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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

1. 10. 2010 - 17:30

Etappenweise Endorphine

Warum der steirische herbst glücklich macht und was in den nächsten Wochen des Festivals für neue Kunst musikalisch steckt.

Plakat des steirischen herbst vor dem Festivalzentrum im Grazer Stadtpark

Radio FM4

steirischer herbst - Festival für neue Kunst, 14. September - 17. Oktober, Graz.

Zeitklau. Herbstbeginn und gleich Semesterstart und alles läuft parallel. Klettverschlüsse wären jetzt praktisch. Beim steirischen herbst streckt sich der Premierenmarathon über vier Wochenenden. Wir stehen vor Etappe Zwei. Kurz zurückschauen, lockern (Eilige springen zur Überschrift --> "One Night Stands") und später ins Festivalzentrum im Grazer Stadtpark.

Denn, was ich letztes Wochenende beim herbst gesehen und gehört habe, hat mich seltsam beglückt. Und viele andere auch, es wurde herzhaft gelacht. Da waren die zwei Chatbots also Computerprogramme im Stück "Hello Hi There", die sich über "Fo-u-cau-lt" und Chomsky unterhielten, aneinander vorbeiredeten und sich missverstanden wie ein Pärchen abends am Küchentisch - ohne Absicht, doch mit viel Leidenschaft für den jeweils eigenen Standpunkt.
Die amerikanische Theaterregisseurin Annie Dorsen hat die Maschinen mit Sätzen gefüttert, 80 Millionen Variationen des Dialogs gibt es. Über zwei Screens, die im Dom im Berg platziert waren, ratterten die von den Sprachrobotern laut gelesenen Sätze. "What the foucault are you talking about?" sagte eine Maschine zur anderen, die Geisteswissenschafter im Publikum glucksten vor Freude in "Hello Hi There".

Szenenbild aus "Hello Hi There": zwei Computerbildschirme stehen auf Kunstgras

Wolfgang Silveri

Die Hände hob ein Lockenkopf zwei Reihen vor mir immer wieder in Gisèle Viennes "This is how you will disappear". Im alles andere als schmalen Konzertsaal des MUMUTH stieg Nebel auf, dichter, echter Nebel, der die Waldlandschaft auf der Bühne und das Publikum umhüllte und verschluckte. Das waren fantastische cineastische Szenen, durchexerziert auf der Bühne, mit einem Hauch von Handlung. Christian Fuchs war auch im Wald, bitte folgen Sie dieser Nebelschlussleuchte. Eine Eule im Landeanflug gab das Schlussbild, da war die Sicht bereits wieder klar.

Das Elektro-Wave-Duo Notic Nastic

Notic Nastic

Für die Eule war ein eigener Experte zuständig, der sich ausschließlich um das Wohlergehen des Vogels kümmerte. Das Detail hinter den Kulissen machte im Club des steirischen herbst die Runde, während Notic Nastic den Kopfbedeckungen Lady Gagas ernsthafte Konkurrenz boten. Ein blinkendes LED-Visier und ein Funkensprühen aus Elektro, Wave und Gesang - beams you up im stockdunklen Keller des Forum Stadtpark, das dieses Jahr das Festivalzentrum ist. Notic Nastic lieben brüchige Beats und offensichtlich all die Teile von American Apparel, bei denen man sich immer fragt, wer die denn außer CocoRosie kauft. "It's dark but it's okay" heißt das Debütalbum des Duos. Die Tracks von Notic Nastic tragen Titel wie "Whirlpool Galaxy" oder "The luckiest pig in Albany", und live macht das noch mehr Spaß.

Ja, da hat man was verpasst. Doch die nächste Portion Endorphine verabreicht This is the hello monster! und zwar bereits diesen Samstag. Der französische Performer, Songwriter und Radio-Macher Gérald Kurdian holt das Tempo runter. Mit This is the hello monster! macht er Musik für den Zustand zwischen Übernächtigt-Sein und Übermut. And I shiver the night away. Man kann es auch Avant-Folk nennen. (2. Oktober, 22.30, Festivalzentrum).

One Night Stands

Kritische Stimmen tönen schon im Vorfeld der Konzerte, die an den kommenden Freitagabenden im adaptierten Kellerclub des Forum Stadtpark stattfinden werden. Und ihre Echos fürchten Déjà-vus. Ja, beinahe alle MusikerInnen konnte man in Graz schon an Platoo-Abenden hören. Und freilich wird es keinen großen Clash geben, wenn sich Marilies Jagsch und Paper Bird an einem Abend gleichzeitig auf der Bühne im Club des steirischen herbst einfinden (15. Oktober, 22.30). Auch nicht, wenn Max Min mit Trouble Over Tokyo die Netzstecker andockt (8. Oktober, 22.30), und auch Rainer Binder-Krieglstein und Sir Tralala werden sich gut verstehen (heute, 1. Oktober, 22.30). Davon gehe ich aus. Doch das ist genau der Punkt: Zwei, die einander schätzen, machen einmal gemeinsame Sache. Damit bei den "One Night Stands" nicht zum Beispiel Sir Tralala heute Abend ein Stück geigt und dann Rainer Binder-Krieglstein eins trommelt, lautete der Auftrag: Zusammenspielen.

Das tun auch Antye Greie-Fuchs und Gudrun Gut, die zur Greie Gut Fraktion fusionieren und mit ihrem Projekt "Baustelle / construction site" nach Graz kommen. Dafür haben sie als erstes ihre Version von "Wir bauen eine neue Stadt" aufgenommen. Das Lied der NDW-Band Palais Schaumburg haben auch schon 1000 Robota als Cover veröffentlicht. Das ist jetzt nicht gerade innovativ.

"Time (Have I lost my mind)" fragen sich dann auch die drei Frauen von Le Corps Minde de Francoise zu Recht. Die frankophilen Finninen, die englisch singen, gehen es poppiger an. Sie haben am Berlin Festival gespielt und kommen vom Iceland Airwaves direkt zum steirischen herbst. Hip-hip-hurra. LCMDF lehnen sich gehörig an die Achtziger an, machen jedoch gerne vergnüglichen Elektrokrach mit Riot-Posen.

Eine Runde Rundgangerl

Auch sehr super: selber spielen. Und zwar Tischtennis mit fluoreszierendem Ball zu Highlife-meets-M.I.A.-DJing. Zum steirischen herbst kommen jedes Jahr eine Menge internationaler KünstlerInnen in die Stadt. Wie Kaspar Wimberley, der das "Cosmic Table Tennis" initiiert hat und Schiedsrichter spielte. Tagsüber betreibt er mit Susanne Kudielka Feldforschung und untersucht, ob die alltäglichen Vorgänge im Grazer Stadtpark einem bestimmten Zeitschema folgen. Ihren "Masterplan" zur Pünktlichkeit von Punks, der Gelassenheit von Hundebesitzern und den Sonnenstunden der Grazer Omis präsentiert das Duo kommenden Sonntag (3. Oktober, 12.00, Festivalzentrum, freier Eintritt).

Tischtennisspielen spätnachts im Club des steirischen herbst

Radio FM4

Dr.Pong in Berlin steht mittlerweile in Reiseführern. Wann im herbst das nächste Turnier ausgetragen wird?

Blasmusik für's Protokoll

Auch Blasmusik spielt es beim herbst: Constantin Luser hat Tuben, Posaunen und Trompeten ineinander in Form eines Moleküls verbunden und verschlungen. Die Skulptur steht vor einem Neubau der Grazer Technischen Universität, in dem die Chemieinstitute zukünftig untergebracht sind, und wird zur Eröffnung von einem Orchester im Rahmen des musikprotokoll des steirischen herbst bespielt (7. Oktober, 19.30, und 8. Oktober, 18.00, TU Ersatzgebäude). Der Komponist Peter Jakober hat ein Werk für die "Molekularorgel" mit ihren 35 Schalltrichtern geschrieben.