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Elisabeth Gollackner

Subjektivitäten, Identitäten und andere feine Unterschiede.

23. 9. 2010 - 10:11

Oh! Wie Blei, nicht gegossen

Immer schon hab ich es gewusst: September ist das wahre Silvester.

Oh! - Irritationen im Alltag

Im September, da drehen die Menschen durch. Jedes Jahr.
"Und der Grund dafür", erklärt sie mir, "ist der Schulanfang. Der tatsächliche, aber auch der innere, der ewige."
Diese Theorie hätte nicht sie selbst, sondern ihre Psychotherapeutenfreundin aufgestellt. Die behaupte, der große Selbstzweifel liege nicht (nur) unterm Christbaum oder im Countdown zu Jahresende, sondern er verstecke sich vor allem in den Krägen der Übergangsjacken. Sobald man die gebräunten Zehen wieder in festes Schuhwerk stecken muss und die Didgeridoo-Spieler auf den Einkaufsstraßen mehr in ihre Taschentücher als in ihre Rohre blasen, überkomme es die Österreicher und sie fielen kollektiv in eine Depression.

Comicstil; jemand denkt an eine Schultüte

elisabeth gollackner, fm4

Ganz viel "Erster-Schultag"-Angst stecke da drin, erklärt sie mir, ganz viel "Neuanfang" und "Chancen" und "Entscheidungen fürs Leben" und all der Scheiß, der dich nicht schlafen lässt. Als wäre mit dem Sommer auch das Dolce Vita hinter der Südhalbkugel verschwunden, wird plötzlich rekapituliert und verglichen und Bilanz gezogen. Was bleibt, ist eine jämmerliche Existenz in schlabbriger Kleidung von vor zwei Wintern.

Ihre Psychotherapeutenfreundin gehe übrigens jedes Jahr im September auf Urlaub, sagt sie. Unerreichbar für die Klienten. Spätestens im Oktober sei dann wieder alles in Butter, und man habe zu diesem Zeitpunkt immer noch genügend Zeit, sich auf die Weihnachtsdepression vorzubereiten.