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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

1. 10. 2010 - 06:13

Erde und Wahnsinn

Jon Stewart präsentierte in New York „Earth“, das neue Buch aus dem Umfeld der Daily Show und rief zur Vernunft im politischen Diskurs auf. Ein bisschen Wahnsinn war dann aber schon auch dabei.

Draußen ein Schütten, drinnen brodelt es. „Let’s get this done really fast“, raunt Jon Stewart seiner Entourage zu. Der Tross, bestehend aus Freunden, Familienmitgliedern und Mitarbeitern, bahnt sich einen Weg durch die Menschenmenge. Die Buchkette Barnes & Noble hat am vergangenen Montag in ihrer Königsfiliale am Union Square zur Präsentation des neuen Daily Show Werkes „Earth (The Book): A Visitor's Guide to the Human Race“ gebeten.

Jon Stewart, Daily Show, Comedy Central, Midterm Elections 2010

Christian Lehner

Knapp eine Stunde vor Beginn sind die Kapazitäten bereits erschöpft. Hunderte Fans sind gekommen, viele werden abgewiesen. Dass Stuart am Ende selbst um eine Verlängerung des Q&As bitten wird, zeugt von der spontanen Begeisterungsfähigkeit dieses tatsächlich sehr kleinen Mannes, der mittlerweile zur großen Hoffnung vieler Amerikaner geworden ist.

Jon Stewart, Daily Show, Comedy Central, Midterm Elections 2010

Christian Lehner

Die Midterm Elections stehen an: Obama wirkt angeschlagen, die Demokraten liegen am Boden, der Geist der konservativen Restauration geht um. Das alles wäre nichts Besonders - immerhin hat die machtpolitische Verschiebung im Kongress zugunsten der unterlegenen Partei schon fast Tradition nach einer Präsidentschaftswahl. Doch während noch selbst in der reaktionärsten Phase der Bush Ära der politische Diskurs mit den Mitteln der politischen Debatte und ihren Mechanismen der Nivellierung und Instrumentalisierung geführt wurde, nimmt er seit Aufkommen des Tea Party Movements zunehmend die Form des Irrationalen und Fantastischen an. Die Graswurzeln wachsen jetzt andersrum. Und sie haben Fieber bekommen.

Hysterische Islamophobie, Birther-Bewegung, die Mystifizierung der Administration als eine Art Fremdregierung, Kommunistenfurcht im Geiste von McCarthy, Überfremdungsangst und die durch die Krise angekickte, kollektive Untergangsphantasie der weißen Mittelschicht treiben sowohl die Demokraten als auch die Republikaner zunehmend in den Populismus. Wenn sich jemand wie Karl Rove öffentlich Sorgen um den Geisteszustand konservativer Politik macht, scheint das Kuckucksnest nicht weit.

Die großen News-Networks sagen Danke und kredenzen den Zusehern eine fortgesetzte Freakshow. Figuren wie Sarah Palin, Glenn Beck und letzthin Christine O'Donnell, die „Witchcraft“ und „Anti-Masturbation“ Kandidatin der Tea Party/Republikaner in Deleware, machen jedes vernünftige Argument, egal für welche Sache, zunichte.

Wo ein Stewart,

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comedy central

da auch ein Colbert

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Jon Stewart: "Earth (The Book). A Visitor's Guide to the Human Race" ist bei Grand Central Publishing erschienen

In diesem Klima der Blockbuster-Hysterie ruft nun ausgerechnet ein Comedian zur Vernunft. Gemeinsam mit seinem Daily Show Team hostet Jon Stewart eine Rally To Restore Sanity in Washington. Stattfinden wird sie knapp vor den Kongresswahlen im November und zwar am 30. Oktober beim Lincoln Memorial, wo der Borderliner Glenn Beck vor einigen Wochen seine ‚Restoring Honor‘ Rally abhielt.

Es ginge ihm um die Vernunft „auf beiden Seiten“, meint Stewart bei der Buch-Präsentation. Aber allen Anwesenden ist wohl auch so klar, dass hier in erster Linie die Tea Party und ihre Schreihälse gemeint sind. Nicht umsonst ist der Name der geplanten Demonstration eine Ableitung des Glenn Beck Slogans.

Zu einem liberalen Messias will sich Stewart trotzdem nicht stilisieren lassen. Auch nicht an diesem Abend. Dafür sorgen allein schon der inflationäre Gebrauch des F-Wortes und die Kalauer auf Kosten der Demokraten und liberal populistischer Medienfiguren wie den in der Daily Show gern gedissten Keith Olbermann. Die Bürde, sich raus aus dem gewohnten Terrain der Satire bewegen zu müssen, die sieht man dem gelernten Stand-Up Comedian ein wenig an, wenn er über die Notwendigkeit der 'Rally To Restore Sanity' spricht.

Jon Stewart, Daily Show, Comedy Central, Midterm Elections 2010

Christian Lehner

Generell geht es bei der Präsentation wenig um das vorzustellende "Earth"-Buch. Dieser illustrierte Wälzer und vermutliche Bestseller, ist eine nette aber äußerst harmlose Satire auf die Geschichte der Menschheit. Nach einigen hastig und lustlos runter gelesenen Auszügen sind Stewart und sein Publikum bei der Rally und der Tagespolitik. Schnell entwickelt sich das Frage und Antwort Spiel zu einem gewitzten Dialog, wie er in Österreich aufgrund angelernten Kuscherantentums wohl kaum zu Stande kommen würde.

Q: “How would you sum up the goals of the rally with one word?“ Stewart: “Shit!” Q: “What do you think about the debate about the proposed mosque close to Ground Zero?” A:”If God doesn’t want us to burn holy books, why he made them so flammable?” Q: “Why this rally has to be so close to Halloween, so I miss all the fantastic gay parties in New York?” A: “There are plenty of fantastic gay parties in Washington as well!” Und schon bald: “This is fun, why we don’t take a few more questions?”

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Stewart ist in seinem Element: Er betreibt Körpertheater, kniet am Boden, ringt mit den Händen, saust über die Bühne. Schon hat man das Gefühl, Mitten in der Daily Show zu sitzen. Auf die Frage, ob er aufgrund der allgemeinen Amnesie in den USA schwarz sehe, meint er: „don’t worry, we’ll gonna be fine, on the long run, we’ll gonna be fine“. Darauf eine verzagte Frau: „Thanx for the daily catharsis“. Stewart sieht sie warmherzig an. Doch die Rolle des Seelentrösters ist ihm sichtlich peinlich.

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Gegen Ende des Q&As hält dann doch noch der Wahnsinn Einzug. Nacheinander stürmen zum Schrecken von Security und Publikum zwei 9/11 Truther schwadronierend und mit rollenden Kameras in Richtung Bühne. Das lautstarke Werben der Verschwörungstheoretiker („9/11 was an inside job“) lässt Stewart kalt. Obwohl diese Bewegung der radikal Linken zugerechnet wird, frägt einer der von den Securities Hinauskomplementierten alttestamentarisch: „Jon, when did you sell your soul to the devil?“ Stewart darauf zum Gaudium des Publikums: „I really can’t answer this question, but please don’t forget to buy a book on your way out“.