Erstellt am: 21. 9. 2010 - 19:05 Uhr
Wortlaut 10 - der dritte Platz
Es ist nicht einfach Valerie Fritsch zu ihrem 3. Platz zu gratulieren. Wochenlang ist sie irgendwo zwischen Vietnam und Thailand unterwegs. Valerie reist gern und viel.
Allein in den letzten fünf Monaten war sie neben Asien bereits in Russland und Südamerika.
Sie war früher weitaus unglücklicher, aber seitdem sie so viel reist und sich von ihrer Vergangenheit getrennt hat, geht's ihr besser. Vor ihrer Vergangenheit flieht sie aber nicht, sie will viel eher die Distanz, die zwischen ihr und ihrer Vergangenheit entstanden ist, auch geografisch sichtbar machen. Direkt auf der Weltkarte.
Auf einer Reise hat sie auch einen wesentlichen Input für "Die Geschichte des Auges" gefunden. Sie war heuer im Frühling – wie jedes Jahr – eine Woche segeln. Ein Regisseur war bei ihr in der Crew und der hatte ein Glasauge. Seitdem ist sie von Glasaugen fasziniert.
Valerie Katrin G. Fritsch
Geb. 1989, absolvierte ein Studium an der Akademie für angewandte Photographie, arbeitet als Photokünstlerin, studiert Jus und Germanistik, Minna Kautsky Prosa 2008, Mitglied der Grazer "plattform", Literaturstipendium des Landes Steiermark 2009, 3. Literaturpreis der Akademie Graz. Im Sommer 2009 lebt Valerie Fritsch ein Monat in Äthiopien, arbeitet in einem Kinderkrankenhaus und verarbeitet die Reise zu einem Kunstprojekt. Publikationen ua in den LICHTUNGEN und im Korso, 2010 Literaturförderpreis der Stadt Graz, sowie das Stipendium des BMUK 2010.
Valerie Katrin G. Fritsch lebt in Graz.
FM4
"Die Geschichte des Auges"
Soundtrack zum Text
Leonard Cohen – The Partizan
Hurt – Johnny Cash
Depeche Mode – Personal Jesus
Damals sind die Tischler der Särge die reichsten Männer der Stadt gewesen und heute sind sie arbeitslos. Die Sommer waren kalt und die persischen Schachbrettblumen: dunkelrot und glockenförmig zusammengefroren. Die Hunde sind über die arktischen Wiesen gelaufen in der Nacht und die Katzen sind durch die Druckereien gejagt in den Dämmerstunden. Der Himmel hat sich erschöpft und ist dunkle Ernsthaftigkeit gewesen und die Wolken Asche und Boshaftigkeit. Die schwarzen Katzen haben Druckerschwärze auf den Pfoten getragen und feingliedrig Abdrücke auf die Straßen tätowiert, und die Abdrücke waren krähenschwarz, wie die ewigen Vögel auf den Dachfirsten und Schornsteinen der Häuser. Die Stadt ist zwergenhaft gewesen und die Zeitungen so groß wie kleine Kinder. Mit den Jahren ist Peter größer geworden als die Druckblätter und irgendwann: größer als die Nachrichten zwischen den Seiten, und trotzdem ist er klein geblieben. Sein Vater ist Tischler gewesen und hat Kisten um die Toten gebaut, in allen Größen, in dunklem und in hellem Holz, und die misslungenen Särge hat er mit Tritten niedergerissen und mit Schwarzpulver gesprengt in den Schuppen. Seine Mutter hat sich vor den Hunden gefürchtet, aber Peter hat gewusst, wenn man alt genug ist: sucht man sich seine Ängste selber aus.
(Anfang von "Die Geschichte des Auges")
"Die Geschichte des Auges" entstand kurz nach den Missbrauchskandalen in der kath. Kirche und es hat sich angeboten, etwas von dem Zeitgeist in die Geschichte mitaufzunehmen. Aber es war nicht bewusst darauf hingeschrieben.
Als Peter die Augen wieder aufschlug, nachdem er geniest hatte, ist das Kerbschnitzmesser des zu Tode erschreckten Priesters im Schwarz der Pupille gesteckt und hat gezittert, wie bei Dartspielen. Ein Ministrant ist mit aufgeplatzten Lippen auf einem aufgeschlagenen Sarg gesessen und vor den Fenster haben Schierlingspflanzen im Wind geweht: weißblütig und giftporig.
"Peter hat immer viel gesehen und Peter wurde das Vielsehen irgendwann zum Verhängnis. Oder zum Zufall, man weiß es nicht", erklärt Valerie.
Aus der Jurydiskussion:
"Ich hab mir notiert: 'Winkler und Haneke' – von der Sprache her und auch, von dem her was passiert. Der Text ist einfach wahnsinnig geschickt gemacht. Grad im ersten Absatz wird schon die gesamte Metaphernlandschaft von dem Text eingeführt. 'hell und dunkel – sehen und Licht – da ist die Druckerschwärze, die schwarzen Katzen, das Schwarzpulver (...) Das ist einfach eine Sprache, und damit steht der Text aus allen anderen heraus, die ich so noch nicht gelesen habe. Man kann die Sprache mögen oder nicht – aber sie ist eigenständig. (...) Ich hab mir da drunter geschrieben 'jeder Satz ein Vergnügen'. Der Text ist großartig. Jeder Satz ist gut. Die Geschichte ist sehr fein von hinten herum erzählt. Es ist auch eine der wenigen, die nicht autobiographisch klingt, da merkt man eine gewisse Distanz, aber trotzdem eine unglaubliche Beobachtungsfähigkeit und ein Einfühlen in diese klerikale Geschichte. (...) Wunderbar herausgearbeitete Passagen, sehr gut geschrieben, sicher einer der Top drei."
Valerie Fritsch wundert sich nicht über die Bewertung der Jury, dass jedes Wort exakt platziert ist, da sie genau unter der Prämisse schreibt: "Kein Wort zu viel, kein Wort zu wenig."
"ausgehen"
"Geschichten, die schlecht ausgehen, gehen manchmal in die Geschichte ein," erzählt Valerie Fritsch im Interview. Das Schlechte, das Morbide, das Düstere interessiert sie, aber, "In Kategorien wie düster oder morbid denke ich gar nicht. Ich denke eher in Ordnungssystemen von Bildern und die sind dann entweder schön oder nicht."
valerie fritsch
So wie ihr Lieblingsbild von ihrer Webseite www.ein-ausdruck.at. "Das hab ich an einem wunderschönen, strahlend hellen Tag in der Steppe Äthiopiens aufgenommen und ich find immer noch, es ist eines der schönsten Bilder, die ich je gemacht hab. Ich mag die Ästhetik des Zerfalls."
Wortlaut feiert
Die Geschichte des Auges wird Valerie Fritsch bei der Wortlautbuch-präsentation vorstellen.
Denn dort lesen die drei Erstplatzierten, es gibt erstmals das Buch, das wieder bei Luftschacht erschienen ist und Heinz Reich legt Musik auf. Das eine oder andere Jurymitglied wird mit dabei sein, ebenso die sieben AutorInnen, die ebenfalls im Wortlautbuch vertreten sind, Freundinnen und Freunde und sonst noch einige nette Menschen. Wir freuen uns auf das Wortlaut Finale.
Am Freitag, 24. September ab 20 Uhr
im phil in der Gumpendorferstraße 10-12
Und zum Selbstlesen im Wortlaut-Buch, das im Literaturverlag Luftschacht erscheinen wird und ab Montag, 27. September, im Handel ist.