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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

10. 10. 2010 - 19:01

Civilized

Ein Klassiker kehrt zurück: Geschichte spielen mit "Civilization V".

das cover des spiels Civilization

2k Games

Jetzt hat meine Freundin schon seit Tagen rote Augen und einen ziemlich starren Blick. Kein Wunder, zum Schlafen kommt sie nicht mehr viel. Immerhin muss sie ein paar tausend Jahre Menschheitsgeschichte abspulen, die Engländer haben ihr den Krieg erklärt, in ihren Großstädten stagnieren die Bauprojekte und im Hinterland wüten Barbarenstämme. Das kann schon mal bis fünf Uhr früh dauern. Alle paar Jahre wieder wird sie von diesem Virus befallen, und ich bin schuld. Als ich ihr vor etwa sieben Jahren das erste Mal "Civilization" zeigte - damals noch Teil 3 - war sie dem Spiel nach kurzer Eingewöhnung unwiderruflich verfallen.

Mit "Civilization IV" ging die Suchtspirale vor fünf Jahren in die nächste Runde, und jetzt sind ihre Nächte mit dem fünften Teil des Strategieklassikers wieder erstaunlich kurz geworden. Beim Frühstück erzählt sie mir dann mit ganz kleinen Augen was von aufmüpfigen Stadtstaaten und gescheiterten Feldzügen. Es hat was von Malaria - einmal angesteckt, kehrt die Krankheit in den unregelmäßigen Schüben der unausweichlichen nächsten Inkarnation des Ausnahmetitels immer wieder.

Geschichte zum Mitmachen

"Civilization" ist eines der bekanntesten, erfolgreichsten, ältesten und, ja, beeindruckendsten Spiele der Computerspielgeschichte - und es hat bereits selbst eine lange, lange Geschichte. Es muss irgendwann im Jahr 1993 gewesen sein, als ich selbst das erste Mal mit Sid Meiers Geschichtssimulator in Berührung kam - auf dem Amiga 500. Seitdem habe ich jede Inkarnation des einzigartigen Strategietitels mehr oder weniger begeistert gespielt. Muss man den fünften Teil erklären? Gibt es PC-Spieler, die "Civilization" nicht kennen? Statt einer Erklärung soll dieses Video vielleicht kurz demonstrieren, worum es geht.

"Civilization" ist und war immer der König der Globalstrategiespiele, und zugleich ein absoluter Ausnahmetitel. Während andere Spiele einzelne Konflikte, Epochen oder Schlachten abbilden, nimmt sich "Civ" nichts weniger vor, als die Geschichte an sich. Von der Jungsteinzeit ausgehend hat man die Aufgabe, sein Volk durch 5000 Jahre Geschichte zu führen - vom Faustkeil bis zur Atombombe. Dass es dabei mit den Nachbarn nicht immer friedlich zugehen kann, versteht sich von selbst, doch in Antike, Mittelalter und Moderne geht es um weit mehr als nur um den Kampf - das Spiel lässt sich auf verschiedene Arten gewinnen und militärischer Sieg ist nur eine, und sogar eher banale Variante.

Alles neu?

Teil fünf ist wieder ein "klassisches" "Civ" geworden, das sinnvolle Anpassungen vornimmt, einige Änderungen des vierten Teils aber rückgängig macht und die gewohnten Stärken des Titels betont. Die Karte ist nun in Hexfelder statt Quadrate aufgeteilt, unabhängige Stadtstaaten machen die Diplomatie interessanter und der militärische Teil wurde einer längst fälligen Generalüberholung unterzogen. Religion, Spionage und Handel mit Technologien sind verschwunden, dafür wirkt das gesamte Interface aufgeräumter und optimierter, ohne auf Komplexität zu verzichten.

ein screenshot

2k Games

Das Herzstück und Faszinosum der Reihe ist allerdings immer noch unverändert geblieben, und das ist die unnachahmliche Dramaturgie jeder Partie: der Reiz des Anfangs, eine noch unentdeckte Welt zu erforschen und zu besiedeln; die geschäftige Antike, in der erste Kriege zu schlagen und erste Bündnisse zu schließen sind; die Zeit der Expansion und Diplomatie im Mittelalter; und schließlich das sorgfältige Mikromanagement des oft schon riesigen Reiches im Endspurt der Moderne. Es ist eigentlich ein kleines Wunder, dass "Civilization" in keiner dieser so unterschiedlichen Phasen unspannend oder unausgewogen wird.

"Civ" - eine Tochter der Zeit?

Klar - mit echter Geschichte hat "Civ" nichts zu tun, und das nicht nur wegen immer wieder witziger Situationen wie dem Bau der Pyramiden durch die Amerikaner im Jahr 500 BC. "Civ" lebte natürlich immer vom "klassischen" Geschichtsbild, jenem der "großen Männer", der "großen Nationen" und der "großen Taten" - wie man sich den chaotischen Vorgang "Geschichte" als kontinuierliche Weiterentwicklung vom Einfachen zum Komplexen halt so vorstellt. Doch während etwa in Will Wrights "Spore" wider den ersten Anschein eigentlich durch die lenkende Allgewalt des Spielers gerade eben nicht Evolution, sondern "Intelligent Design" vermittelt wird (mit dem Spieler als lenkenden Designer), zeigt das Modell von "Civilization" ein paar witzige Merkmale, die es abstrakt sogar ein bisschen als Edutainment dastehen lassen.

ein screenshot aus Civilization

2k Games

Geschichtsbild zum Nachlesen: Das Buch "Clash of Civilizations" des konservativen US-Amerikaners Samuel Huntington diente nach 911 als düstere Erklärungsfolie für den angeblich unausweichlichen Kampf zwischen Westen und Islam, während die Werke des US-Pulitzerpreisträgers Jared Diamond, "Guns, Germs and Steel" und "Collapse" einen weniger martialischen Blick auf die Zivilisationsgeschichte werfen.

"Civilization V" ist für PC erhältlich.

Trotz des im Spielprinzip verankerten und als Konzept fragwürdigen Nationalismus stehen etwa alle 18 Nationen durchaus gleichberechtigt nebeneinander, und in den Herrscherbiografien und Weltwunderbeschreibungen wird reales Geschichtswissen auch abseits unserer europazentrierten Schulbildung vermittelt - wer hat etwa je zuvor von König Askia und dem Songhai-Reich gehört? Die im aktuellen Teil neu eingeführten Stadtstaaten weisen außerdem ebenso auf ein immer weiter differenzierteres Geschichtsbild hin wie die Weglassung der erst im vierten Teil eingeführten Religion. Man könnte schließen, dass der nach 9/11 so real erscheinende "Kampf der Kulturen" in Teil 5 des Jahres 2010 scheinbar einer gelasseneren Geschichtssichtweise gewichen ist, in der Ressourcen, Diplomatie und kleine, feudalere Strukturen an Bedeutung gegenüber großen Machtblöcken gewinnen - ein bisschen Jared Diamond statt Samuel Huntington.

Über die reale Menschheitsgeschichte lässt sich von "Civilization" abseits von Infohäppchen wenig lernen - als Abbild eines selbst der Geschichte ausgelieferten Geschichtsverständnisses sagt auch "Civilization V" aber dafür einiges über das Jahr 2010 aus. Auch der fünfte Teil der Reihe ist für Fans und Neueinsteiger unbedingt empfehlenswert.