Erstellt am: 21. 9. 2010 - 17:21 Uhr
Fußball-Journal '10-55.
Meisterschaft und Cup, das "europäische Geschäft", das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison mit ungeschöntem Blick.
Heute mit einem zweiten Teil zum sonntäglichen Plädoyer gegen die mediale Schlachtung von Salzburg-Trainer Huub Stevens, der von dir in diesem Zusammenhang eingeforderten sorgfältigen Analyse der Salzburger Probleme abseits von primitiver Personalisierung und oberflächlicher Zuschreibung.
Huub Stevens ist noch Salzburg-Trainer.
Die Mechanismen der Demontage von unliebsamen Figuren, die in Österreich sonst prächtig funktioniert, und deshalb im Doppelpass zwischen Mainstream-Medien und Szene-Akteuren auch so schön gespielt wird, hat nicht gegriffen.
Nicht weil die Kampagne nicht perfekt gesetzt war (da hat alles gestimmt; die Signale der Kicker jetzt einmal ordentlich gegen den Trainer zu spielen; das Drängen der auf Nachfolge-Jobs wartenenden Promi-Aasgeier; die Zusammenrottung von Boulevard-Granden und VIP-Club-Dauergästen, die sich in ihrer Definitionshoheit des Deppertdaherreden gestört fühlten), sondern weil der Besitzer sowas anders handhabt; nach Jahresplänen, wie bei einer Bilanzlegung.
Red Bull ist anders. Aber leider auch in anderer Hinsicht.
Der Besitzer hat, so schrieb das unlängst der Sportchef der Kronen Zeitung, irgendwann als er schon ein großer Sportsponsor war, aber sein Engagement in Fußball oder Eishockey noch nicht die Rede war, ihm einmal seine Vorbehalte gegenüber Mannschjaftssportarten erklärt. Da geht es rein um Image und Marketing: bei einem Einzelsportler, so Dietrich Mateschitz, wäre Medien-Präsenz nur im Erfolgsfall gegeben; beim Teamsport würden die Medien sich aber auch immer auf die Krisenzeiten draufsetzen.
Das klingt schlüssig, ist aber nur so oberflächlich wahr, wie es für den Boulevard grade passt. Denn natürlich wird ein von der Doping-Falle oder einer üblen Form angepatzter Einzelathlet, egal ob er ein Ski-Star oder ein Exotensportler ist, den Sponsor ebensotief in die Kacke mitreinziehen.
Andererseits hat kein Einzelsportler jemals die Chance einen nachhaltigen Mythos aufzubauen, wie das ein (gut und sensibel geführter) Teamsport-Verein vermag.
Das Kreuz mit den Teamsportarten...
Und wahrscheinlich steckt Mateschitz sein Red Bull-Image (samt Logo und sehr viel Geld) mittlerweile eben auch deswegen in Eishockey und Fußball.
Weil man aber den alten Grundsätzen immer noch nachhängt, gibt es ein gewisses Grund-Mißtrauen der Geschäftsführung; vor allem dem (für sie als Laien) völlig unkalkulierbarem Fußball-Bereich gegenüber.
Und das wiederum schlägt sich in halbgaren Entscheidungen, Provisorien und entsprechender Unsicherheit nieder.
Und die ist wiederum die Basis der aktuellen Krise (die, sieht man sich die kurze Red Bull Salzbug-Geschichte an, eigentlich ja eine Dauerkrise ist, der man nie entwachsen konnte).
Für alle, die sich über das Entweder-Oder wundern: so isses halt, nach UEFA-Statuten darf nur ein Verein ein- und desselben Besitzers (und lustige Strohmänner-Schmähs fruchten da nicht) im Europacup spielen - in fünf Jahren dann eben nur entweder Salzburg oder Leipzig.
Salzburg als Premium-Standort hat etwa noch fünf Jahre Zeit. Und die nächsten ein, zwei Jahre werden entscheiden, wie stark in den deutschen Konkurrenten, wie intensiv in Leipzig investiert wird. Die spielen aktuell mit einer für die 3. Liga ausgelegten Mannschaft in der Regionalliga (und wollen in 5 Jahren in der Bundesliga sein und dort, hoffenheimartig, mitmischen). Wenn es sich heuer mit dem Aufstieg nicht ausgeht, dann kann auch ein Team in Zweitliga-Stärke hingestellt werden.
Dass sich Salzburg wieder nicht in die allererste Auslage, die Champions League gespielt hat, ist gut für Leipzig. Dass sie den Europa-League-Erfolg des Vorjahrs heuer klar unterbieten werden, ebenso. Wenn man sich weiter deppert spielt und gar den Meistertitel verpaßt, dann könnte 2010/11 in Leipzig eine Mannschaft in Bundesliga-Stärke auftauchen, deren Auftrag "Durchmarsch!" lautet.
Die Unsicherheit die von oben kommt
Dieser Kreislauf des Negativismus zieht sich durch das gesamte Red Bull-Engagement im Fußball. Man gibt alles, kauft sich Muskel, Hirnschmalz und Expertise - allerdings alles auf Abruf; jederzeit feuerbereit.
Diese Attitüde, diese Einstellung lockt in erster Linie eine bestimmte Art Mensch an; den Glücksritter, der hinter sich schon auch die Sintflut angebracht findet, den Bluffer, Plärrer und Blender, der Intensität nur ausstrahlt, aber nicht lebt.
Es ist kein Zufall, dass die allermeisten Aktionen von sowohl kaufmännischen und sportlichen Entscheidungsträger wie auch die Mannschaft genau so anfühlen.
Die Unsicherheit, die von der Konzernspitze ausgeht und bis ins unterste Glied abstrahlt, definiert das Gesamtklima. In einem Bereich, bei dem's nur um Verkauf, Absatz und Optimierung geht, mag sowas funktionieren - im Fußball, wo Atmosphäre, Stimmungen, Nuancen und vor allem Kommunikation alles sind, ist sowas tödlich.
Der einzige, der diese Politik (zumindest nach außen) nicht vertritt, der mittlerweile allmächtige Sportchef Dietmar Beiersdorfer, kommt aufgrund seiner vorsichtigen und abwägenden Art auch genauso rüber - und verdoppelt damit diese Grundstimmung.
Letztlich tut Red Bull, wahrscheinlich unabsichtlich und gefiltert durch einige undurchschaubare interne Systeme dasselbe, was Frank Stronach (auf die Magna-Art, also plump und mit völlig irrwitzigen Begründungen) die letzten Jahre über gemacht hat: Unsicherheit säen, Planlosigkeit durch Planungslosigkeit vorgeben.
Und jetzt zu den Coaching-Fehlern...
Das also ist die Basis auf der jeder Coach in Salzburg arbeiten und jeder Spieler in Salzburg auflaufen muss. Und das gilt es mitzubedenken, wenn von einer Krise die Rede ist.
Und nicht die persönlichen Unzulänglichkeiten eines Journalisten-Fresser-Coaches.
Dass der innerhalb dieses extraungünstigen Rahmens dann noch zusätzlich Fehler macht, die auf keine Kuhhaut gehen, ist wieder eine andere Geschichte.
Stevens ist ein "leader of men" aus dem vorigen Jahrtausend, und in einem kühl-modernistischem Ambiente wie in Salzburg verloren.
Stevens' Defensivanlage ist für verbissene, verbiesterte Underdog-oder Malocher-Clubs, also Vereine, die bereits ein Image haben, recht gut geeignet. Für einen Klub, der sich erst einmal ein Positiv-Image jenseits der reinen Claqueure erarbeiten muss, ist es/er denkbar ungeeignet.
Stevens hat die Reaktionszeit einer Wasserschildkröte an Land: in der Zeit, die er braucht um Baustellen zu beheben oder Systeme umzustellen, sind ganze Qualifikationen und Saisonen vorbei.
Stevens ist recht beratungsresistent. Wird er von außen auf ein Problem hingewiesen, investiert er mehr Energie um das wegzureden als für die Bereinung nötig wäre.
Das fährt teilweise in Bereiche der Persönlichkeits-Struktur hinein, richtig. Und das habe ich gestern als widerlich gebrandmarkt, auch richtig; teilweise. Denn meine Attacke galt und gilt der exklusiven Geiselung der persönlichen Umgangs. Sobald sich diese Herangehensweisen mit Analyse, Taktik, Personalführung und systemischer Arbeit trifft, soll und muss sie sehr wohl Thema sein.
Planungs-Schleißigkeiten die es Drittligisten leicht machen
Für jemanden wie Stevens, der wenig varaibel agiert und wenig verändert, ist/wäre ein funktionierendes Kern-Team enorm wichtig. Nun sind von den zehn effektiven Leistungsträgern des Vorjahres (hier beim Salzburg-Fazit 2009/10 erwähnt) aber fünf weg. Gustafsson und Ulmer sind verletzt, Tchoyi und Janko wurden vertrieben und Svento muss auf einer Position, die er nicht beherrscht, Notdienst leisten.
Die anderen fünf (Schwegler, Sekagya, Afolabi, Schiemer, Leitgeb) waren heuer noch nie zeitgleich in Form.
Die Neuen (Tremmel, Mendes, Zarate, Jantscher, Boghossian) noch weniger.
Das sind alles keine Schicksalsschläge, die man hinnehmen muss, vor allem, wenn man einen 25 Mann-Kader befehligt, auf ein gutbesetztes Amateur-Team und Scouts in Ghana oder Brasilien zurückgreifen kann. Oder könnte. Das Amateur-Team wurde bewußt zerschlagen; die Jungen sind im Stevens'schen Herrenbauern-Denken sowieso nix wert.
Der Rest sind Schleißigkeiten.
Kein Back-Up für Linksverteidiger Ulmer eingeplant zu haben rächt sich spätenstens, wenn man auf einen gutvorbereiteten Gegner wie BW Linz trifft, die alle ihre Abstöße und Angriffe gezielt auf den defensivschwachen Svento links hinten gerichtet hatten und so ihre Drei-Tore-Führung herausholten.
Svento wiederum ist links offensiv nicht zu ersetzen: Jantscher schafft das nicht, Pokrivac kann nicht einmal von links flanken, Zarate ist rechts besser, kann aber Tchoyi als potentiellen Spielentscheider nicht ersetzen, ebensowenig wie sonstwer Janko.
Das sorglose Eichhörnchen vorm Wintereinbruch
Janko und Tchoyi wiederum wurden systematisch angezählt und schließlich vertrieben - aber jedem warjederzeit klar, dass sie gehen würden. Das geschah dann recht spät - und galt allen Verantwortlichen dann als Ausrede hektisch nachzurüsten, anstatt sich schon davor gerüstet zu haben.
Dass die Erfahrungen aller bisherigen EC-Quali-Peinlichkeiten laut geschrien haben, dass man eine möglichst lange eingespielte Mannschaft braucht, und nicht erst eine, die sich im August erstmals trifft, wurde erstaunlicherweise nicht gehört.
Man reagiert weiter so wie der schneekettenlose Autofahrer oder das sorglose Eichhörnchen bei Wintereinbruch: empört; als würde man alljährlich Wiederkehrendes tatsächlich das erstemal erleben.
All das, die zu schwache und zu spät erfolgte Personalplanung, die Mangelfähigkeit systemisch schnell zu denken (anstatt sich von einem Drittligisten strategisch überlisten zu lassen) und zu handeln, die altbackene Übervorsicht-Strategie oder dieses ewige Agieren im Bewußtsein dass zwanzig okaye Minuten in der Ö-Bundesliga schon irgendwie für einen mühsamen Sieg reichen werden, all das kommt aktuell zusammen und sorgt für Ungemach.
Vor allem (und wohl nur unbewußt, weil wer sollte bei Salzburg diese strategische Analyse vorgenommen haben?) dann, wenn man wie letzte Woche auf einen Gegner wie Man City trifft, der das spielt, was RBS eigentlich gern sein und machen würde.
Alle kriegen, was sie verdienen
Roberto Mancini hatte sein Team nämlich in diesem klassischen Milan/Brasilien 4-2-2-2 aufgestellt. Mit zwei wild nach vorne purzenlnden Außenverteidigern, zwei guten 6ern (unter anderem der sensationelleYaya Toure, der alles kann, auch achtern und zehnern...) vor der Innenverteidigung, und zwei offensiven Mittelfeldspielern, die alles dürfen - vor allem die beiden Spitzen einsetzen.
Manchester City griff so mit meist sechs, manchmal (Yaya) auch sieben Spielern an; und zerdrückte Salzburg wie ein sanfter Riese sein Spielzeug.
Salzburg kann das alles nicht, vor allem im Mittelfeld. Die Sechser sind Schiemer (und der kann anderes besser spielen...) und Mendes (gut, aber kein Yaya), die Offensiven orientieren sich (Leitgebm, Pokrivac) auch lieber nach hinten, anstatt den Gareth Barry zu machen. Salzburg schafft es nicht einmal so ein Spiel auf österreichischen Verhältnisse runterzubrechen udn anzubieten.
Weil der Grundgedanke der Vorsicht, der Defensivität dahintersteht - die Angsthasen-Taktik von Huub Stevens, der so lebt, denkt und handelt wie eine Muräne im Riff: defensiv, reagierend.
Und weil dieses Denken vom Gesamtdenken der Fußball-Abteilung von Red Bull entspricht. Deshalb musste Co Adriaanse, der einzieg Coach unter dem Salzburg zumindest ein halbes Jahr lang durchgehend aufregenden Fußball spielte (und, merke, das war im letzten Herbst nicht der Fall; aufregend war da nur die EL, in der Meisterschaft ging nix) auch gehen - weil sein Stil nicht entsprach.
Insofern hat das Management eben den Trainer, den es verdient. Einen bissigen Vorsichtl. Und letztlich hat der Trainer auch die Mannschaft, die er verdient. Eine vorsichtige ohne Biss.
In dieser Konstallation wird das, ganz personenunabhängig, nix werden; auch nicht die nächsten fünf Jahre.