Erstellt am: 25. 9. 2010 - 20:48 Uhr
'Ed Boy
So, stellen wir den Schwarztee, den ich (weil verkühlt) mir zur Feier des Ereignisses reingeschüttet hab, so als wäre er Sekt, einmal kurz zur Seite. Es kommt ja nicht so häufig vor, dass man Recht behält, insbesondere wenn der Wunsch Vater der Voraussage ist, aber diesmal ist es gut gelaufen, wenn auch äußerst knapp.

Robert Rotifer/BBC
Ed Miliband ist der neue Chef der Labour Party, und als solcher – abhängig davon, wie verheerend sich das rabiate Sparprogramm der konservativ-liberalen Kolitionsregierung auswirken wird – möglicherweise der nächste britische Premierminister.
Er hat seinen lange hochfavorisierten älteren Bruder David besiegt, wenngleich nur in der vierten Zählungsrunde nach Auswertung aller alternativen Präferenzen der WählerInnen der anderen, unterlegenen KandidatInnen. Bis vor diesem letzten Stechen zwischen Ed und David hatte Zweiterer immer die Nase vorn.

Robert Rotifer/BBC
Das wäre an sich noch kein Problem für die Legitimität von Eds Wahl, schließlich bedeutet es, dass die WählerInnen von Andy Burnham, Diane Abbott und Ed Balls eher mit Ed als mit David können, er daher also tatsächlich die breiteste Unterstützung aller Lager genießt.
Die Crux lieg vielmehr im Wahlsystem, das den Labour-Parlamentariern, den Parteimitgliedern und den Gewerkschaften jeweils ein Drittel im „Electoral College“ zubilligt. Sowohl bei den Parlamentariern als auch bei den Mitgliedern lag hier David ziemlich eindeutig voran. Nur durch die Stimmen der Gewerkschaften konnte Ed insgesamt die Oberhand behalten:

Robert Rotifer/BBC
Bei den ParlamentarierInnen hatte David 17,8, Ed nur 15,5 Prozent, bei den Mitglieder David 18,1 gegen Eds 15,2, bei den Gewerkschaften standen dagegen Davids 13,4 gegen Eds entscheidende 19,9 Prozent.
In Hinblick auf Eds Status als Parteichef bedeutet das, dass die Rechte ihm Abhängigkeit von den Gewerkschaften vorhalten wird - genau jener Eindruck, den Tony Blair mit seiner offen gewerkschaftsfeindlichen Politik immer schon vermeiden wollte. Schließlich hat die destruktive Politik der britischen Gewerkschaften in den von unzähligen Streiks gezeichneten 1970er-Jahren Labours Ruf als deren angestammte politische Vertretung dauerhaft beschädigt.

Guardian
So ging zumindest bisher die Logik. Kann aber auch gut sein, dass diese grundsätzlich überdacht und revidiert gehört. Denn: David Miliband war klar der bevorzugte Kandidat Tony Blairs.
Die Stimmen für alle vier anderen KandidatInnen dürfen insofern als überwältigendes Votum gegen die Weiterführung des New Labour-Kurses zusammengezählt werden.
Und wenn es im Zuge der Sparmaßnahmen der Regierung wirklich hart auf hart geht, könnten die Gewerkschaften eine wesentlich populärere Rolle spielen als während der Boom-Jahre, wo sie gerne als antiquierte Überflüssigkeit abgetan wurden.

Aardman
Es ist zu erwarten, dass Ed Miliband die radikaleren Töne seines Wahlkampfs zugunsten des Konsens wieder abdämpfen wird. Er ist bei aller seiner vehementen Kritik an New Labours ideologischem Ausverkauf grundsätzlich kein Spalter, sondern ein Versöhner.
So oder so dürfte sich der politische Diskurs gegen die neoliberalen Dogmen der über Parteigrenzen hinweg mindestens bis zum Ende der Blair-Phase anhaltenden Post-Thatcher-Ära wenden.
Das zu Labours Regierungszeiten aus Prinzip vernachlässigte Thema der brutalen Verschärfung der sozialen Unterschiede wird nun bald auch für die unter Druck geratene Lower Middle Class interessant – eine Debatte, in der sich Ed Miliband wesentlich mehr zu Hause fühlt als sein Bruder.

Robert Rotifer/BBC
Während David, der Pragmatiker, sich erst unlängst aus seiner Amtszeit als Außenminister die Duldung des Gebrauchs mit Foltermethoden erworbener Informationen durch den britischen Geheimdienst vorwerfen lassen musste, ist Ed zudem ein engagierter Kriegsgegner, Folter-Verächter und Bürgerrechtsverfechter, der die Rolle Großbritanniens als allzu unkritischer Partner der USA offen in Frage stellt.
Wie sich all das in der Praxis äußert, wird sich wohl erst bei Eds erstem Duell mit David Cameron zur Prime Minister's Question Time im Unterhaus absehen lassen. Die Flitterwochen des konservativen Premiers, der bisher auf eine de facto führungslose Opposition zählen konnte, sind jedenfalls seit heute vorbei.