufen nur wenige mit einem Lächeln durch die Straßen. Egal ob Einheimische oder Zugewanderte. Ich habe versucht, sie zu zählen, bei dem Spaziergang heute. Außer die auf den Werbepostern habe ich keine gesehen. Am breitesten lachen die blauäugigen Schönlinge, die behaupten, dass die Ausländer an allem schuld sind. Ist ja auch ein Grund zum Lachen. Mein Spaziergang auf der Suche nach einem Lächeln war vergebens.

Ich fand es erfrischend, als ich nach Hause kam und meinen Freund Bat Gogo sah, der momentan bei mir wohnt. Bat Gogo ist der größte Optimist, den ich kenne. Er kam vor einem halben Jahr nach Wien, mit neunhundert Euro in der Tasche, die seine Mutter lange gespart hatte. Gogo liebt das Risiko. Er ist glücksspielsüchtig. Die Ersparnisse der Mutter waren schnell weg. Um sich zu ernähren, singt Gogo im Chor einer russisch-orthodoxen Kirche. Jeden Tag betet er zu Gott, damit er ihm nachts Glück im Casino bringt. Wenn er gewinnt, ist er der Partykönig von Wien. Aber auch wenn er verliert, fällt sein Lächeln nicht von seinem Gesicht. "Brüderchen", sagte er mir, "Hauptsache, wir leben und sind gesund." Das nenne ich fundamentalen Optimismus. Keine Sorge Gogo, eine Zigarette und etwas zum Essen findet sich für dich immer.

Meiner Generation wurde eine Freiheit geschenkt, die sich die Generation meiner Eltern nicht selber erkämpfen konnte. Wir wussten nicht, was wir mit dieser Freiheit anfangen sollten.

Viele haben versucht, sie in ein endloses Fest zu verwandeln. Essen, trinken und tanzen auf dem Tisch ist alles, was sie glücklich gemacht hat. Am nächsten Morgen, wenn sie aufgewacht sind, hatten sie dann starke Kopfschmerzen und einen Gesichtsausdruck, als ob sie gerade in eine Zitrone gebissen hätten.

Andere, wie ich, haben versucht, ihre Freiheit zu nutzen und die Heimat zu verlassen.Wir haben erwartet, vom europäischen Optimismus angesteckt zu werden, um unser Glück zu finden. Stattdessen wurden viele von uns noch grimmiger. Ich lasse mich nicht unterkriegen, ich habe ja Bat Gogo, der mir etwas von seinem Optimismus gibt. Always look on the bright side of life.