Erstellt am: 20. 9. 2010 - 00:33 Uhr
Fußball-Journal '10-54.
Meisterschaft und Cup, das "europäische Geschäft", das Nationalteam, der Nachwuchs, aber vor allem auch das hiesige Medienverhalten und die Wahnsinnigkeiten im Umfeld: das Fußball-Journal '10 begleitet die Saison mit ungeschöntem Blick.
Heute mit einem Plädoyer gegen die mediale Schlachtung von vor allem Salzburg-Trainer Huub Stevens, aber auch der darin beinhalteten Drohgebärde Rapid-Coach Peter Pacult gegenüber.
Ich bin wohl der allerunverdächtigste Mensch in ganz Österreich, was berechnende Parteinahme für die Fußball-Trainer Huub Stevens oder Peter Pacult betrifft - wer mich oder dieses Journal hier auch nur ein wenig kennt, weiß das.
Bloß: das, was sich da schon vor diesem Wochenende vor allem im Fall Stevens begeben hat, fordert eine klare Position, ein deutliches Plädoyer geradezu heraus. Und zwar schon vor dem verheerenden ÖFB-Cupspiel das den Red Bull-Cheftrainer wohl den Kopf kosten wird.
Denn das mediale Scherbengericht hatte bereits die Tage davor getagt, sein Urteil gefällt (nach der EL-Niederlage, und in den Mainstream-Medien, vor allem den Tageszeitungen von Freitag und Samstag auch schon exekutiert: Huub Stevens wurde da zur Sau gemacht.
Selbst die bislang wegen der Geruchs der Macht unkritischsten Wurschtiger des Boulevards, auch die bis dato rein auf der Schleimspur schlitternden Salzburger Lokalmedien: sie präsentieren Stevens als Mischung aus Batmans Joker, strampelndem Asylanten-Schübling und übergeschnapptem Amokläufer.
Von hinten an den Eiern packen
Der Grund für den Meinungs-Schwenk liegt nicht so sehr im sportlichen Bereich: schlecht in die Saison zu starken ist die einzige Tradition die Red Bull Salzburg aufweisen kann; gegen Mattersburg schlecht spielen auch; und gegen Man-City darf man ruhig verlieren, auch daheim.
Stevens' Problem im Spiegel der Medien ist auch nicht seine immer zu vorsichtige Defensiv-Strategie, nicht seine schlechte Personal-Führung, nicht seine zu einförmige Taktik, seine schlechte Vorbereitung auf die jeweiligen Gegner.
All das wäre Felder, deren Nicht-Beherrschung man Stevens zum Vorwurf machen kann. All das wären Gründe für die Medien den Holländer zu kritisieren.
All das ist aber maximal am Rande Thema. Denn all das, das Sportliche, Strategische, Philosophisch, alles, wo man Stevens wirklich inhaltlich auffliegen lassen könnte, interessiert die Mainstream-Medien nicht. Erstens müßten sie sich dann ja ernsthaft mit dem Wie/Warum des Fußballs beschäftigen (was sie im Regelfall nicht können) und zweitens würde das, also einen inhaltlichen Diskurs zu führen, ja Arbeit bedeuten.
Die Mainstream-Medien nähern sich Stevens also von hinten - um ihn, bildlich gesprochen, an den Eiern zu packen. Dünnhäutig sei er, ein Medien-Ungustl, einer der Pressenkonferenzen verweigert, oder dort patzig daherredet.
Für Mediensünden ans Kreuz genagelt
Zuletzt hatte er einen VIP-Besucher, einen Künstler aus der Salzburger Gesellschaft, in einer Skybox verbal attackiert. Das hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Denn in dieser Figur sehen sich alle Journalisten wieder: da kommt ein Trainer und stellt sich blöden Sprücheklopfern aus dem VIP-Club entgegen. Das trifft die unkritischen auf-der-Schleimspur-der-Mächtigen Daherrutschenden, die Journalisten, die ihren Job wegen der Nähe zur Macht machen, nämlich ins Mark.
Das letztemal, als sich der Medien-Boulevard (quasi nur mit Blickkontakt und auf Codewort) geeinigt hatte einen Coach, den er nicht wollte, zu zerlegen, das war bei Karol Brückner. Der wurde schnell geblacklisted, weil er nie zu kontrollieren war, vom personalisierungsgeilen und kolumnensüchtigen Mainstream; und sowas geht nur im Dauererfolgs-Fall. Bei Stevens greift aktuell dasselbe Muster.
Seitdem ist Huub Stevens für vogelfrei erklärt worden. Und wird seitdem exakt nur für seine Mediensünden an die medialen Kreuze genagelt.
You feel me? Stevens ist in jeder Hinsicht jeder Vorwurf zu machen, inhaltlich. Ihn aber ausschließlich darüber anzuklagen dass er ein dünnhäutiger Ungustl ist, das ist nicht nur unerhört und lächerlich; es stellt die Mainstream-Medien als das bloß, was sie sind: halbseidene Podien für armselige Inszenierungen.
Das, was sie sein sollten, ein Ort von Berichte, Analysen, Reportagen und Diskurs, können sie nicht einmal ansatzweise leisten - also wird das Elend der Selbstreferenzialtät auf die Spitze getrieben. Stevens wird geschlachtet, weil er schiach zu den Journalisten und ihren Haberern war.
Collateral Damage: Pacult
Im Zuge dieser Operation, die daherkommt, als wäre sie von an sich konkurrierenden Boulevard-Fightern feinabgestimmt, bekommt ein anderer Dünnhäuter quasi die gelbe Karte, die letzte Warnung.
Denn im Windschatten der Stevens-Vernichtung wird auch Peter Pacult angegriffen; auch mit denselben Untergriffen und Schmähs; auch nicht wegen seiner dürftitgen Spielsysteme, seiner Plan-B-losen Taktik oder seiner Spielerbehandlung.
Pacult wird eine Niederlage in Porto angekreidet; und wenn er sich dann (wie üblich mit absurden Begriffen und einer quarkigen Wortwahl) dagegen wehrt und es seltsam findet, dass eine Nation, die sich gegen Kasachstan schwertut auf einer anderen Ebene Auswärtssiege gegen EC-Sieger verlangt, wird er dann auch als dünnhäutig bezeichnet - und somit schon als nächstes Opfer, als nächster Stevens vorgewürzt. Man droht ihm also den Spieß quasi an.
Damit das (deppensicher) klar ist: Stevens und auch Pacult sind dünnhäutig; ihr Medienumgang ist verheerend. Aber das war immer schon so.
Jeden Tag eine andere Sau durchs mediale Dorf treiben
Deshalb kann das (eine Äußerlichkeit, was Formales) kein Grund sein um plötzlich Kampagnen zu reiten.
Denn genau diese an Verhaltensauffälligkeit grenzenden Originalität war ja bislang ein Grund für die Medien beide Coaches lobend auszustellen.
Natürlich gibt es noch eine Denk-Möglichkeit: die Anti-Stevens-Kampagne wird von offizieller Seite lanciert/unterstützt um den Mann loszuwerden. Ich halte das aber für eher unwahrscheinlich. Red Bull löst solche Dinge anders.
Um einen Coach dermaßen durchs Dorf zu treiben, wie das die Mainstream-Medien aktuell veranstalten, müßte der tatsächlich etwas Wildes angestellt haben; oder einen echt neuen Blödsinn treiben.
Oder man hat sich inhaltlich verfahren und verfranzt.
Das ist im übrigen durchaus der Fall. Das Salzburger Spiel ist inhaltlich verfahren und verfilzt und Stevens trägt die Hauptschuld. Davon ist allerdings derzeit einfach nicht die Rede, das können die mittlerweile komplett analyseunfähigen Mainstream-Medien gar nicht mehr beurteilen. Zeitungen, die nicht einmal eine richtige Aufstellung ins Blatt bringen, sind nicht imstande strategische Anmerkungen zu machen.
Journalisten, die an den populistischen Unsinn, den sie verzapfen, zu glauben beginnen und sich dann gegenseitig darin zitieren, haben diese Fähigkeit verloren wie die Menschen einst die Schwimmhäute zwischen den Fingern.
Wer grinsend zuschaut macht sich mitschuldig
Wer sich jetzt süffisant grinsend zurücklehnt und dabei zusieht wie ein ekelerregend dreister Boulevard sich zusammenrottet und einen Trainer auf der Basis seines halböffentlichen Verhaltens (also einer formalen Lappalie) schlachtet ohne dabei imstande zu sein, seine Arbeit einer kritischen Beurteilung zu unterziehen, der macht sich zum Handlanger dieser Dummheit.
Da kippt der Sport-Journalismus dann nämlich in seichtestes Society-Gewässer, wo man die selber hochgepushten Figuren eine Woche später umbringt.
Wer jetzt froh ist, wenn mit Huub Stevens eine tatsächlich unangenehme Figur vertrieben wird (und auch klammheimlich grinst, weil Peter Pacult die Rute ins Fenster gestellt bekommt und Gefahr läuft als Nächster dranzukommmen) der macht sich mit einer Sache gemein, die mehr umbringen wird als nur zwei dünnhäutige Ungustln.
Wer zuläßt, dass eine Debatte über Personalien auf dem tiefstmöglichen Niveau stattfindet, setzt damit das Level für die nächsten Jahre fest. Und macht sich mitschuldig.
Stevens und Pacult für ihre sportlichen und managementtechnischen Seltsamkeiten kritisieren: ja, gerne, immer!
Irgendwen in einer Medien-Kampagne, die auf Schulhof-Niveau Beleidigtheiten verhandelt, auf die Opfer-Bank treiben: das ist einfach nur zum Speiben.