Erstellt am: 1. 10. 2010 - 10:05 Uhr
Retrofuturismus
Ein Mann ist ganz allein auf dem Mond. Jahrelang arbeitet Sam Bell schon für einen irdischen Energiekonzern, er beaufsichtigt Maschinen, die ein spezielles Erz abbauen, von dem wir Menschen in naher Zukunft abhängig geworden sind. Seinen mechanischen Job, die eisige Isolation, all das erträgt Sam nur dank der Hoffnung, schon bald auf die Erde zurückkehren zu können.
Aber die Dinge laufen nicht so wie geplant im Low-Budget-Weltraumdrama "Moon". Sam Bell, gespielt vom großartigen Sam Rockwell, hat einen Unfall, der die Rückreise verzögert. Und plötzlich beschleicht ihn ein beklemmendes Gefühl: Irgendjemand ist da noch mit ihm zusammen auf der Mondstation. Irgendetwas wartet da draußen.
"Moon", das Regiedebüt des Briten Duncan Jones, wirkt wie die Antithese zu dem, was man gemeinhin mit Science-Fiction-Kino assoziiert.
Bedächtig schleicht der Film dahin, der hypnotisch pulsierende Soundtrack von Clint Mansell vermeidet jedes Getöse, es gibt weder Weltraumschlachten noch bizarre Aliens. Action findet überhaupt nur in Spurenelementen statt. "Moon" ist ein melancholisches Ein-Personen-Stück, verpackt in eine schimmernde Science-Fiction-Hülle.
Sony
Der Ansatz, den Duncan Jones wählt, mag heutzutage ungewöhnlich anmuten, aber er ist keineswegs neu. Man braucht nur den Look des Films studieren, das Design, die Kleidung. "Moon" sieht aus wie ein Zukunftsfilm aus der Vergangenheit. Genauer gesagt, aus den frühen siebziger Jahren.
1968 schreiben zwei Filme Hollywood-Geschichte. Stanley Kubrick gelingt mit "2001 - A Space Odyssey" ein atemberaubendes Sci-Fi-Epos, in dem Raumschiffe Walzer tanzen und Computer allzu menschliche Züge annehmen, eine audiovisuelle Symphonie mit beeindruckenden Spezialeffekten. Vor allem aber ist "2001" ein mysteriöser Film, der die grundsätzlichen Fragen des Seins diskutiert.
Im selben Jahr begeistert "Planet Of The Apes" als grelles Stück Actionentertainment, in dem aber auch Atomkriegsängste aufflackern, es um diskriminierte Minderheiten und Bürgerrechte geht. Beide Filme werden zu Riesenerfolgen, Hollywood gibt grünes Licht für weitere Science-Fiction-Abenteuer.
Warner Bros
Plötzlich scheinen gewagte Big-Budget-Experimente für eine bestimmte Zeit möglich. "The Omega Man" (1971), "The Andromeda Strain" (1971), "Silent Running" (1972), "Soylent Green" (1973) oder "Logan's Run" (1976), lauter Filme entstehen, die ein pessimistisches Bild von der Zukunft zeichnen und den Fortschrittsglauben radikal hinterfragen. Science-Fiction-Dystopien für kluge Kinder und interessierte Erwachsene zugleich.
Als David Bowie 1976 in "The Man Who Fell To Earth" einen seelisch kaputten Außerirdischen auf Erdbesuch spielt, ist es der Anfang vom Ende der Anti-Utopien. Der radikale Film des britischen Regieexzentrikers Nicolas Roeg wird zum Kassenflop.
Ein Jahr später ist es endgültig vorbei mit künstlerischen Visionen, bitteren Befunden und harscher Sozialkritik im Sci-Fi-Gewand.
Mit "Star Wars" versinkt das Genre in der Infantilität. George Lucas erfindet das Blockbuster-Kino und lässt anderen Regisseuren erst einmal keinen Spielraum mehr für ernsthaftere Ansätze. Das Weltall wird zum Spielplatz für überdimensionale Teddybären, asexuelle Helden und ebensolche Prinzessinnen.
Criterion Collection
Es passt gut, dass Duncan Jones früher einmal Zowie Bowie geheißen hat. "Moon" knüpft an das verstörende Science-Fiction-Kino der 70s an, in dem Daddy David Bowie einen legendären Auftritt hatte. Leider ist der Film aber kein Meisterwerk geworden, das an die Klassiker von damals wirklich anschließt.
"Moon" entpuppt sich nach einem überaus stimmigen Einstieg als Vehikel für den virtuosen Sam Rockwell und als ästhetische Fingerübung in Sachen Retrofuturismus, mehr bleibt da nicht übrig. Der angedeutete Existentialismus, das verstörende Geheimnis, die versprochene Tiefe, all das löst der Film mit seinem dünnen, vorhersehbaren Plot nicht ein.
Ob Hollywood wieder im großen Stil ernüchternde Anti-Utopien und ernüchterndes Science-Fiction-Kino produzieren wird?
Schaut man sich die allgegenwärtigen Krisen an, dann leben wir schließlich jetzt in der Zukunft, die uns die 70er Jahre prophezeit haben.
Sony