Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Radical Maidens statt Depressive Housewives!"

Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

25. 9. 2010 - 14:28

Radical Maidens statt Depressive Housewives!

Das Berliner Zeughauskino zeigt in der Reihe "Frühe Interventionen. Suffragetten" eine Woche lang rare Filme über die Suffragettenbewegung. Am Donnerstag wurde die Reihe mit dem Themenabend „Radical Maid(en)s" eröffnet.

Anfang des 20. Jahrhunderts eroberte die Bewegung für das
Frauenwahlrecht auch das Kino. Neben Karikaturen in den Printmedien entstanden Spielfilme zum Thema und die Wochenschauen dokumentierten den Kampf, die Demonstrationen und Paraden vor allem der englischen Suffragetten. Zum anderen wurden unzählige Komödien mit der wenig subtilen Botschaft, dass Frauen nun mal ins Haus und nicht an die Wahlurne gehören, produziert. Sie zeigen wild gewordene Furien, die im Zuge ihres politschen Engagements männliche Züge annehmen, ihre Familien vernachlässigen und öffentliche Gebäude anzünden.

Filmintro "Kunigunde kriegt Besuch"

Zeughauskino

Kunigunde kriegt Besuch (F 1912)...

In etlichen (Anti-)Suffragettenfilmen verkleiden sich Männer als Suffragetten und Streikende. Faszinierend unklar ist dabei die Funktion ihres Rollenspiels: Möchten diese Filme das Unangemessene und Groteske der weiblichen Rollenüberschreitung illustrieren? Oder gestattet das männliche Crossdressing das wilde Rebellieren gegen die
Ordnung?

In dem Material aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ist ein noch wenig normiertes Kino zu entdecken: "Ein Kino, das sich selbst beim Erfinden zusieht", wie es die Kuratorinnen ausdrücken. Jahrelang haben Madeleine Bernstorff und Mariann Lewinsky in europäischen Archiven gesucht und gesichtet, haben frühe Filme zu weiblicher Arbeit, Klassenverhältnissen und Geschlechter-Inszenierungen gefunden.Es sind Szenen, die zum Standardrepertoire des frühen Kinos gehören: Die personell anwachsende Verfolgungsjagd, burleske Schlägereien, Massenkarambolagen zappelnder Körper, das Overacting mit großen Gesten und blitzenden Augen.

Hausmädchen

Zeughauskino

... und hinterher...

Eine große Rolle spielt die Figur des Dienstmädchens, schließlich arbeiteten 50% der arbeitenden Frauen zu dieser Zeit als Dienstpersonal.Es ist ein großer Spaß, die "radical maidens" in ihrer anarchischen Freude an Umkehrungen und Übertretungen zu beobachten: da werden die züchtige Hausfrau und der ehrbare Hausvater vom durchgedrehten Dienstmädchen terrorisiert und das Geschirr gleich stapelweise zerdeppert. Da helfen die ländlichen Verwandten dem Mädchen beim Putzen und zerstören dabei voller Freude, Hingabe und Ausdauer das ganze bürgerliche Interieur. Was aber heute den ganzen Kinosaal zum Lachen bringt, wurde damals wohl als abschreckendes
Beispiel inszeniert: Wenn die Frauen erst einmal gleichberechtigt wären, und wählen dürften, würde die Welt Kopf stehen und Chaos ausbrechen!

Filmstill aus "Kunigunde kriegt Besuch"

Zeughauskino

... ist das bürgerliche Interieur nicht mehr wieder zu erkennen.

Besonders dramatisch ist der Ausschnitt aus einer
Wochenschau aus dem Jahr 1913 . Die radikalisierte Suffragette Emily Davison war in ihrem Kampf schon bis zu Hungerstreik samt Zwangsernährung gegangen. 1913 stellte sie sich mit ihren Flugblättern während des Derbys von Epsom dem Rennpferd des Königs entgegen. Sie
wurde überrannt und erlag ihren Verletzungen. Die Wochenschau zeigt den Vorfall, ihre Beerdigung und den nahezu paramilitärischen Aufzug ihrer Mitkämpferinnen.

Filmstill aus "Tilly in a boarding house"

Zeughauskino

Tilly in a boarding House

Lustig wurde es wieder bei den frühen Tomboys aus dem englischen Film "Tilly in a boarding House" von 1911. Die Mädchen legen heimlich ihre wallenden Kleider ab, ziehen sich Hosen an und machen in einer unbändigen Freude an bösen Streichen, Zerstörungswut und Schadenfreude die Gegend unsicher. Etwas von diesem anarchischen Esprit wäre auch dem zeitgenössischen Feminimus á la "Neue deutsche
Mädchen" zu wünschen, der, aus lauter Angst unweiblich, unsexy, verbittert zu wirken, sich erst einmal ängstlich von den Vorkämpferinnen distanzieren muss.