Erstellt am: 21. 9. 2010 - 16:57 Uhr
Es grüßt der Arztroman
„Ich bin ein großer horizontaler Fan oder Fan der Horizontalen“, lacht Anna-Elisabeth Mayer im Interview. Gemeint ist das Schlafen, denn krank sein, kann sie gar nicht haben. Nichtsdestotrotz hat die Autorin ihren ersten Roman genau dorthin verlegt, wo das Malade zuhause ist. Ins Spital.
Anna-Elisabeth Mayer ist 1977 in Salzburg geboren und lebt in Wien. Hier hat sie auch Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Es folgten eine "Deutsch als Fremdsprache-“ sowie eine Alphabetisierungs-Ausbildung. Danach kleinere Jobs wie ein Verlagspraktikum, bis sie nach Leipzig ans dortige Literaturinstitut zum Zweitstudium abbiegt. "Fliegengewicht" ist ihr erstes Buch.
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Ort des Geschehens ist das Damenzimmer Nummer fünf. Pavillon VIII, Herzstation. Als die etwa 30jährige Ich-Erzählerin dort eintrifft, sagt die Schwester, „Sie sind jetzt nur noch zu viert“ und eine zukünftige Zimmergenossin setzt hinzu: „Wir freuen uns über die Jugend“.
Das Küken werden die drei Mitkranken die Hinzugekommene fortan nennen. Frau Ott, Frau Blaser und Frau Ferdinand heißen die älteren Damen, die nicht nur schon länger hier, sondern sich auch lang weilen. Nach Komplikationen prolongiert sich der Aufenthalt der Erzählerin ebenfalls. Damit ist sie den Damen ausgeliefert und wir mit ihr.
Bühne.
Krankenhäuser sind für die Autorin eigentlich schreckliche Orte, „aus denen ich schnellstmöglich wieder weg will.“ Zugleich aber auch unglaubliche Schauplätze, weil: „Was sich da abspielt in kürzester Zeit, wie fremde Personen aufeinander wirken. Wie groß das Leid ist und wie diese Räume wieder atmen von diesen Dingen.“
Traurig wird es erst spät im Buch. Zuerst einmal werden die Damen ihr Küken in eine Art Amour fou und mit dem behandelnden Arzt hineintheatern.
Theatern im wahrsten Sinne des Wortes, denn der Stil von „Fliegengewicht“ gemahnt an ein Stück. Die Dialoge stehen im Vordergrund, lediglich ein sagte oder erzählte wird ihnen hinzugestellt. Jedes Unterbrechen wird mitprotokolliert – bis zur Stimmenkakophonie. So wie es sich für die junge Frau wohl anfühlen muss in diesem Krankenzimmer. Auch der Vergleich zum Witz einer Stehgreifbühne ist nicht fern. Denn mit dem Öffnen der Tür werden immer wieder neue Personen in den Raum gespuckt.
Ja, das Salzkammergut und seine Seen, schwärmte die Schwester auch. Ich will einfach nur sterben, Frau Ferdinand simultan. Das Salzkammergut ist wirklich eine Perle, sagte die Schwester. Das Wetter war immer schlecht, erwiderte Frau Blaser. Ja, sagte die Schwester, wir sind nicht aus Zucker. Einfach nur sterben will ich. Also ich fahre lieber in den Süden, sagte Frau Ott und schluckte ihre Medikamente.
Figuren.
Schöffling & Co
Die Ich-Erzählerin bleibt schwebend. Weder ihren Namen noch ihre genaue Krankheit erfahren wir.
Ansonsten hantiert Anna-Elisabeth Mayer mit Charakteren, die wie auf dem Reißbrett entworfen sind. Überzeichnete Personen, wie wir sie aus Sitcoms kennen.
Frau Ott fungiert als redselige Rädelsführerin. Eine Sophia-Loren-Bewunderin mit hochtoupiertem, schwarzen Haar und immer noch lustbar. Frau Blaser dagegen ist ein Ruhige. Schwerhörig, bis das vom toten Ehemann geerbte Hörgerät repariert wird; zu Selbstmitleid, Aufopferung sowie Naivität tendierend. Frau Ferdinand gibt die die mürrische Alte, die sich in ihrem Grimm verschlossen hat.
Und schließlich ist da natürlich Dr. Winter. Ein kitschiger McDreamy des Herzpavillions oder (für die älteren unter uns) der Sascha Hehn der Schwarzwaldklinik. Er ist die Sonne und Lichtgestalt, um die auf der Station alles und jede, zu guter letzt auch die Erzählerin kreist. Sein Name könnte aus einem Schundheftchen stammen – ebenso wie die ihm zur Seite gestellte Schwester Beatrice.
Credits.
Damit kokettiert die Autorin auch. Sie wollte den Arztroman auf die Schippe nehmen, und auch wieder nicht, erzählt sie, das Genre sozusagen auf eine ernste Stufe hieven. Und fügt hinzu: Ein Balanceakt.
Das Ernsthafte ist ihr gelungen, die Persiflage ebenso. Einzig die Szenen, in der es zur Annährung zwischen Dr. Winter und der jungen Patientin kommt, sind allzu traumhaft und entrückt – vor allem im Gegensatz zum sonstigen, im Roman vorherrschenden Realismus. Insgesamt: ein Buch mit Sogwirkung und zum Amüsieren.
Entstanden im übrigen aus einer Wortlaut-Kurzgeschichte. Letztes Jahr ist Anna-Elisabeth Mayer mit ihrer Einsendung „Reden ist Silber“ unter die besten zehn gekommen. Die Short Story behandelte mehr oder weniger den Beginn des Romans. Schnell war aber klar, dass da mehr rauszuholen ist. Und das hat sie, quasi schreibanfallsartig wie sie sagt, auch gemacht.