Erstellt am: 27. 9. 2010 - 19:20 Uhr
Ist Integration messbar?
Vergangene Woche sind österreichische ForscherInnen erstmals zu einer Jahrestagung der Migrations- und Integrationsforschung zusammengekommen. Es gab so unterschiedliche Themen wie Gesundheitsvorsorge, Stadtentwicklung oder Identitätskonzepte.
Die breitgefächerte Themenpalette zeigt, dass die Forschung zur Migration mittlerweile nicht mehr eine soziologische Spezialdisziplin ist, sondern in den unterschiedlichsten Forschungsrichtungen angekommen ist. Die Institutionalisierung der Migrationsforschung bringt aber auch die kritische Frage mit sich: Ist Integration überhaupt messbar? Ich habe mit Mitgliedern der Arbeitsgruppe kritische Migrationsforschung darüber gesprochen und gefragt, an welchen Kriterien sie derzeit festgemacht wird.
Abgefragte Ideale
"In den siebziger Jahren wurden Dinge wie Sauberkeit, Hygiene, Freundlichkeit oder Hilfsbereitschaft in der Integrationsforschung abgefragt", erklärt Assimina Gouma von der Plattform kritische Migrationsforschung. Ihr Kollege Gerd Valchars ergänzt: "Heute wird Integration vielfach an Demokratieverständnis oder Gleichberechtigung von Mann und Frau festgemacht. Da gab es also eine eindeutige Verschiebung. In Wirklichkeit sagen diese angeblichen Integrationsindikatoren viel mehr über das Selbstverständnis einer Gesellschaft aus, wie man sich die perfekte Nation konstruiert, als über eine irgendwie geartete Integrationswilligkeit oder -fähigkeit von jemand anderen."
Auch die die Konstruktion des Anderen, als meist muslimisch und in weiterer Folge sexistisch oder homophob, ist in solchen Fragestellungen erkennbar, meint Kollegin Petra Neuhold. Die Vermessung der Menschen ist ihrer Meinung nach daher gar nicht möglich: "Ich würde gerne wegkommen von diesem Abfragen der Integrationsindikatoren. Das ist Blödsinn, man kann sowas nicht messen. Und es ist auch nicht wünschenswert so etwas messen zu wollen."
Rettenbacher, OIF, Stockfotos
KriMi - Kritische Migrationsforschung
Die Arbeitsgruppe Kritische Migrationsforschung ist gegründet worden, um die Forschung rund um das Thema Migration und Integration auf einer Metaebene zu betrachten und Einseitigkeiten in Fragestellungen und Konzepten aufzudecken.
"Angesichts der Tatsache, dass Migrationsforschung in den letzten Jahrzehnten zunehmend politikberatend tätig war, sind Entwicklungen passiert, die es notwendig gemacht haben, über den Prozess der beratenden Tätigkeit nachzudenken und zu reflektieren, inwiefern die eigenen Konzepte auch mit der Politik konvergierten."
Forschung passiert nie im luftleeren Raum, dessen sind sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe durchaus bewusst. So meint Gerd Valchars: "Es gibt immer einen Auftraggeber oder eine Auftraggeberin, eine spezifische Fragestellung und dementsprechend wird die Forschung angelegt. Das Innenministerium hat bestimmte Fragen und dementsprechend ist das Forschungsdesign angelegt, während andere Fragen, die nicht dazu passen, aber vielleicht interessanter wären, nicht gestellt werden und ausgeblendet bleiben."
Als Beispiel nennt er die Sprachstandserhebung: "Oft wird davon gesprochen, dass die Sprache erhoben wird, in Wirklichkeit werden Deutschkenntnisse getestet. Aber andere Sprachkenntnisse, wie die Muttersprache, werden nicht erhoben. Das ganze läuft aber unter dem Deckmantel der Sprachstandserhebung."
Solche Auslassungen will die Arbeitsgruppe hinterfragen. Die Mitglieder plädieren dafür, den Blick weg von dem/der einzelnen MigrantIn und hin zu gesellschaftlichen Strukturen zu lenken. "Eine interessante Frage wäre, wie oft MigrantInnen Opfer rassistischer Gewalt oder Frauen sexistischer Gewalt werden." - Und Kollegin Petra Neuhold fügt hinzu: "Ich würde aufdecken wollen, dass es noch immer Ausbeutung am Arbeitsplatz gibt, dass MigrantInnen in der Hierarchie am Arbeitsmarkt an unterster Stelle stehen, dass sie vermehrt von Überwachung betroffen sind, dass es eben solche Dinge wie ethnic profiling gibt."